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Kolumne MachtDie Toten der Omaheke-Wüste

Bettina Gaus
Kolumne
von Bettina Gaus

Der Papst hat die Massaker an den Armeniern als ersten Genozid des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Das ist falsch. Die Deutschen waren schneller.

Man stelle sich vor, jemand – zum Beispiel der Papst – hätte den Massenmord an den europäischen Juden vergessen. Bild: dpa

D er Papst ist fehlbar. Was ja nur menschlich ist, aber nicht gleichbedeutend mit einem Freibrief für Ignoranz. So gedankenlos wie jetzt im Zusammenhang mit dem Völkermord an den Armeniern sollte das geistliche Oberhaupt einer Weltkirche nicht daherreden.

Franziskus hat die Massaker an diesem Volk, die vor 100 Jahren verübt wurden, als Genozid bezeichnet. Es ist erfreulich, dass sich der Papst dafür einsetzt, das Leid der Armenier nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Weniger erfreulich ist es, dass er seinem Anliegen mit der Behauptung Nachdruck zu verleihen suchte, es habe sich um den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts gehandelt.

Das trifft nicht zu. Der erste Völkermord im 20. Jahrhundert wurde an den Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika verübt, nachdem ein Aufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft 1904 in der Schlacht am Waterberg niedergeschlagen worden war. Tausende flohen in die Omaheke-Wüste. Generalleutnant Lothar von Trotha ließ das Gebiet abriegeln und befahl seinen Truppen, die Flüchtlinge von den wenigen Wasserstellen zu vertreiben.

Beschämendes Kapitel unserer Geschichte

taz am wochenende

Ein Schweizer Unternehmer will mit einer einzigen Zahl das Wohlbefinden jedes Menschen messen. Und so die maroden Krankenkassen sanieren. Wie genau das funktionieren soll und auf welche Widerstände er stößt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 18./19. April 2015. Bonjour, Israel! Wie geflohene, französische Juden in Israel ankommen. Und: Der Tocotronic-Produzent Moses Schneider. Ein Interview über Dur. Außerdem: Nackte Jungs lesen. Ein Literaturevent. Plus: Hausbesuch bei Deutschlands einzigem professionellen Nacktmodell. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Männer, Frauen und Kinder verdursteten. Überlebende wurden in Konzentrationslagern interniert, in denen viele verhungerten. Die genaue Zahl der Opfer steht nicht fest, geschätzt wird, dass mindestens zwei Drittel, möglicherweise aber sogar 80 Prozent der Herero und etwa die Hälfte der Nama ums Leben kamen.

„Die Nation als solche“ müsse vernichtet werden, schrieb von Trotha 1904 an den deutschen Generalstab. Einige Jahre später erklärte er: „Dass ein Krieg in Afrika sich nicht nach den Gesetzen der Genfer Konvention führen lässt, ist selbstverständlich.“

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen sah das 1948 anders und erkannte den Völkermord als solchen an. Es gehört zu den beschämenden Kapiteln unserer Nachkriegsgeschichte, dass Deutschland sich bis heute weigert, dasselbe zu tun – aus Angst vor Forderungen nach Entschädigung der Nachkommen.

Das Thema interessiert kaum jemanden

Dass der Papst das alles offenbar nicht weiß und der Fehler auch in seinem Stab niemandem auffiel, ist betrüblich genug. Aber nicht das Hauptproblem. Viel schlimmer ist es, dass das Thema auch im Land der Täter kaum jemanden zu interessieren scheint. Wer das nicht glaubt, kann sich mit einer simplen Internetrecherche selbst ein Bild machen. Die Stichworte „Papst“ und „Herero“ genügen.

Aber es passt ja alles ins Bild. Afrikanische Opfer zählen nicht, bis heute nicht. Die angebliche Grausamkeit kenianischer Mau-Mau-Krieger in den 1950er Jahren lieferte Stoff für Kitschfilme und Romane. Die Fakten: 33 europäische Siedler wurden ermordet – und zwischen 20.000 und 100.000 Kenianer starben. Will das jemand wissen? Nein.

Man stelle sich vor, jemand hätte bei einer weltweit beachteten Ansprache den Massenmord an den europäischen Juden vergessen. Ein internationaler Aufschrei wäre die Folge gewesen. Zu Recht.

Völkermord bleibt Völkermord

Vorsicht, Vorsicht, das eine lässt sich doch gar nicht mit dem anderen vergleichen? Nun ja. Die Herero und die Nama dürften das anders sehen. Völkermord bleibt Völkermord. Und die Tatsache, dass Deutsche mit dem Holocaust eines der schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte verübt haben, kann doch eigentlich kein Grund sein, frühere Untaten nicht mehr so wichtig zu nehmen.

Die Geschichte bedeutet für uns Mahnung und Verpflichtung: ein Standardsatz bei Gedenkfeiern in ehemaligen Konzentrationslagern. Wenn ich ihn das nächste Mal höre, dann werde ich an die Verdurstenden in der namibischen Omaheke-Wüste denken. Und meine Zweifel haben, wie ernst dieser Satz zu nehmen ist.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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19 Kommentare

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  • Papst Franziskus hat insofern formal recht mit seiner Behauptung, bei dem Völkermord an den Armeniern habe es sich um den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts gehandelt.. Warum?, weil dieser Völkermord bereits 1915- 1916 von franzöischen, englischen schweizer, nordamerikanischen Stellen dicht dokumentiert war. De USA, damals noch neutral, den osmanischen Botschafter in Washington D. C. einbestellten und von Völkermord die Rede war, während der Völkermord an den Hereros, Namas in Deutsch- Süd- Westafrika 1904-1910 durch die Internationale Gemeinschaft jahrzehntelang beschwiegen wurde.

     

    1919 haben die Siegermächte den Völkermord an den Armeniern zwar geächtet, aber nicht sanktioniert, die neue türkische Regierung hat Verantwotliche "Jungtürken" des Völkermordes an den Armeniern in Abweseneheit zum Tode verurteilt. In Abwesenheit deshalb, weil ein kaiserlicher Marine Kreuzer die Beschuldigten in Sicherheit ins Deutsche Reich brachte, die dann in Berlin zurückgezogen unbehelligt in exclusiv komfortablen Verhältnissen lebten. Bis 1921 ein armenischer Student in Berlin den in Abwesenheit zum Tode verurteiten ehemaligen osmanischen Ministerpräsidenten ermordete, der in Berlin- Moabit angeklagt, sein Bericht das Gericht so erschütterte, dass er freigesprochen wurde. Das Außenamt der Weimarer Republik verweigerte, um das Ausmaß deutscher Verstrickung zu verdunkeln, jeden Einblick in Dokumente diplomatischer Erkenntnisse über den Völkermrod an den Armeniern.

     

    Hitler betont in seiner berüchtigten Geheim- Rede vom 22. Mai 1939 am Vorabend des II Weltkrieges vor dem Generalstab der Deutschen Wehrmacht, die Tatsache, dass der Völkermord an den Armeniern 1915 durch die Internationale Völkergemeinschaft längst vergessen, nicht sanktioniert wurde, kann mich nur darin bestärken, den Völkervernichtungskrieg im Osten Europas umso entschiedener zu exekutieren.

  • Im Völkermordenkapitel (nicht nur) der Kirche Roms, bringt der gute Papst wieder alles durcheinander. Was er zuvor so schön zu richten begann. Und dabei geht es gar nicht "nur" um (die) Geschichte und ihr Wahrheitsmonopol auf Buchs- bzw. I-Netz-Seiten. EBENJETZT zelebrieren Papst und seine Machtschar einen Genozid mit einer neuerlichen Heiligsprechung (seit Konstantin nix neues, dass Kirche gern Massenmörder zu Anhimmlvorbildern im Namen des adabsurdumgeführten Jesus v. Nazareth macht...)!

    Aber was sind schon ein paar Randfiguren, red niggers noch dazu, des fünfjahrhundertlichen kolumbianischen Völkermordens für eine Weltkirche der Liebe und des Pazifismus...

    Wie, was?!

    DAS: http://petitions.moveon.org/sign/urge-pope-francis-to?mailing_id=28733&source=s.icn.em.cr&r_by=12694429

    • @Ardaga:

      Na hauptsache die Inquisition war Notwehr.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Erstens hat der Papst nicht gesagt, dass der Völkermord an den Armeniern der erste gewesen sei, sondern dass er im Allgemeinen als der erste angesehen werde. Ob er sich dabei auf den Erfinder des Wortes Rafał Lemkin bezog, der dieses zuerst auf die Armenier münzte, wissen wir nicht.

     

    Zweitens sind bereits 1894-96 zwischen 80000 und 300000 Armenier durch die Türken massakriert worden. Deren Tötung darf, wenn sie auch selbst noch kein Völkermord gewesen sein mag, als Vorgeschichte und Auftakt desselben gelten und kann schlecht als von den späteren Ereignissen gänzlich getrennt betrachtet werden.

  • Wenn ein Volk wie das deutsche, oder die römisch katholische Kirche, zusammengefasst, also das römische Reich deutscher Nation, soviel Blut an den Händen und so viel Leid die sich in der Geschichte dieses Reiches, das ja in Hitlers Größenwahn und dem seiner Helfershelfer in einem neuen 1000-jährigem Reich gipfelte, dann vergißt man schon mal gerne einige Details. Egal ob bei Volk, Politikern, oder Papst und seinen Lektoraten.

    Alles Menschlich ???

  • Es ist in der Tat sehr aufschlussreich, mit welcher Selbstverständlichkeit Afrika heute aus dem Bewußtsein der Europäer ausgeklammert wird. Man stelle sich vor, an einer europäischen Uni würden 147 Menschen erschossen. Die Medien wären über viele Wochen in endlosen Sondersendungen damit befasst. In Garissa im Südosten Kenias ist genau das passiert vor einigen Wochen - und, schon was davon gehört? Fließt etwa durch afrikanische Adern kein menschliches Blut?

  • In der taz gab es schon mal einen Beitrag zu einem der Gefolgsleute des von Trotha:

    http://www.taz.de/Kampf-ums-koloniale-Erbe/!123324/

  • Es ist zwar richtig, dass der Papst das Wort "erste" (Völkermord) nicht hätte verwenden sollen. Das entscheidende Ereignis des letzten Wochenendes ist aber trotzdem die Tatsache, dass er den Völkermord an den Armeniern auch so genannt hat. Außerdem hat er zuvor von "drei große Tragödien" "im vergangenen Jahrhunder" gesprochen und in dieser Sichtweise ist die Aussage sogar stimmig.

    • @Christian_72:

      das waren von Anfang an Pfaffen die sich besonders darum kümmerten dass es sich hier um einen Völkermord handle. Schon der Pfarrer Lebsius mit seinen gefälschten Dokumenten. Bisher ist es immer noch nicht historisch bewiesen und es wurde mit vielen weiteren (bewiesen) Fälschungen gearbeitet. Prinzipiell habe ich kein Problem damit wenn alle Länder ihre Verbrechen offen und ehrlich aufarbeiten. Die Briten bzgl. den Buren zum Beispiel. Oder die Belgier bzgl. dem Kongo wo man nur von Gräuel spricht. Also wenn es keine ermordeten Christen waren juckt das weder den Papst noch andere. Sieht man ja auch an den über eine Millionen Ermordete im Irak. Wenn es keine politischen Interessen gibt wie bei dem Armeniergenozid interessiert das keinen. Und Amerika darf sowieso so viele töten wie es ihnen Spaß macht. Der Papst hat da nichts dagegen. Aktuell Jemen "uhhh" da hört man wenig davon, ist ja auch das verbündete Saudiamerika.

    • @Christian_72:

      nur drei große Tragödien? Fanziskus ist ein Komiker.

  • Für ein angemessenes Gedenken an den Völkermord in Deutsch-Südwest bemühen sich seit Jahren diverse lokale Initiativen, auch abseits von Berlin. Und auch die ein oder andere Uni hat noch sprichwörtlich Leichen aus dem Völkermord 1904f im Keller: http://www.freiburg-postkolonial.de/Seiten/anthropologische-schaedelsammlungen.htm

  • Was soll das werden? Ein Wettrennen um den ersten Völkermord. Da liegt auch der Kommentar falsch. Da gab es schon noch früher welche. (https://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkermord#V.C3.B6lkermorde_.28Auswahl.29)

    • @Want Amore:

      thema+topos von pappa war/ist: der 1.genozid des 20.jhdt.

      dass genozid keine erfindung des 20.jhdt war/ist, würde - bis auf einige ausnahmen - heute keine einer mehr bestreiten.

      umso interessanter ist allerdings, in welchen zusammenhängen von genozid gesprochen werden darf oder gar soll und in welchen lieber nicht. in der folge übrigens auch, welcher staat welchen genozid anerkennt und welche/n nicht und welche politik/en nach innen+außen sich darauf gründen.

       

      im weiteren läßt sich genozid herunterbrechen auf gruppenverfolgung und crimes against humanity....ein wahrhaft weites feld.

      • @christine rölke-sommer:

        wo es die politische Interessenlage fordert spricht man von Genozid. Sonst interessiert das keinen.

      • @christine rölke-sommer:

        Lassen Se nur gut sein. Querulant bleibt Querulant, egal in welchem Kleide. Arcy wünscht Liebe.

  • 1900 richtete der britische General Lord Kitchner während des zweiten Burenkriegs Konzentrationslager ein in denen ca. 120.000 Buren (Farmbewohner, vor allem Frauen und Kinder, interniert wurden. Von den Internierten starben über 26.000 aufgrund katastrophaler Lebensbedingungen an Hunger und Krankheiten. weiterhin wandte Kitchener eine Strategie der „verbrannten Erde“ an: Die Farmen in den Guerillagebieten wurden zerstört und die Ernten vernichtet, um den Gegner auszuhungern.

    Warum werden dieser grausame Handlungen immer unterschlagen wenn es um die ersten Gräueltaten des 20.Jahunderts geht? Ab wieviel Toten darf man von Völkermord sprechen ab 20.000 ab 50.000? Wieviel Zymismus ist notwendig um erst ab einer bestimmten Anzahl von Toten von Völkermord zu sprechen.

    Zur Ergänzung: Der Begriff „Konzentrationslager“ war erstmals auf Spanisch („campos de concentracíon“) während der Niederschlagung eines Aufstands gegen die spanische Kolonialmacht auf Kuba 1896 verwendet worden.

  • absolut richtig, dieser Kommentar!

  • Sehr guter und wichtiger Artikel. Das erste Vernichtungslager geht meines Wissens auch auf 'unser' deutsches Konto. Der Zusammenhang ist der gleiche: Deutscher, später Kolonialwahn in Afrika. Stichwort: Shark Island

    • @Martin Joormann:

      So weit ich weiß sind die Briten die Erfinder der KZs (Buren).