Antisemitismus-Bericht von Rias: Erwartbare Rekordzahlen
Die Zahl der antisemitischen Gewalttaten ist seit dem 7. Oktober 2023 sprunghaft angestiegen. Der Hass ist parteiübergreifend.
E s ist ein neuer Rekord, höchst alarmierend, aber leider nicht überraschend: 2024 hat die Meldestelle Rias 8.627 antisemitische Vorfälle verzeichnet, 77 Prozent mehr als im Vorjahr. Das entspricht etwa 24 Vorfällen pro Tag, wie aus dem neuen Jahresbericht der NGO hervorgeht, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. Die Zahlen sind nicht überraschend, denn Antisemitismus gehört seit dem 7. Oktober 2023 zum bedrohlichen Alltag vieler Jüdinnen und Juden, und zwar nicht nur in Deutschland.
Diese Dynamik setzte sich auch 2024 aggressiv fort, entfacht von den verheerenden Bildern aus Gaza – mit keinem Ende in Sicht. Die Shoah wird kleingeredet, Auschwitz mit Gaza gleichgesetzt, Hamas-Symbole angeeignet, Terror zu Widerstand verklärt, und „die Juden“ werden zu den „neuen Nazis“ erklärt. Es kommt dabei zu körperlicher Gewalt, Bedrohungen, gar Anschlägen. Das Ergebnis: Viele Jüdinnen und Juden verstecken ihre Identität in der Öffentlichkeit, viele Israelis sprechen kein Hebräisch mehr auf der Straße, viele jüdische Studierende bleiben dem Campus fern.
Höchst alarmierend ist die gesellschaftliche Breite des Problems. Der Rias-Bericht verzeichnet auch einen Höchststand rechtsextremer antisemitischer Vorfälle seit 2020: Nazis verherrlichen den Holocaust, so wie immer. Und die Schuldkult-Logik der AfD findet immer mehr Resonanz. Aber vor allem ein tief sitzender Hass auf Israel als jüdisches Kollektiv, befeuert von antisemitischen Tropen und Ressentiments weit entfernt von jeglicher legitimen Kritik, verbindet Menschen spektrumübergreifend – von Islamisten bis Linken.

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Statt diesen grassierenden Antisemitismus zu bekämpfen, wird jedoch über die Bekämpfung selbst gestritten, wird um die „richtige“ Definition gerungen, als könnte man Judenhass einfach wegdefinieren. Rechte sehen Antisemitismus allzu oft nur bei Linken und Islamisten, Linke ihn nur bei Rechten. Wenn dieser Kurs sich nicht ändert, darf sich niemand wundern, wenn Rias nächstes Jahr einen neuen Höchststand antisemitischer Vorfälle verkündet.
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