Antiziganismus bei der Polizei: „Nicht vollständig vermeidbar“
Die Polizei klassifiziert eine abgewiesene Familie als Sinti und Roma. Das Innenministerium spricht von einem Einzelfall.
„Wir kritisieren die wiederholte Erfassung der Zugehörigkeit zu den Rom*nja oder Sinti*ze durch die Bundespolizei aufs Schärfste und fordern die Aufklärung und Einstellung dieser Praxis“, sagte Merdjan Jakupov, Geschäftsführer des Jugendverbands Amaro Drom. Er kritisierte eine „bis heute andauernde Praxis der Kriminalisierung und Verfolgung“ der Gruppen, die „zum Genozid an den europäischen Rom*nja und Sinti*ze während des Nationalsozialismus führte“.
Die Nennung sei in diesem Fall „fehlerhaft“ und sei „entbehrlich“ gewesen, räumt auch das Bundesinnenministerium (BMI) in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Linke) ein, die der taz vorliegt. Es handle sich um einen „Einzelfall“, die Mitteilung sei nicht mehr online. Es erfolge eine „Sensibilisierung“ in den Pressestellen der Bundespolizei.
Sinti*ze und Rom*nja kämpfen immer wieder mit dem Vorurteil, sie neigten zu Kriminalität – nicht zuletzt, weil just ihre ethnische Zugehörigkeit immer wieder in Pressemitteilungen der Polizei genannt wird. So hieß es etwa in der Polizeilichen Kriminalstatistik in Berlin 2017 zu einer Deliktgruppe, bei den Tatverdächtigen handle es sich „überwiegend um Angehörige der Volksgruppe der Sinti und Roma“. Und erst Ende August erging in der bayerischen Polizei eigentlich eine interne Dienstanweisung, eine solche Charakterisierung habe „grundsätzlich zu unterbleiben“. Eine systematische Untersuchung der Problemlage gibt es bislang nicht.
Bitte „Volkszugehörigkeit“ auswählen
Jelpke fragte auch nach der Erfassung als „Sinti“ oder „Roma“ in Datenbanken der Bundespolizei. Das BMI erklärte, im Vorgangsbearbeitungssystem könne aus einem Katalog die „Volkszugehörigkeit“ ausgewählt werden. Die Erfassung von Religion oder „einer Gruppenzugehörigkeit, welche zur Zeit des NS-Regimes systematisch verfolgt und sanktioniert wurde“, sei aber „nicht zulässig“.
Es gebe allerdings Freitextfelder – in diesem sei für die Jahre 2013 bis 2019 bei acht Personen das Wort „Sinti“ oder „Roma“ hinterlegt. Dies seien „individuelle Fehler in der Sachbearbeitung“. Wegen der Notwendigkeit von Freitextfeldern ließen sich diese „nicht vollständig vermeiden“. Das Bundespolizeipräsidium habe nun aber „erste Maßnahmen eingeleitet, um Fälle von unrechtmäßigen Erfassungen rückgängig zu machen“ und eine solche Eingabe künftig zu unterbinden. Auch werde man nochmals entsprechend sensibilisieren und auf die Vorschrift hinweisen.
„Eigentlich müssten hier die Alarmglocken schrillen“, sagte die Linken-Politikerin Ulla Jelpke der taz. Besorgniserregend sei, dass die Stabsstelle in München trotz kritischer Nachfragen „erst von ganz oben zurückgepfiffen werden musste“. Antiziganistische Ressentiments stellten „bis in die oberen Etagen der Bundespolizei hinein ein Problem dar“. Die Aussage, dass sich so etwas nicht völlig vermeiden lasse, sei „ein Armutszeugnis“.
Auch Anja Reuss vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma erklärte, es sei „nicht ausreichend, wenn die zuständigen Behörden auf die Fehlerhaftigkeit und Entbehrlichkeit der Zuschreibung hinweisen“ oder gar darauf verwiesen, dass man dies ja gar nicht dürfe. „Die Realität zeigt, dass Racial Profiling und rassistische Markierungen zur polizeilichen Praxis gehören und System haben“, sagte Reuss der taz. Man kooperiere mit verschiedenen Polizeischulen. „Diese Arbeit muss fortgesetzt und intensiviert werden.“
„Für die meisten Europäer kaum vorstellbar“
Das Grundproblem sei, „dass deutsche wie auch andere Polizeibehörden immer noch einen kausalen Zusammenhang zwischen Minderheitenzugehörigkeit und Kriminalitätsneigung annehmen und dementsprechend handeln“, sagte Markus End vom Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin.
Er verwies auf die Ermittlungen im Fall „Scara Rulanta“, bei denen Antiziganismus deutlich zu erkennen gewesen sei. So hieß es dazu 2016 in der Zeitschrift der Bundespolizei, die Tatverdächtigen schickten ihre Kinder aus Rumänien nach Deutschland auf „Klautour“: „Zum Stehlen nicht nur erzogen und ausgebildet, fühlen sich die Kinder vor allem moralisch ihren Eltern verpflichtet. In der Kultur der Roma besitzt die Verantwortung der Kinder für ihre Eltern einen außerordentlich hohen Stellenwert. Dies rührt auch daher, da ihnen im Kindesalter ein Wertesystem vermittelt wird, das für die meisten Europäer kaum vorstellbar erscheint.“
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