Antislawischer Rassismus in Deutschland: „Wir sind nicht Putin“
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine nehmen Anfeindungen gegen die russischstämmige Community in Deutschland zu.
Am Universitätsklinikum der LMU München kündigte eine Ärztin in einem internen Schreiben an, dass sie die ambulante Behandlung von russischen Patient*innen ablehne. Die Klinik distanzierte sich am Mittwoch in einer Pressemitteilung und erklärte, es handele sich um „eine einzelne, persönliche Meinung, die in einer sehr emotionalen Situation verschickt worden“ sei.
Vielfach kursieren Berichte über verbale Anfeindungen auf der Straße, im Netz und an den Schulen. „Leider machen Wut, Hass und Hilflosigkeit die Menschen ungerecht und undifferenziert. Das führt zu Diskriminierung von Unschuldigen“, sagt Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. Viele würden es angesichts des Krieges vermeiden, in der Öffentlichkeit Russisch zu sprechen – aus Scham und Wut über den Angriff, aber auch aus Sorge vor Ausgrenzung.
Die Zahl der Anfeindungen sei in den vergangenen Tagen stark gestiegen, besonders von den Schulen werde ihm von angespannter Stimmung unter den Schüler*innen und in den Kollegien berichtet. So berichtet eine Lehrerin aus dem brandenburgischen Fürstenwalde der taz von Schüler*innen aus russischsprachigen Familien, die sich von Mitschüler*innen und Lehrer*innen unter Druck gesetzt fühlten, sich verteidigen und zu der russischen Invasion positionieren zu müssen.
Schwer zu belegen
Was von den Berichten über Anfeindungen in den sozialen Medien stimmt und was nicht, lässt sich schwer eindeutig belegen. Der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sind bislang keine akuten Vorfälle aus den vergangenen Tagen bekannt, lediglich der eines Restaurants in Baden-Württemberg, das die Abweisung russischer Gäste verkündet hatte, das Statement aber kurz darauf wieder zurückzog, wie unter anderem der SWR berichtete.
Der Wiener Migrationsforscher Jannis Panagiotidis weist darauf hin, dass das Thema auch von bestimmten prorussischen Gruppen gezielt in den Sozialen Medien unterstützt werden könnte: „Es kam offenbar zu Vorfällen, ich sehe aber bisher keinen klaren Beleg für eine weit verbreitete antirussische Stimmung. Das Thema ist aktuell schwer zu bewerten, da es offenbar auch Gegenstand von Manipulationen wird.“
„Es ist egal, ob wirklich etwas passiert“, sagt Sergej Prokopkin. „Die Angst schränkt mich ja schon in meinem Leben ein. Ich handele nicht frei, psychologisch gesehen.“ Prokopkin ist Jurist und Antidsikriminierungstrainer mit dem Schwerpunkt postsowjetische Migration. Er erzählt von einer Freundin, die in einer Arztpraxis wüst als „Putins kleine Hure“ beschimpft worden sei. „Das geht gerade erst los, aber das wird sich verschlimmern. Es ist nicht nur aufgeheizte Stimmung, sondern das hat schon ein Fundament.“
Die Russen kommen
Julia Boxler vom Podcast „X3“ über die Erfahrungen von postsowjetischen Migrant*innen in Deutschland stimmt ihm im gemeinsamen Gespräch mit der taz zu und ergänzt: „Das ist nichts, was auf einmal passiert ist. Das ist was, was es schon immer gab, sowas wie ‚die Russen kommen‘“. Antislawische Ressentiments seien weit verbreitet und würden nicht aufgearbeitet.
Hinzu kommen vereinfachende Parallelen, die zwischen den Kriegsverbrechen des NS-Regimes und der Invasion in der Ukraine gezogen werden. In den Sozialen Medien taucht zum Beispiel an einigen Stellen der Satz „Russen sind die neuen Deutschen“ auf, ein Vergleich, der Gefahr läuft, die Situation zu vereinfachen und die russenfeindlichen Ressentiments anzuheizen.
„In Deutschland denkt man wieder an Kollektivschuld“, sagt Prokopkin. Dabei müsse man differenzieren: „Wir sind nicht Putin. Russland ist auch nicht Putin, viele Russinnen und Russen sind auch nicht Putin. Aber das klar zu trennen, das funktioniert hier irgendwie nicht. Deshalb müssen wir mit weiteren Übergriffen rechnen.“
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