Antisemitismus-Resolution: Gefährdete Diskursräume
Die Antisemitismus-Resolution ist gut gemeint, aber nicht in jedem Fall gut gemacht. Sie schränkt die Debatten- und Wissenschaftsfreiheit ein.
D er Bundestag hat am Mittwoch einen Antrag von Union, SPD und Grüne und FDP debattiert, dessen Titel unstrittig klingt: „Antisemitismus und Israelfeindschaft an Schulen und Hochschulen entschieden entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern“. Wer möchte bestreiten, dass Antisemitismus an deutschen Schulen und Universitäten mit Entschiedenheit entgegengetreten werden sollte? Doch wer den Antrag genau liest, wird feststellen, dass er freie Diskursräume nicht schützt, sondern die Wissenschaftsfreiheit beschränkt.
Das liegt in erster Linie an der Verwendung der Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die die Bundestagsentschließung, wie schon bei der BDS-Resolution 2019 und bei vielen anderen Gelegenheiten, als alleinverbindlich erklärt, ob Antisemitismus vorliegt oder nicht. Die IHRA definiert Antisemitismus zunächst vage als „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden“. Laut der Definition richtet sich Antisemitismus gegen jüdische oder nichtjüdische Menschen, deren Eigentum sowie gegen jüdische Einrichtungen oder Institutionen der jüdischen Gemeinschaft.
ist kommissarische Leiterin des Kompetenzzentrums für das Recht arabischer und islamischer Länder am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht. Sie forscht zu Recht, Politik und Gesellschaft in Westasien und Nordafrika.
Mit Rückgriff auf die IHRA können sich also auch nichtjüdische Menschen als Opfer von Antisemitismus darstellen. Sich als Opfer einer spezifischen Form von Diskriminierung zu inszenieren, ohne selbst zu der betroffenen Gruppe zu gehören, ist ein Ausdruck weißen Privilegs. Es werden „neue“ Antisemitismusopfer konstruiert, die dem Kampf gegen Antisemitismus wertvolle Ressourcen entziehen. Die vagen und mehrdeutigen Formulierungen der IHRA-Definition öffnen der Willkür Tür und Tor, Kritik an der israelischen Politik als Kritik an Institutionen der jüdischen Gemeinschaft zu interpretieren und damit als antisemitisch zu diskreditieren.
Der Antrag arbeitet weiterhin mit dem Begriff der „Israelfeindschaft“, der „entschlossen entgegengetreten“ werden soll. Aber auch dieser Begriff ist unbestimmt. Wie soll das an Hochschulen umgesetzt werden? Wird es als antisemitisch oder als israelfeindlich oder als nichts von beidem gewertet werden, wenn eine Professorin den jüngsten Bericht von Amnesty International zitiert, der nach aufwendigen Recherchen zu dem Ergebnis kommt, dass Israel im Gazastreifen Völkermord begeht? Der Antrag schafft eine Grauzone für Willkürakte, weil nicht klar ist, was erlaubt und was verboten ist.
Wissenschaftler*innen werden diffamiert
Aus Sorge davor, als Antisemiten diffamiert zu werden, vermeiden Wissenschaftler*innen in ihrer Lehre, im kollegialen Gespräch und auch in der Forschung Reizthemen wie Völkermord, Apartheid und alles, was den Nahostkonflikt berührt. Diskussionen werden aus dem öffentlichen Raum in das Private verlagert. Das passiert ausgerechnet zu einer Zeit, in der wir in Deutschland mehr, nicht weniger Wissen über diese Themen benötigen. Die Bundestagsentschließung wird sehr wahrscheinlich Auswirkungen auf die Vergabe von Fördermitteln für die Forschung haben.
Zwar betont der Antrag zunächst, dass die Fördermittel des Bundes ausschließlich nach Kriterien wissenschaftlicher Exzellenz vergeben werden sollen, doch dieser Grundsatz wird im weiteren Verlauf aufgeweicht. Es wird auf einen Konsens unter Entscheidungsträger*innen in Wissenschaft und Forschung verwiesen, „dass wissenschaftliche Exzellenz und Antisemitismus einander ausschließen“. Das stimmt zwar, doch die Verwendung der IHRA-Definition als alleiniges Kriterium für Antisemitismus lässt befürchten, dass entweder die Haltung der Forscher*innen zur israelischen Politik oder der Untersuchungsgegenstand selbst Einfluss auf die Vergabe der Fördergelder haben werden.
Misstrauisch macht außerdem, dass der Antrag „den Einsatz“ von Ex-Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger lobt. Geleakte E-Mails aus ihrem Haus zeigen, dass geprüft werden sollte, ob Wissenschaftlerinnen, die das Recht der Studierenden der Freien Universität Berlin auf friedlichen Protest verteidigt hatten, Fördermittel entzogen werden können. Nun unterstützt der Antrag nachträglich dieses Vorgehen und provoziert damit Fragen zum Umgang mit und Respekt vor der Wissenschaftsfreiheit.
Wissenschaft soll objektiv und neutral sein
Wie soll der Wissenschaftsstandort Deutschland in Zukunft entwickelt werden? Soll für nicht-deutsche Kollaborationspartner die IHRA-Definition ebenfalls maßgeblich werden, falls das Forschungsprojekt mit öffentlichen Geldern finanziert wird? Der Antrag sagt, dass Unterstützer der BDS-Bewegung „keinen Platz“ an deutschen Wissenschaftseinrichtungen haben sollten. Aber viele Wissenschaftler*innen in arabischen Ländern unterstützen die BDS-Bewegung wenigstens teilweise, weil sie sie als das letzte gewaltfreie Mittel sehen, sich für Menschenrechte von Palästinenser*innen und ein Ende der israelischen Besatzung einzusetzen. Das sehen auch viele jüdische und auch israelische Wissenschaftler*innen so.
In Deutschland besteht eine große Skepsis gegenüber dem öffentlichen Intellektuellen. Wissenschaft soll objektiv und neutral sein und sich nicht in die Politik einmischen. Aber können sich Wissenschaftler*innen wirklich hinter Fußnoten verstecken? Es sollte nicht reichen, in zehn Jahren bei einer Konferenz Häppchen essend über die Durchführung und Konsequenzen eines dann womöglich durch den IGH bestätigten Völkermords an den Palästinensern zu debattieren. Forschung, die sich von der Lebensrealität abkoppelt, verliert ihre Relevanz.
Es darf auch nicht sein, dass sich Wissenschaftler*innen der Selbstzensur hingeben, sondern vom Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machen. Ein Recht, das nicht eingefordert wird, ist ein Recht ohne Bedeutung. In der aktuellen Lage benötigen Wissenschaftler*innen den Mut, kontroverse Diskussionen zuzulassen. Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen können hier einen wichtigen Beitrag leisten. Sie sollten Orte sein, an denen auch schwierige Themen offen, respektvoll und fundiert verhandelt werden. Die Flucht ins Private ist eine Sackgasse.
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