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Steinmeier spielt den Aufklärer

Plötzlich hat es der Außenminister ganz eilig. In Sachen Murat Kurnaz will er im Untersuchungsausschuss „rasch das Notwendige klarstellen“

AUS BERLIN JENS KÖNIG

„Ja, es gibt sie, die weniger glitzernden Seiten der Macht jenseits von Medienevents und Talkshows“, meint Frank-Walter Steinmeier. „Ich habe, ganz offen gesagt, solche Situationen in den letzten sieben Jahren häufiger erlebt, als mir lieb war, Situationen, in denen das Telefongespräch, die Geschäftsordnung und der runde Tisch als ritualisierte Form der Konfliktlösung versagt haben.“

Man könnte einfach sagen, dass Politik mitunter ein schmutziges Geschäft ist. Aber Steinmeier ist kein Freund einfacher Worte. Der Außenminister formuliert gern verschlungene, komplizierte Endlossätze. Sie passen in die Welt der Diplomatie.

Als Steinmeier über die Nachtseite der Macht philosophiert, steht er im Plenum des Deutschen Bundestages. Es ist der 14. Dezember 2005. Steinmeier wird gerade von seiner Vergangenheit eingeholt. Unter seinem Chef Gerhard Schröder war er sechs Jahre lang Kanzleramtsminister und damit verantwortlich für die Arbeit der Geheimdienste. Jetzt muss er im Bundestag die Frage beantworten, ob die rot-grüne Regierung im Falle des von der CIA entführten Deutsch-Libanesen Khaled El Masri eine Mitschuld auf sich geladen hat. Wir haben alles richtig gemacht, sagt Steinmeier mehrfach, auch wenn im Kampf gegen den Terrorismus nicht die politischen Benimmregeln gelten, die an der Evangelischen Akademie Tutzing gelehrt werden.

Diese „weniger glitzernden Seiten der Macht“ werden Steinmeier in diesen Tagen erneut zum Verhängnis – diesmal im Fall von Murat Kurnaz, der über vier Jahre lang zu Unrecht in Guantánamo saß. Kurnaz’ Aussage vor dem BND-Ausschuss am letzten Donnerstag, die Schilderung seines Martyriums sowie neue Enthüllungen in den Medien haben einen Tsunami ausgelöst, der nicht nur den moralischen Kredit von Rot-Grün hinwegreißen, sondern auch eine der zentralen Figuren der großen Koalition unter sich begraben könnte. Ob Steinmeier diese Riesenwelle politisch überleben wird, kann heute niemand sagen.

Dabei ist es unerheblich, dass die jetzigen Vorwürfe im Kern nicht neu sind. Dass die rot-grüne Regierung im Herbst 2002 ein Angebot des US-Geheimdienstes CIA ablehnte, Kurnaz zurück nach Deutschland zu bringen, ist seit mehreren Monaten bekannt. Wie ernst dieses CIA-Angebot gemeint war, ob es nur mündlich oder auch schriftlich überbracht wurde, ob diese Offerte tatsächlich, wie behauptet, an die Bedingung geknüpft gewesen ist, Kurnaz in Deutschland rund um die Uhr zu bewachen und ihn unter Führung des Verfassungsschutzes die radikale Islamisten-Szene ausspähen zu lassen – diese Fragen sind bislang ungeklärt. Vor allem sie werden den Untersuchungsausschuss beschäftigen.

Fest steht jedenfalls, dass sich am 29. Oktober 2002 eine hochkarätig besetzte Runde aus BND, Verfassungsschutz, Innen- sowie Außenministerium darauf verständigt hat, Kurnaz nicht nach Deutschland zu lassen – obwohl den Deutschen damals schon klar war, dass der junge Mann alles andere als ein Taliban-Terrorist ist. Das Angebot der Amerikaner sei aus verschiedenen Gründen nicht realistisch gewesen, räumte BND-Präsident Ernst Uhrlau in einem Zeit-Interview im Juni 2006 ein. „Wir haben nicht leichtfertig entschieden.“

Was Steinmeier zusätzlich unter Druck setzt, ist der für jeden nachvollziehbare Schmerz des Guantánamo-Opfers. Kurnaz’ eindringliche Schilderung seiner Folter, sein Bericht von der fensterlosen Isolationszelle, in der ihm regelmäßig die Luftzufuhr abgedreht worden sei, die Beschreibung der Eisenketten, an denen ihn die Amerikaner aufgehängt hätten – all das macht aus dem politischen Fall eine menschliche Leidensgeschichte.

Vor diesem Hintergrund wirken die in der Süddeutschen Zeitung von Freitag und Sonnabend dokumentierten Versuche der Bundesregierung, Kurnaz’ Heimkehr nach Deutschland mit aller Macht zu verhindern, perfide und brutal. Steinmeier soll daran direkt beteiligt gewesen sein. Aus einem Aktenvermerk des Auswärtigen Amtes vom 26. Oktober 2005 – die abgewählte rot-grüne Regierung amtierte noch – geht hervor, dass die Sicherheitsbehörden selbst damals noch darauf hofften, „von US-Seite weitere Informationen gegen Kurnaz zu bekommen, die den Verdacht der Unterstützung des internationalen Terrorismus erhärten“. Der Verfasser des Vermerkes notierte außerdem, dass Steinmeier gegen eine „Wiedereinreise“ von Kurnaz nach Bremen sei.

Nicht nur Steinmeier schweigt bislang zu den Vorwürfen. Auch die Kanzlerin hat noch kein Wort gesagt. Angela Merkel weiß, dass nach Stoibers Abgang der Rücktritt eines ihrer wichtigsten Minister die große Koalition in ernsthafte Schwierigkeiten brächte. Obwohl es die Union andererseits gern sähe, wenn die SPD von ihrem moralisch hohen Ross fiele, auf das sie sich mit Schröders Nein zum Irakkrieg gesetzt hat. Genau aus diesem Grund steht ja die SPD bislang geschlossen hinter ihrem Außenminister. Parteichef Kurt Beck gab sich am Sonntag zuversichtlich, Steinmeier könne beweisen, „dass er auch in diesem Fall sich einwandfrei verhalten hat“.

Davon geht auch Steinmeier selbst aus. Seinen Sprecher ließ er am Wochenende mitteilen, er möchte im Untersuchungsausschuss „rasch das Notwendige klarstellen“. Als hätte er dazu nicht schon ausreichend Gelegenheit gehabt.

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