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Antisemitismus unter CoronaleugnernKitt der Demonstranten

Gastkommentar von Monty Ott und Ruben Gerczikow

Unter Relativierungen wie „Covidioten“ wächst eine gefährliche Bewegung heran. Sie bildet den Nährboden für antisemitische Gewalt.

Demonstration gegen Coronamaßnahmen im August in Berlin Foto: Jean-Marc Wiesner/imago

E ine Demokratie lebt vom Widerspruch. Auch außerparlamentarische Opposition gegen jede politische Entscheidung muss möglich sein. Doch so einfach ist es bei den „Hygiene-Demonstrationen“ nicht. Es handelt sich nicht um „Anti-Corona Proteste“. Protesten gegen das tödliche Virus würden sich sicher knapp 82 Millionen Menschen in Deutschland anschließen. Auch „Hygiene-Demonstrationen“ trifft den Kern der Mobilisierung nicht. Trotz der Lockerung der Maßnahmen im Sommer und der Rückkehr einer „neuen Normalität“ gingen die Demonstrationen nicht nur weiter, sie radikalisierten sich auch.

Lange wurde wieder von „besorgten Bürgern“ gesprochen. Inzwischen sollte jeder:m Beobachter:in klar sein, dass weder das Coronavirus an sich noch die Maßnahmen der Regierung im Fokus stehen. Die Forderung nach dem Sturz unseres politischen Systems ist dort inzwischen omnipräsent. Damit lässt sich nun bestätigen, wovor Kritiker:innen schon frühzeitig gewarnt haben: (struktureller) Antisemitismus wurde zum Kitt, der viele der heterogenen Demonstrationsteilnehmer:innen zusammenhält.

Vier Aspekte untermauern diese These: Verschwörungsideologien, Erinnerungsabwehr, die Heterogenität der Anwesenden und (neu-)rechte Hegemonie. Verschwörungsideologien können in so gut wie allen Fällen als antisemitisch verstanden werden. Komplexe Vorgänge werden auf üble Machenschaften einzelner Personen(gruppen) vereinfacht. Diese werden dann als das Unheil schlechthin verstanden – klassische Strukturelemente des Antisemitismus. Diesen Mächten steht in diesem Denken oft das “gute Volk“ gegenüber. Es soll hinters Licht geführt, verkauft oder vernichtet werden.

Vergleiche mit Anne Frank oder Sophie Scholl wiederum sind auf die, wie es Samuel Salzborn bezeichnet, „größte Lebenslüge der Bundesrepublik“ zurückzuführen: Die Vorstellung, dass es eine ehrliche und kritische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Zustimmungsdiktatur und dem Fortwirken von Ideologien wie Antisemitismus gegeben habe. Der Vergleich mit Opfern der Shoa oder Widerstandskämpfer:innen entspringt dem Bedürfnis nach einem Schlussstrich und einer „Wiedergutwerdung“ (Eike Geisel) Deutschlands.

Ruben Gerczikow

ist Vizepräsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) und Vizepräsident der European Union of Jewish Students (EUJS).

Monty Ott

schreibt seine Doktorarbeit zu queer-jüdischem Leben. Beide engagieren sich gemeinsam im jüdisch-aktivistischen Medienprojekt „Laumer Lounge“.

Demonstrant:innen durch gemeinsamen Feind geeint

Auch die Heterogenität der Teilnehmer:innen, die schon den Namen „Anti-Corona-Querfront“ herbeiführte, ist ein hilfreiches Indiz. In Deutschland diente der Antisemitismus für unterschiedliche Interessengruppen als Klammer. Völkische Denker:innen nutzten ihn, um die unterschiedlichen Nationalismen zu einen. Und auch für die nationalsozialistische Ideologie wurde er zum zentralen Element der Werdung der Volksgemeinschaft.

Die unterschiedlichen Interessen treten hinter dem eschatologischen Endkampf zurück. Ernst Simmel dachte, dass Juden dabei „die Rolle des absoluten Feindes“ haben, gegen den sich Antisemit:innen als „Abwehrbewegung“ verstehen. Die Demonstrationen erscheinen als heterogen, aber in ihrem Selbstverständnis werden die Teilnehmenden durch ihren gemeinsamen Feind geeint.

Ein Blick auf die zentralen Persönlichkeiten und die Strategien (neu-)rechter Bewegungen lässt deutlich erkennen, warum Rechtsradikale und -extreme hier an Boden gewinnen. Götz Kubitschek gilt als Vordenker der Neuen Rechten in Deutschland. Seine Strategie des Loslösens vom klassischen Nationalsozialismus hat der radikalen Rechten viel Auftrieb beschert.

Wie die Neue Rechte, haben auch aktive Neo-Nazi-Strukturen neue Kommunikationsformen gefunden. Beispielsweise wenn es um die vermeintliche „jüdische Weltverschwörung“ geht. In diesem Weltbild überschneiden sich die Illusionen der radikalen Rechten mit denen der verschwörungideologischen Teilnehmenden der aktuellen Proteste. (Strukturellen) Antisemitismus oder Rechtsradikalismus will bei den Demonstrationen in Berlin und Leipzig niemand gesehen haben.

Kosmopolitisch, Deep State und Hochfinanz

Dabei tauchen in den Narrativen der „Querdenker“ regelmäßig drei Begriffe auf: kosmopolitisch-globalistisch, Deep State (tiefer Staat) und Hochfinanz. Sie finden sich auf Transparenten von Demonstranten oder in Chatgruppen auf Telegram. Und sie haben Tradition, wie ein Blick in die Vignetten der Sammlung Wolfgang Haney ab 1880 verrät.

Der Satz „Die Juden haben keine rechte Heimat. Sie haben etwas Allgemein-Europäisches-Kosmopolitisches; sie sind Nomaden. Bismarck.“ stand bereits 1909 auf einer Postmarke. Auf einer frühen NSDAP-Klebemarke von 1918: „Die internationale Solidarität kann nicht flöten gehen – konnte nicht flöten gehen – sie war noch nie da. Vorhanden war immer nur die Solidarität der jüdischen Führer, der internationalen Volksbegaunerer.“

In diesen Narrativen werden seit langem Wörter wie kosmopolitisch, globalistisch, internationalistisch oder heimatlos mit Jüdinnen:Juden verknüpft und Bilder „jüdischer Macht“ reproduziert. Auch der völkisch-antisemitische Publizist Theodor Fritzsch schrieb, was heutzutage möglicherweise der QAnon-Verschwörungsideologie und der Idee vom Deep State zuzuordnen wäre: „Der Jude arbeitet am inneren Ausbau des Staates mit wie die Made am inneren Ausbau des Apfels.“ Und das NSDAP-Mitglied Gottfried Feder prägte unter anderen den Begriff der „jüdisch-internationalen Hochfinanz“.

Diese Begriffe finden sich zuhauf in Telegramgruppen radikaler Rechter, Esoteriker:innen, Impfgegner:innen, fundamentalistischer Christ:innen. Sie fungieren als Dog-Whistling und bleiben meist ohne juristische Konsequenzen durch Paragraf 130 StGB. Das machen sich Antisemit:innen aller Couleur zu nutzen. Unter Relativierungen wie “besorgte Bürger“, „Covidioten“ oder „Schwurbler“ wächst hier eine gefährliche Bewegung heran, die den Nährboden für antisemitische Gewalt bietet.

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5 Kommentare

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  • Sicher, unter den Covidioten laufen auch viele üble Rechtsextreme mit rum. Aber genauso wie deren Gleichstellung mit den Geschwistern Scholl eine üble Relativierung ist, ist die Gleichstellung von jenen Covidioten, die gerade mal Corona für eine harmlose Grippe halten, mit Nationalsozialisten ebenfalls eine üble Relativierung und Verharmlosung des Nationalsozialismus.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Rudolf Fissner:

      Sehe ich auch so. Im Nationalsozialismus war eine Menge Esoterik drin, aber doch wohl auch ein bissel mehr und andere Ideologie.



      Meine Bekannten, die Hardcore-Impfgegner sind, waren auf Waldorfschulen, sind aber keine Antisemiten. Es sei denn, die Unterstützung syrischer Flüchtlinge zählt heute schon zum Antisemitismus, weil Araber usw.

  • Corona ist doch nur der Aufhänger. Wenn das erstmal vorbei ist, werden diese Leute sich (wieder) auf andere Dinge stürzen. Das Problem heißt "alternative Medien" oder besser rechte/rechtsesoterische/antisemitsiche Medien, die sich als Alternative präsentieren, deren Protagonisten das Internet aggressiv und erfolgreich als Propagandaplattform nutzen. Das kann man schon sehr lange wachsen sehen und diese "Querfront" (oder wie auch immer) Tendenzen sind schon lange unter verschiedenster Flagge (Friedensdemos, Pegida, etc.) zu finden.



    Man hat bis heute kein wirksames Mittel gegen "den Hass im Netz", rechte Trollkultur und Desinformationskampagnen gefunden. Und mit dem exzessiven Gebrauch von Beschreibungen wie "Covidioten" wird man dem Thema nicht im Ansatz gerecht. Man treibt eher noch Kritiker mit ungefestigtem Weltbild in die Arme dieser Leute.

    • @Deep South:

      Aber für diese Medien muss es ja auch ein ansprechbares Publikum geben, welches emotional und inhaltlich für diese "alternativen" Medien erreichbar ist. Dabei ist ja unter anderem auffällig, dass generell erstmal diejenigen für den ganzen Covidioten-Scheiß empfänglich sind, die sich eh schon in irgendeiner Art und Weise von dieser Gesellschaft verabschiedet haben: Nazis, Neue Rechte, Ostdeutsche Faschisten, Westdeutsche Anthros und andere Esoteriker, die Evangelikalen außem Erzgebirge und außem Südwesten, der eingeschnappte Teil der Russlanddeutschen, das ganze AfD-Pack usw. die waren emotional noch nie an die Demokratie gebunden und werden es rational auch nicht mehr werden.

    • @Deep South:

      Es sind aber nun mal Idioten.



      Zumindest in der Mehrzahl. Und diese werden von skrupelosen Rattenfängern für Geld und aus krankhaftem Geltungbedürfnis instrumentalisiert.



      Das Problem ist der Drang,vieler, komplexe Probleme auf einen einfachen Nenner herunter zu brechen.



      Dies ist aber nicht möglich in einer Welt mit fast 8 Milliarden Variablen.



      Und wenn sich diese Idioten dann ihre "Fakten" auf Facebook, Twitter etc. besorgen, weil da alles so schön einfach klingt und man/frau sich dann ihre Idiotenhirne nicht mehr mit Komplexität quälen müssen, kommt heraus, dass nur die Juden oder Moslems, oder Frauen oder Männer oder Frau Merkel oder oder, an allem Schuld sein müssen.



      Idioten sind Idioten und Faschos sind Faschos, deswegen muss man/frau sie auch solche benennen.