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Gefahrengebiete in HamburgRichter zweifelt an der Polizei

Das Hamburger Oberverwaltungsgericht nennt das polizeiliche Vorgehen in einem 2011 zum Gefahrengebiet erklärten Teil der Stadt rechtswidrig.

Nicht durchweg rechtens, sagt das Oberverwaltungsgericht: Polizeieinsatz gegen Klobürsten im Hamburger Gefahrengebiet Anfang 2014 Bild: dpa

HAMBURG taz | Klare Worte im Saal 5.01 des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts – und eine Ohrfeige für die Polizei. Als die am Vorabend des 1. Mai 2011 die Personalien und zudem präventiv einen mitgeführten Rucksack einer linken Aktivistin überprüfte, handelte sie rechtswidrig. Das gesamte Schanzenviertel war damals zum polizeilichen Gefahrengebiet erklärt worden, nachdem es in den Vorjahren um die besetzte „Rote Flora“ herum zu Randale gekommen war.

Obwohl es für die aktuelle Entscheidung nicht von Bedeutung war, hielt das Gericht am Donnerstag verdachtsunabhängige Personenkontrollen in solchen Gefahrengebieten auch grundsätzlich für verfassungswidrig: Der entsprechende Passus im Hamburger Polizeigesetz über die Datenverarbeitung (PolDVG) lässt dem Vorsitzenden Richter Joachim Pradel zufolge „Normenklarheit und Bestimmtheitsgebot“ vermissen, wie sie „Kerngrundrechtseingriffe“ rechtfertigen könnten.

Ziel des polizeilichen Vorgehens war 2011, Personen zu überprüfen, „die augenscheinlich der linken Szene angehören“, um Ausschreitungen vorzubeugen. Das stellte laut Pradel mindestens eine Diskriminierung dar. Sollte eine bestimmte politische Überzeugung gemeint gewesen sein, wäre es aus Sicht des Gerichts sogar ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz.

„Pech gehabt“

Die Schanzen-Aktivistin Claudia Falke hatte am Abend des 30. April 2011 ein Aufenthaltsverbot für ihr eigenes Wohnviertel erteilt bekommen. Zuvor hatte eine Polizistin ihren Rucksack überprüft. Als sie Protest äußerte, kam Falke gar für eine Nacht in Gewahrsam. Rechtswidrig war aus Sicht des Gerichts schon die Durchsuchung des Rucksacks: Sogar das PolDVG sehe nur eine „in Augenscheinnahme“ vor. Wie die beteiligte Polizistin selbst eingeräumt hatte, hatte sie in das Gepäckstück gegriffen, um etwas zur Seite zu schieben – ausgeschlossen, sagte jetzt Richter Pradel: „Wo man nichts sieht, hat man eben Pech gehabt.“

Gefahr im Gebiet

Als Maßnahme zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten verankerte 2005 der damalige CDU-geführte Senat die Gefahrengebiete im Hamburger Polizeigesetz.

Anders als in anderen Bundesländern bezieht es sich nicht auf "Orte" - etwa Kriminalitätsschwerpunkte - sondern auf ganze "Gebiete" des öffentlichen Raums.

Die Hamburger Polizei darf demnach zur Gefahrenabwehr aufgrund von aktuellen "Lageerkenntnissen" ohne konkreten Anfangsverdacht Ausweiskontrollen durchführen, in Taschen gucken, Aufenthaltsverbote aussprechen und Menschen im ausgewiesenen Gefahrengebiet in Gewahrsam nehmen.

Auf Wunsch von Falkes Anwälten, aber auch mit dem Einverständnis der anwesenden Polizei-Justitiarin widmete sich Pradel in einem Exkurs dem Gefahrengebiet-Passus in dem Gesetz: Das Gericht hege erhebliche Zweifel daran, ob die Maßnahmen überhaupt zur Verhütung von Straftaten geeignet seien – und damit verfassungskonform. Ein Eingriff ins informationelle Selbststimmungsrecht und in den allgemeinen Persönlichkeitsschutz setze konkrete „Tatsachen“ voraus: So müsse von der jeweiligen Person eine Straftat von „erheblicher Bedeutung“ zu befürchten sein, sagte Pradel: „Wir brauchen eine Nähe zur Gefahr und eine Nähe der Gefahr zu dem Betroffenen.“

Dagegen seien etwa Lageerkenntnisse der Polizei nur eine Bewertung, sagte der Richter. Es sei nicht nachvollziehbar, dass eine präventive Kontrolle gegen 20 Uhr Stunden später Straftaten verhindern können solle, befand der Richter. Es sei denn, die Personalienkontrolle hätte nur dem Zweck gedient, die betroffene Person aus der Gegend fernzuhalten und etwaige Folgemaßnahmen greifen zu lassen. Das Aufenthaltsverbot und den Gewahrsam hatte in Falkes Fall 2012 bereits das Verwaltungsgericht für rechtswidrig erachtet.

Verfassungsgericht soll prüfen

Verfassungsrechtliche Bedenken sieht das OVG auch bei den zeitlich unbegrenzten Gefahrengebieten, wie Anfang vergangenen Jahres eines über mehrere Stadtteile verhängt worden war. Er wisse nicht, sagte Pradel sarkastisch, wie viele der Richter an seinem Gericht davon betroffen gewesen seien. Polizei und Innenbehörde sollten den entsprechenden Passus dem Landesverfassungsgericht zur Normenprüfung vorlegen. Im Koalitionsvertrag haben Hamburgs SPD und Grüne vereinbart, gegebenenfalls das Gesetz an die Rechtssprechung anzupassen.

Verkünden will das OVG das Urteil am 13. Mai.

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4 Kommentare

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  • Schlimm dabei ist doch, dass es den Cops durchaus klar ist und sie es selbst bei entsprechendem Urteil auch beim nächsten Problem wieder so handhaben werden. Eine Maßnahme im Nachhinein als unrechtmäßig festzustellen ist der blanke Hohn, wenn es keine Konsequenzen für das rechtsvergessene Personal hat. Und weil dem so ist, auch deshalb werfen immer mehr Leute mit Gegenständen nach diesen Typen. Der angedachte "Schutzparagraf 112" wird dabei nicht deeskalierend wirken, ganz sicher nicht, sondern vielmehr zu einer erhöhten Anzahl konspirativ-militanter Aktionen führen! (Selbst bei den Nazis gab es so etwas nicht!)

  • "… sagte jetzt Richter Pradel: „Wo man nichts sieht, hat man eben Pech gehabt.“

     

    Ja - Recht - kann - soo einfach sein -

    aber die via Quickie-öh-Studium zu

    KommissarInnen aufgetunte Bullerschaft - "höb wie liggers schon bi Adolf so mookt" - weet dor nix von aff.

     

    Aber seit dem Balkenbiegen via Hamburger Kessel - wissen Hamburger Richter - Schill hin oder her - ziemlich genau - wie die erblauten "Grünen W…frösche "(W.B.) so ticken.

  • Klingt sehr überzeugend. Warten wir mal ab, ob das Urteil am Ende auch so klar ausfällt.

  • Der Richter hält sich ans Gesetz, die Polizei an ihre Ängste und ihre Uniformen. Das Ganze war doch blanker Unsinn.