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Antisemitismusvorwurf gegen Emcke„Haltlos und unangebracht“

Jüdische Intellektuelle verteidigen die Publizistin Carolin Emcke gegen Antisemitismusvorwürfe. Sie greifen vor allem die Springer-Presse scharf an.

Ihre Rede wird kritisiert: Carolin Emcke Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Berlin taz | Jüdische Intellektuelle und Künst­le­r:in­nen verteidigen in einer gemeinsamen Stellungnahme die Autorin Carolin Emcke gegen den Vorwurf des Antisemitismus. Unterzeichnet haben etwa der Pianist Igor Levit, die Philosophin Susan Neimann, der Autor Max Czollek, die Autorin Eva Menasse und der Comedian Shahak Shapira. Sie schreiben, in den Vorwürfen gegen Emcke zeige sich „die Verzerrung und Verdrehung von Tatsachen und die Lüge als mediale Methode.“

Die preisgekrönte und zivilgesellschaftlich engagierte Publizistin Emcke hatte am Wochenende auf dem Grünen-Parteitag über Falschmeldungen und rechte Hetze während des Bundestagswahlkampfs gesprochen. Dabei sagte sie: „Es wird sicher wieder von Elite gesprochen werden und vermutlich werden es dann nicht die Juden und Kosmopoliten, nicht die Feministinnen oder die Virologinnen sein, vor denen gewarnt wird, sondern die Klimaforscherinnen.“

Die Springer-Zeitungen Bild und Welt sowie Unions-Politiker:innen warfen ihr daraufhin Antisemitismus vor: Emcke habe das Leid jüdischer Menschen während des Holocaust verharmlost. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak schrieb auf Twitter von einer „unglaublichen + geschichtsvergessenen Entgleisung“.

Die Vorwürfe gegen Emcke bezeichnen die jüdischen Un­ter­zeich­ne­r:in­nen in ihrer Stellungnahme nun als „haltlos und unangebracht“. Sie schreiben: „Keiner ihrer [Emckes; Anmerkung d. R.] Sätze ist in irgendeiner Weise als antisemitisch zu werten.“ Die Kri­ti­ke­r:in­nen Emckes unterminierten „mit diesen aus dem Zusammenhang und aus der Luft gerissenen Vorwürfen den eigentlichen, wichtigen Kampf gegen den Antisemitismus.“

Weiter heißt es in dem Statement: „Auf die gemeinsame kulturelle Textur und politische Form gruppenfeindlicher Ressentiments hinzuweisen bedeutet mitnichten, den Antisemitismus zu verharmlosen oder alles irgendwie gleich, gar beliebig zu behandeln. Im Gegenteil.“

Insbesondere Bild und Welt werden im Text hart angegangen: Deren Au­to­r:in­nen hätten mit ihren Angriffen auf Emcke den Antisemitismusbegriff „instrumentalisiert, missbraucht, also entwertet.“ Die Behauptung, Springer setze sich konsequent gegen Antisemitismus ein, sei deswegen „hohl“.

Vielmehr diene der vermeintliche Kampf der Springer-Medien gegen Hass auf jüdische Menschen „als Alibi für ressentiment-schürende, teilweise regelrecht hetzende Berichterstattung gegen Muslim:innen, Geflüchtete – oder, wie in diesem Fall, gegen Menschen, die politisch nicht rechts stehen.“ Das Leben jüdischer Menschen in Deutschland werde so „lediglich als Munition in einem herbeigeschriebenen Kulturkampf genutzt.“

Aktualisierung Donnerstag 16.06.2021: Mittlerweile hat Paul Ziemiak seine Vorwürfe gegen Carolin Emcke zurückgenommen. Er habe ein „längeres + gutes Telefonat“ mit Emcke geführt, schrieb er am Mittwochabend auf Twitter. Und weiter: „Im Kontext ganzer Rede wird deutlich, dass sie Hass & Lügen gg. Juden nicht vergleicht od. verharmlost.“ [sic!]

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22 Kommentare

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  • Hat der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sich für seine grandiose Dämlichkeit, schon bei Frau Emcke entschuldigt? Ich denke nicht. Dazu wird ihm schlicht der Mut fehlen. Denn da müsste er ja quasi zugeben, dass er dumm genug war, sich an das Deppenblatt BILDblöd ranzuwanzen und ihm auf den Leim zu gehen.

    Es funktioniert immer wieder und sehr verlässlich. Springers Hetz- und Lügenblatt wirft mit Dreck, und die nützlichen Idioten machen gleich mit.

  • Ich würde mir ja wünschen, dass der Zentralrat auch mal Position beziehen würde. Denn es ist ja völlig richtig, dass der Springer den Vorwurf des Antisemitismus nicht nur instrumentalisiert, sondern auch abnützt. Ergebnis der reflexartigen, und im Fall Emcke völlig gegenstandslosen, Dauerempörung ist dann nämlich nicht mehr Achtsamkeit, sondern genau das Gegenteil. Ohnehin ist Springer zwar traditionell und damit glaubwürdig israelfreundlich und wachsam beim Thema Antisemitismus, nur ist die künstliche Aufregung im Fall Emcke offensichtlich fremdmotiviert und das nicht nur durch den Bundestagswahlkampf. Schon angesichts der überzogenen Attacken auf andere Medien im Zusammenhang mit den Angriffen auf Israel vor einigen Wochen kam man nicht um den Eindruck herum, dass vor allem die BILD mit ihrem angeschlagenen Chefredakteur gerade ziemlich wild um sich schlägt. Das Thema Antisemitismus ist aber eigentlich zu wichtig für solche Manöver.

  • Muss man denn immer alles eskalieren lassen? Braucht man nicht auf den Kontext achten? Ist das Ziel eines Diskurses eine Beschimpfung des angeblichen Gegners?

    Einige aktuelle Beispiele scheinen dies zu bestätigen. Bei allen Beispielen ging es um das Thema Antisemitismus. (Andere Themen funktionieren natürlich auch, aber wenn der maximale Empörungseffekt erreicht werden soll, ist der Vorwurf des Antisemitismus unschlagbar.)

    Carolin Emcke war es, die INSM (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft) mit ihrer Anzeigenkampagne gegen Annalena Baerbock auch. Hans-George Maaßen gehörte als Code-Verwender dazu, genauso wie Social Media-aktiven Fridays for Future - International. Alle eint eine Eigenschaft: sie sind Antisemititen -selbstverständlich nur, wenn man zum gegnerischen politischen Lager gehört.

    „Gegen den Hass“ lautet der Titel des Buches von Carolin Emcke, mein Buchtitel würde lauten: „Für das Miteinander“.

  • Leider lassen sich die Einlassungen des CDU-Generalsekretärs Zimiak nicht als bloßes Wahlkampfgeklingel abtun … sein Antisemitismusvorwurf hat durchaus Methode und knüpft an die unselige Tradition seines Amtsvorgängers Geißler an, der zu Beginn der 80er im (damals noch Bonner) Bundestag behauptete, die Pazifisten seien an Auschwitz schuld. Auch damals schon ging es um die ideologische Umdeutung historischer Verantwortlichkeit … heute sind es nach jener Lesart eben linke oder muslimische Antisemiten - deren Vorhandensein ich überhaupt nicht infrage stelle - die jüdisches Leben in Deutschland oder die Existenz des Staates Israel infrage stellen.



    Die geistige Urheberschaft des modernen völkisch-rassistischen Antisemitismus im Kontext des politischen Konservatismus und Nationalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts wird dabei geflissentlich ausgeblendet.



    Die Intervention der jüdischen Intellektuellen und Künstler kommt gerade zur richtigen Zeit, denn die inflationäre Instrumentalisierung des Antisemitismusbegriffs zu Zwecken der politischen Diffamierung des politischen Gegners muss nun wirklich Anlass zur Sorge geben … angesichts zunehmender rassistischer und antisemitischer Vorfälle in diesem Land.



    Herr Zimiak wird hier seiner Verantwortung in keiner Weise gerecht, wenn er derart mit dem Feuer spielt, traurig, aber leider wahr … von der Springer-Presse erwarte ich schon nichts anderes.

    • @Abdurchdiemitte:

      Selbstverständlich sind Pazifisten nicht Schuld an Ausschwitz. Aber befreit und beendet haben den Hitlerfaschismus und Ausschwitz Soldaten und nicht Pazifisten.

      • @Klempner Karl:

        Ja, Auschwitz wurde von Soldaten befreit … und zwar von denen der Roten Armee.



        Der Krieg gegen Hitler-Deutschland hat das Vernichtungswerk gegen die europäischen Juden in all den Jahren zuvor allerdings nicht verhindern können (oder wollen?).



        www.welt.de/geschi...bombardierten.html



        Ein schwieriges Kapitel der “Geschichtsaufarbeitung”.

    • @Abdurchdiemitte:

      Ich frag' mich grad, ob aus Paul//



      Durch Atavismus wird ein Saul//



      Paulinisches Trugschluss ist//



      Weil er redet so viel Mist.//



      //



      Die beste GeneralIn Sekretär//



      Wohl für den armen Laschet wär//



      Jemand, telegen in Not//



      Farbig brilliert auch in Rot.//



      //



      P. Z. ist gut einzuschätzen//



      Er kann sich auch selbst verletzen//



      Wenn er Emcke Carolin//



      Unterstellt den falschen Sinn//



      //



      Gegnern solches Leichtgewicht//



      Schadet mit Unwahrheit nicht//



      Er vielmehr zeigt pointiert//



      Wie ein Plan wird ruiniert.//



      //



      Er versucht diskreditieren//



      Landet eher beim blamieren//



      Wechselwähler anfixiert//



      Ungestüm und ungeniert.//



      //



      Abgerechnet wird in Zahlen//



      Spätestens im Herbst bei Wahlen//



      Und bestimmt ist ein Verlierer//



      Der König der Rohrkrepierer.//



      //



      MR

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Martin Rees:

        „Gegnern solches LeichtgewichtSchadet mit Unwahrheit nichtEr vielmehr zeigt pointiertWie ein Plan wird ruiniert.

        Wär' ja schön, Sie hätten Recht,



        doch Union und „Bild" sind schlecht.



        Da passt Paul Z. sehr gut ins Bild.



        Der Blutdurst ist noch nicht gestillt.



        Als Mastermind im Hintergrund



        wirkt N. Liminski. Jede Stund'



        denkt der sich Kampagnen aus



        für Armin Laschet, der daraus



        lustig hüpfend Nutzen zieht,



        derweil Frau Baerbock sich bemüht



        nicht Mats Hummels zu kopieren.



        Es ist so leicht, sich zu verirren.



        Ein falscher Schritt, schon ist’s gescheh’n –



        Jedoch die Show wird weitergehn.

  • Jetzt würde ich mir wünschen, dass die TAZ endlich diesselbe klare Kante aufbringt, wie die öffentlichen Unterstützer für Frau Emcke und endlich auch die Wiederwärtigkeit benennt, über diese Verdrehung auch gleich noch die Grünen und Annalena Baerbock zu besudeln! Na los, wo seid ihr, wie heisst der Kanzlerkandidat der Partei, für die ein Herr Zimiak so sprechen darf? Probleme mit der Professionalität? Ein Herr Seehofer hat, nach dem Schulterschluss mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland, derartigen Dreck nicht einmal mehr andeutungsweise versucht.

  • Mit dem Vorwurf des Antisemitismus wurde auch gegen den britischen Labour-Vormann Jeremy Corbyn viel hantiert.

    Im Rückblick wirkt das so:

    - Antisemitismus kommt auch in der Labour-Partei vor, und sollte nicht verharmlost werden



    - Bei Corbyn wurde eher Kritik an der Politik der israelischen Regierung mit Antisemitismus verwechselt



    - Und obendrein war das eine erstklassige politische Waffe ausgerechnet der britischen nationalistischen Rechten, die mehr als gelegentlich die Propagandatechniken der europäischen Faschisten, wie rhetorische Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen (z.B. Arbeitnehmer aus Osteuropa) und Aufbau virtueller Gegner, als Blaupause zu nutzen scheinen, gegen einen unliebsamen und letztlich gefürchteten politischen Gegner.

    Eine gute Frage wäre daher: Woher weht der Wind?

    • @jox:

      Ja nun, wo weht er denn her der Wind?

      Als die Sache mit Corbyn war, sind reihenweise Abgeordnete und einfache jüdische Mitglieder aus der Partei ausgetreten.

      Die britische Menschenrechtskommission erkannte eindeutig Antisemitismus bei Labour.

      Drei jüdische Wochenzeitungen hatten denselben Aufmacher und Kommentar:

      „Wir machen das wegen der existenziellen Bedrohung jüdischen Lebens in diesem Land, die von einer von Jeremy Corbyn geführten Regierung ausgehen würde.“

      taz.de/Antisemitis...itannien/!5519986/

      Die haben wohl alle etwas verwechselt, vor lauter Keule schwingen.

      • @Jim Hawkins:

        Die jüdelnden Corbynhasser haben viel mit Israel, aber wenig mit Judentum zu tun.

        • @Linksman:

          OK, "jüdeln" also.

          Das ist wohl ein Verb. Also:

          Ich jüdele



          Du jüdelst usw.

          Futur II:

          Sie werden gejüdelt haben.

          Aber was bedeutet nun "jüdeln"?

          Fragen wir Google, nein, fragen wir Startpage, nein, wir fragen DuckDuckGo.

          "Bedeutungen:

          [1] mit jiddischen Einschlag sprechen



          [2] sich aufführen wie ein Jude"

          Dann trifft wohl zwei zu, oder?

          Da haben sich Leute aufgeführt wie Juden, obwohl sie gar keine sind.

          Da stellen sich mir ein paar Fragen:

          Wie führen sich Juden auf?

          Warum führen sich Leute wie Juden auf, obwohl sie gar keine sind.

          Klären Sie mich auf.

        • @Linksman:

          "Jüdelnd"? Was ist das denn?

          • @Budzylein:

            Jüdeln kannte ich als Verb dafür, wenn jemand ohne einen jiddisch-sprachigen Hintergrund extra Tacheles, Gosch, usw. verwendet um sich anzubiedern, oft mit negativen Hintergedanken. Zum Beispiel bei Schindlers Liste (Film) der Mitarbeiter, der nebenbei in der NSDAP ist.



            Die Rechtschreibkorrektur schlägt übrigens jodeln vor.

    • @jox:

      Das Thema Corbyn und Antisemitismus bzw. Israelkritik würde ich in diesem Kontext lieber außen vor lassen, ansonsten stimme ich Ihnen aber zu.



      Paul Zimiak stellt sich mit seinen Einlassungen bloß in die “würdige” Nachfolge seines Amtsvorgängers Heiner Geißler mit seiner infamen Feststellung, die Pazifisten seien schuld an Auschwitz … ebenso wie einst die konservative Historikerzunft mit der These, der NS sei als Reflex auf den Stalinschen Terror zu interpretieren.



      Trotz der Scham über den Antisemitismus mancher linken Gesinnungsgenossen dürfen solche ideologischen Vereinnahmungen und Umdeutungen von rechter und konservativer Seite nicht unwidersprochen bleiben.

  • 2G
    24584 (Profil gelöscht)

    Ganz so einfach sollten wir uns das nicht machen. Tenor: Ich habe einen Persilschein, weil ich fünf jüdische Freunde habe und linke sich gegen Antisemitismus immunisiert fühlen. Das seid ihr leider ganz und gar nicht.



    Ist es nicht möglich, sich mit einem Argument inhaltlich auseinanderzusetzen, ohne die Person oder Institution zu diffamieren, die es vorträgt? Die geneigten linken Leser mögen doch bitte mal den Spiegel-Test machen: Wie sähen die Reaktionen aus, wenn ein konservativer Mensch sich so ausgedrückt hätte? "Hört auf die Wissenschaft" gilt irgendwie nur im Klimaschutz. Wenn das who is who der Ökonomen die Rentenreformen der letzten Jahre zerpflückt (Beirat des BMWi), werden die als Asoziale gebrandmarkt. Darf ich jetzt auch sagen, es wird wieder von Eliten gesprochen, aber nicht vor Juden wird gewarnt, sondern vor Ökonomen ...? Ich wette, da würde die taz sofort die braune Karte ziehen. Denkt mal drüber nach.

    • @24584 (Profil gelöscht):

      Volle Zustimmung!

    • @24584 (Profil gelöscht):

      Na sie listet die Leute auf, die wahlweise als Elite beschimpft werden, und sagt, *dieses Mal* (Thema Klimaschutz) werden es dann die Klimaforscherinnen sein, gegen die gehetzt wird. Stimmt doch auch.

  • Kommentar entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette.

  • Gelegentlich sind polarisierende Debattenbeiträge mit intendierter Sprengkraft wegen Unterkomplexität keiner weiteren Kommentierung würdig. P.Z. ist auf dieser Skala im Sprung an die Spitze. Wenn der erste fette Rohrkrepierer mit Wumms in der Parteizentrale einschlägt, werden die nervösen C-WahlkampfstrategInnen wohl wieder geerdet. Der Zustand permanenter Übererregung kann zur Entgleisung führen. Das ist aber eben nicht das Problem von Carolin Emcke, die ihre intellektuelle Überlegenheit auch niemandem beweisen muss. P.Z. spielt einfach nicht in ihrer Liga.

  • Danke für diese klaren Worte.