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Protestbewegung in SpanienDer Wind der Veränderung

Hunderttausende demonstrieren in Madrid für eine andere Politik. Noch 2015 hoffen sie auf einen politischen Wechsel von den Altparteien zu Podemos.

Geht es nach Podemos, ist die Zeit für Banken und Millionäre abgelaufen. Bild: reuters

Spaniens Empörte schauen nach Griechenland. „Ein Wind der Veränderung beginnt durch Europa zu wehen“, ruft Pablo Iglesias auf Griechisch. Die bis zu 300.000 Menschen, die sich am Samstag auf der Madrider Puerta del Sol versammelt haben, antworten dem Generalsekretär der neuen Protestpartei „Podemos“ – „Wir können“ – mit tosendem Applaus. Sie sind in Bussen, Zügen, ja selbst in gecharterten Flugzeugen zum „Marsch für Veränderung“ gekommen. 2015 ist ihr Jahr, davon sind sie überzeugt.

„Wie schön, Menschen zu sehen, die Geschichte machen“, begrüßt Iglesias die Menge. Er spricht vom Traum von einem gerechteren Spanien, vom Ende des Spardiktats, von einem Land, das seine Souveränität zurückerobert, in dem die Politik regiert statt der Märkte und der Troika.

Und er hat ein Beispiel parat: „Weniger als eine Woche der neuen Regierung in Griechenland: Kostenloser Strom für 300.000 Familien, die die Rechnung nicht bezahlen können, die Privatisierungen gestoppt, Wiedereinführung der Krankenversicherung für alle, Einbürgerung für alle Kinder, egal welcher Hautfarbe, Wiedereinstellung der entlassenen Lehrer …“, zählt er die Maßnahmen der neuen Syriza-Regierung unter Alexis Tsipras auf, dem er beim letzten großen Meeting vor dem Wahltag in Athen selbst zu Seite stand.

„Wer hat gesagt, dass das nicht möglich ist? Wer hat gesagt, dass eine Regierung keine Veränderungen herbeiführen kann?“, fragt er schließlich. „Sí, se puede!“ – „Ja, man kann!“, hallt es als Antwort über den Platz.

Der Zulauf hört nicht auf

Spanien steht vor einem Superwahljahr mit Parlamentswahlen zum Jahresende. Podemos will es Syriza gleichtun. Bei Umfragen liegt Podemos seit Ende 2014 vorn. Dabei ist die Partei erst vor einem Jahr von einer Gruppe von Politik-, Soziologie und Philosophieprofessoren gegründet worden. Bei den Europawahlen letzten Mai gelang mit 8 Prozent der Stimmen die Überraschung. Seither hört der Zulauf nicht auf. Woche für Woche versammeln sich über 1.000 Kreise in Stadtteilen, Dörfern und aus Berufsgruppen.

Diego Vila und Yolanda Sáez sind Unterstützer der ersten Stunde. Der studierte Tontechniker, der sich mangels Arbeit dem Bau von E-Gitarren widmet, und die selbstständige Videoproduzentin haben sich einen Platz vorn in Bühnennähe gesichert. „Wir haben Pablo immer wieder im Fernsehen gesehen, er sprach uns aus der Seele“, sagt Yolanda. Deshalb schlossen sie sich einem der ersten Podemos-Kreise in der Altstadt Madrids an.

Der 36-jährige Iglesias wetterte in eigenen Programmen im Internet und bei Talkshows gegen die Sparpolitik und gegen die „Kaste“. So nennt Podemos diejenigen, die aus der engen Verstrickung von Politik und Wirtschaft, und aus der Korruption Gewinn schlagen.

Das junge Paar hat vor der Krise die sozialistische PSOE gewählt. „Die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Verfassung, die den Zinszahlungen an Banken und Finanzmärkte Vorrang vor Sozialausgaben gibt, brachte das Fass zum Überlaufen. Das ist Neoliberalismus und hat mit linker Politik nichts zu tun“, sagt Yolanda, die ihr zweites Kind erwartet.

Hitlervergleiche bleiben aus

Iglesias und seine Podemos ziehen nicht nur sozialistische Wähler oder die der postkommunistischen Vereinigten Linken in ihren Bann. Auch die Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy hat schon Stimmen an Podemos verloren. Und die Umfragen prophezeien einen weiteren Aderlass.

Für die Menschen hier auf dem Platz ist klar, wer hinter der Sparpolitik und der Verarmung Spaniens steckt: „La Merkel“, die deutsche Bundeskanzlerin. Ob bei seinem Wahlkampfauftritt in Athen zusammen mit Tsipras, in den TV-Talkshows oder vor Hunderttausenden, Iglesias sieht nur eine Wahlalternative: „Merkel oder Syriza“ – „Merkel oder Podemos“. Die Protestbewegung kritisiert Merkel, Hitlervergleiche wie in Griechenland bleiben dabei allerdings aus. Die Kritik richtet sich vielmehr an die alten Machthaber. Sie seien nur Erfüllungsgehilfen Berlins und Brüssels. Podemos will „Menschen und nicht Banken“ retten, sollte der Wahlsieg gelingen.

Ob PP, PSOE oder die führenden Medien des Landes, sie alle beschimpfen die neue Kraft als „Populisten“ oder als „Bolivarianos“ – Freunde der Regierungen von Venezuela und Ecuador oder von Bolivien, für das einige der Professoren aus dem Führungskreis Studien erstellt haben.

Immer mehr Millionäre

„Es sind traurige Gestalten. Ich akzeptiere ihre Schwarzmalerei von Spanien nicht“, reagiert Regierungschef Rajoy auf die Großdemonstration von Samstag. Spanien erlebe dank seiner Reformen einen wenn auch zaghaften Aufschwung. Doch Tatsache ist, dass davon bisher unten nichts ankommt. Die Arbeitslosenquote liegt weiterhin bei über 25 Prozent. Täglich werden rund 200 Wohnungen zwangsgeräumt, die Kinderarmut ist nach Rumänien die zweitstärkste in Europa.

Gleichzeitig wurde ein EU-Rettungspaket von über 41 Milliarden Euro für die Banken in Europa aufgenommen. Ein gleich großer Betrag kommt aus dem Staatshaushalt. Bezahlautobahnen wurden ebenso mit Staatsgeldern gerettet wie zweifelhafte Großprojekte. Die Staatsverschuldung stieg von knapp 40 Prozent vor der Krise auf knapp 100 Prozent. Für die Schuldentilgung gibt Spanien so viel aus wie für alle Ministerien zusammen. Gespart wird an Sozialausgaben, Bildung und Gesundheit. Gleichzeitig stieg die Zahl der Millionäre in dem Land seit 2008 um 24 Prozent.

„Wir werden die Wahlen gewinnen“, verspricht Iglesias. Die Zeit für Rajoy und die Sparpolitik laufe ab. „Ticktack, ticktack …“, imitieren die Menschen auf dem Platz das Geräusch einer Uhr.

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12 Kommentare

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  • Es ist schon interessant, dass es nur in den Ländern mit hohen Schulden alternative Bewegungen gibt. Und ob das überall ausgesprochen linke Bewegungen sind ist auch zu bezweifeln, ich denke es sind eher nationalistische Bewegungen, denen unser Links-Rechts-Schema egal ist. Sieht man ja sehr gut in Griechenland, da bringen sogenannte Linke mit sogenannten Rechten innerhalb eines Tages ein Regierungsbündniss zustande.

    Aus diesem Grund sind die Jubelschreie der hiesigen Linken verfehlt.

    • @peter mueller:

      Lieber Peter Müller, ich war selbst auf dieser Großdemo und habe mit sehr vielen Menschen gesprochen. Da kamen gar keine nationalistischen Töne, sondern es gab sehr verschiedene Meinungen, die das ganze Spektrum von traditionell links bis traditionell rechts abdecken, hören Sie auch dazu bitte meinen Radiobericht unter http://www.pinkchannel.net - Sendung vom 7. Februar.

       

      Eines war allen auffallend gebildeten Menschen auf dieser Demo gemeinsam: Sie fühlen sich nicht im geringsten repräsentiert von einer Politikerklasse, die z.B. bei Ebola offensichtlich den Maßgaben des Vatikans beispringt und Priester nach Madrid einfliegt, obwohl es die medizinische Infrastruktur für so gefährliche Krankheiten hier gar nicht gibt, es sei mit dem Leben aller Europäer gespielt worden. Dann das mit den "tarjetas opacas", den Geheimkarten der Caja Madrid-Direktoren, die haben damit 1.5. Mio € binnen eines Jahres für Abendessen ausgegeben, die Einlagen des Volkes verbechert. Dass sich da die Lehrerin, der Tankwart, die Pensionärin, der Chirurg, die Barbesitzerin, die Mutter von 3 Kindern, der Krankenpfleger, der Straßenfeger, die Brummi-Fahrerin, der Metrokontrolleur, einfach ALLE, als nicht recht vertreten empfinden von der Machthaberklasse, bildet schlicht die Realität ab.

       

      Bei PODEMOS geht es um eine Bürgerbewegung, die eines erwirken will, dass nämlich Staat das werden soll, was er zu sein hat: die res publica und nicht eine Bühne für Seilschafter von Vorgestern und Business-Leichen, sei es von Banken oder multinationalen Konzernen. PODEMOS, wir können es, steht genau DAFÜR: die Ablösung einer Kaste "que no, que no nos representan".

       

      Die Linke in Deutschland sollte nicht applaudieren, da haben Sie recht, sie sollte kommunizieren und zwar mit dem Spanischen Volk selbst, denn wir sind EIN Europa als Erbe der Aufklärung und einer Friedensgemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Die werden wir gemeinsam verteidigen und neugestalten müssen.

  • Zum (Podemos-) Traum vom Land, „in dem die Politik regiert statt der Märkte und der Troika“:

    Ganz ohne lenkende Herrschaft wärs noch wünschens-wert-voller. Und grad in Spanien (Katalunien, Aragón...) hatten wir das ja bereits erfolg-reich. Obgleich penibel verschwiegen. (Empfehlung zum Hinter-das-strategische-verschweigen-blicken: Marta Ackelsberg, „Free Women of Spain“)

     

    Aber keine Frage, was bis dato in einer Woche Syriza-Hellas passiert ist, ist eine optimistisch stimmende Schrittfolge. Auf einem hoffentlich langen und nachhaltigen Weg.

  • Ja, lass es wahr werden. In Reiners Fotoblog gibt es einige wunderschöne Bilder http://blog.reiner-wandler.de/2015/01/31/la-marcha-del-cambio/

     

    Ich will ne Hose mit den Farben der Republik, rot-gelb-lila.

    • @uvw:

      Oh ja. Bitte, ich wir alle drücken den Spaniern die Daumen. Es zeigt sich eine riesen Chance für Europa.

       

      Ich hoffe wie Deutschen wachen endlich auf und schließen uns an.

  • Eine tolle Sache!

    Wenn keiner mehr die Schuld(en) der alten Regierungen übernehmen muss dann muss ich mich auch nicht mehr für Opas Taten schämen. Das sollte uns doch die 80 Mrd€ wert sein.

  • lass es wahr werden!

  • Schauen wir was auf uns zukommt. Ich hoffe, dass ein so machtiges Land wie Spanien tatsächlich nach links findet und kein Putsch stattfindet.

  • "Die Protestbewegung kritisiert Merkel, Hitlervergleiche wie in Griechenland bleiben dabei allerdings aus."

    Wäre aber auch nicht schlimm.... und Charlie Hebdo würde man es allemal verzeihen, nicht wahr, Frau Merkel, Sie Hüterin der totalen Meinungsfreiheit?

     

    Europa braucht jetzt einen soliden Linksruck. Die politische Landschaft darf ruhig mal ordentlich durchgeschüttelt werden. 25 Jahre neoliberaler Einheitspolitik sind mehr als genug und ihrer wechselnden Protagonisten ist man längst überdrüssig. Hoffentlich auch bald im Schland - aber noch geht´s vielen von uns gut und jene scheren sich nicht um die Anderen. Mal gucken, wo der Zug hinfährt: In Griechenland stehen die Weichen schon richtig, in Spanien werden sie gerade umgelegt. Gut so.

  • „Menschen und nicht Banken“

     

    Das ist eine gute und wichtige Aussage. Denn Politiker sollen Politik für die Menschen machen und nicht für (zweifelhafte) Anhäufungen von Geld.

     

    Ohne die Bankenrettung hätte Spanien einen vernünftigen Staatshaushalt. Und es war tatsächlich Merkel, die darauf bestanden hat, die Rettung der Teilhaber spanischer Banken über den Staatshaushalt abzuwickeln und damit das Land zu ruinieren.

     

    Und es spricht für die Spanier, dass sie nicht rechten Volksverführern hinterher rennen (wie die Unzufriedenen in Deutschland), sondern eine menschliche Alternative suchen.

  • Das Pendel schlägt nun wieder zur anderen Seite aus; nachdem nach Ende des Kalten Krieges der Turbokapitalismus sich wie eine Krake um den Globus herum gegriffen hat..... und ist wieder der Mensch an der Reihe.

    Was Occupy in Frankfurt nicht geschafft hat, schaffen nun die Wähler... in einem Land nach dem anderen... das ist wahre Demokratie.

  • Tic Tac Tic Tac Tic Tak - auch hier läuft die Uhr. MerkelSchäubleGabrielTrittin: alles eine Soße. Bedauerlicherweise aber hat der neue griechische Finanzminister das Ding auf den Punkt gebracht: wie auch immer es gehen wird, Deutschland muss zahlen. Das ist das Ergebnis alternativloser Europolitik, durchgewunken von unseren Einheitsparteien. Das Ergebnis des Versuchs, Europa plattzubügeln, reif zu schiessen für ein Gebilde nach Anglo-amerikanischem Vorbild. Es war klar, dass es die Peripherie sein würde, die diesen Kapitalistentraum zerscheppern musste. Denn Euro heisst: maximale Freiheit für das grosse Geld auf Kosten der Allgemeinheit. Was hier gerade noch unter dem schmuddeligen Teppich gekehrt werden kann, hat woanders eben schon gnadenlos eingeschlagen. Der dreiste Zynismus von Merkel und Co. ist am Ende.