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Die Selfmade-Kommunen

Leipzig hat den Verkauf der Stadtwerke verschoben, Bergkamen eine eigene Firma zur Müllentsorgung gegründet. Zwei Beispiele von vielen

Die Gebühren für die Straßenreinigung sind in Bergkamen inzwischen um 25 Prozent gesunken

VON ULRICH SCHULTE UND DANIEL SCHULZ

Mike Nagler kämpft den Kampf seines Lebens. Es geht um Millionen Euro, es geht gegen das Kartell der Stromkonzerne, es geht um Energie für seine Heimatstadt. Der 28-jährige Architekt und Bauingenieur will mit seiner Bürgerinitiative den Verkauf der Stadtwerke Leipzig verhindern. „Betriebe der Daseinsfürsorge sollten nicht in den Händen privater Anbieter sein“, sagt er.

Jeder zwölfte Leipziger hat bisher gegen die Privatisierung unterschrieben, die Stadtverwaltung möchte jetzt einen Bürgerentscheid abwarten – das hat am Mittwoch der Stadtrat beschlossen. „Bürgerbeteiligung ist eine zentrale Säule der Demokratie“, sagte Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). Der Stadtrat werde nicht gegen den Bürgerwillen entscheiden. Ein erster Sieg für Nagler. Der Bürgeraufstand illustriert einen Trend. Bis vor wenigen Jahren galt der Grundsatz: Private wirtschaften effizienter. Reihenweise verkauften Kommunen ihre öffentlichen Unternehmen, um ihre Finanzen zu verbessern.

Doch seit einiger Zeit setzt ein Umdenken ein: Roland Schäfer, Präsident des Städte- und Gemeindebundes und hauptberuflich Bürgermeister von Bergkamen, hat „eine Bewegung von Gemeinden, die Unternehmen wieder rekommunalisieren“, beobachtet. „Statt dem Hang zur automatischen Privatisierung nachzugeben, machen die es lieber selbst.“ Viele Städte kaufen zurück – oder ziehen gleich einen neuen kommunalen Betrieb auf.

Städtebund-Präsident Schäfer hat es in Bergkamen vorgemacht. Mitte 2006 stieg die 52.000-Einwohner-Stadt im Ruhrgebiet, für die bis dahin eine Privatfirma den Müll abgefahren hatte, ins Entsorgungsgeschäft ein. Sie investierte 1,6 Millionen Euro, kaufte Seitenlader, Kehrmaschinen und stellte 12 Arbeiter an. Die Bergkamener profitierten: Die Gebühren für die Straßenreinigung sind seither um 25 Prozent gesunken, die für Müll um 12 Prozent. In anderen Städten des Kreises zahlen die Bürger 120 Euro mehr im Jahr für eine graue 120-Liter-Tonne. „Anstelle von Shareholder Value geht es bei uns um Citizen Value“, sagt Schäfer.

Der Entsorgungsbetrieb Bergkamen wirtschaftet so, dass er seine Kosten gerade deckt – Gewinne legt er auf die Gebühren um. „Bei uns sind die Wege kürzer als bei einem Privaten, der kilometerweit anfahren muss“, sagt Betriebsleiter Hans-Joachim Peters. Beschwert sich ein Bürger, wird die Tonne am gleichen Tag nachgeleert.

Schäfer ist ein Vorreiter der Rekommunalisierung. Bergkamen hat mit den Gemeinden Kamen und Bönen schon 1995 Stadtwerke gegründet und 1996 dem Multi VEW/RWE die Stromnetze für 50 Millionen Euro abgekauft. Die Gemeinschaftsstadtwerke versorgen 120.000 Einwohner mit Strom und Wärme, auch die defizitären Schwimmbäder und eine Eishalle sind in ihr aufgegangen. So kann der Betrieb Gewinne aus dem Stromgeschäft steuerlich mit Verlusten verrechnen – zum Vorteil der Kommunen. Jährlich schütten die Stadtwerke knapp 380.000 Euro an Bergkamen aus, sagt Chef Hermann Josef Görres.

Andere Kommunen und Landkreise folgten dem Beispiel. Ludwigshafen hat die Altpapiersammlung rekommunalisiert, der Rhein-Hunsrück-Kreis übernahm die ehemals private Müllabfuhr ab 2006. Der Kreis Lüneburg in Niedersachsen beauftragt eine kommunale Gesellschaft mit der Müllabfuhr, der Kreis Regen im Bayerischen Wald will die Müllentsorgung im nächsten Jahr umstellen. Durch Strategien mancher Privatfirmen müssen Kommunen doppelt zahlen. Einerseits verlangen einige Müllentsorger hohe Gebühren, zahlen aber andererseits so niedrige Löhne, dass die Stadt über Hartz IV Zuschüsse leisten muss. „Diese Gefahr drohte auch bei uns“, sagt Klemens Schmitz, Landrat im Kreis Uckermark. Der brandenburgische Kreis liegt direkt an der polnischen Grenze, die Arbeitslosenquote beträgt über 20 Prozent. Seit 2006 fährt ein kreiseigener Entsorger den Müll ab, was seit der Wende ein Privater erledigt hatte. „Wir sparen im Vergleich 2 Millionen Euro im Jahr und konnten die Müllgebühren konstant halten“, sagt Schmitz. Wichtig für die von Arbeitslosigkeit geprägte Gegend: 40 nach Tarif bezahlte Jobs.

Kommunale und private Müllentsorger machen in Deutschland einen Umsatz von 30 Milliarden Euro im Jahr. Der Branchenverband der Privatentsorger BDE sieht die wieder wachsende öffentliche Konkurrenz kritisch. „Es ist nicht Aufgabe des Staates, in einen funktionierenden Markt einzugreifen“, sagt Verbandssprecher Karsten Hintzmann.

Zwei Dinge ärgern die Privaten besonders: Kommunalfirmen sind von der Mehrwertsteuer befreit. Und die Selbstentsorger-Kommunen schreiben in der Regel das Müllgeschäft nicht aus, sondern beauftragen durch eine so genannte In-House-Vergabe direkt die eigene Firma. „Wir haben nichts gegen fairen und transparenten Wettbewerb mit Kommunalen – leider findet er im Moment nicht statt“, argumentiert Hintzmann.

In Leipzig beginnt jetzt der Wettbewerb um die Stimmen. Am 27. Januar werden die Leipziger über die Stadtwerke-Privatisierung entscheiden. Im ersten Schritt des Bürgerbegehrens haben bereits 42.000 Bürger gegen die Pläne von Oberbürgermeister Jung unterschrieben. Der französische Energieriese Gaz de France hat 520 Millionen Euro für 49,9 Prozent der Stadtwerke geboten, die Jahr für Jahr ein Plus von rund 40 Millionen Euro einfahren – die die Stadt zum Großteil in die Verkehrsbetriebe investiert. „Die Stadt hat kein Konzept vorgelegt, wie sie die Einnahmen ausgleichen will“, sagt Nagler von der Bürgerinitiative.

Oberbürgermeister Jung hingegen sieht den geplanten Deal als „Befreiungsschlag“ für die mit 900 Millionen Euro verschuldete Stadt. Er will das Geld nutzen, um Kredite der Stadt und der Muttergesellschaft, der Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft, zu tilgen und um in Kitas und Schulen zu investieren. „Ein kleines Stadtwerk kann nicht einer internationalen Entwicklung Paroli bieten – den steigenden Preisen, den rechtlichen Rahmenbedingungen, der Liberalisierung des Marktes durch die EU.“ Die Bürgerinitiative hingegen gibt sich selbstbewusst. „Das Thema beschäftigt die Leute sehr“, sagt Nager. „Darum werden wir das schaffen.“

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