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Antisemitismus-Bericht von RiasErwartbare Rekordzahlen

Nicholas Potter
Kommentar von Nicholas Potter

Die Zahl der antisemitischen Gewalttaten ist seit dem 7. Oktober 2023 sprunghaft angestiegen. Der Hass ist parteiübergreifend.

Das Hamas-Symbol als Graffiti an einer Wand der Humboldt-Universität Foto: Getty Images

E s ist ein neuer Rekord, höchst alarmierend, aber leider nicht überraschend: 2024 hat die Meldestelle Rias 8.627 antisemitische Vorfälle verzeichnet, 77 Prozent mehr als im Vorjahr. Das entspricht etwa 24 Vorfällen pro Tag, wie aus dem neuen Jahresbericht der NGO hervorgeht, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. Die Zahlen sind nicht überraschend, denn Antisemitismus gehört seit dem 7. Oktober 2023 zum bedrohlichen Alltag vieler Jüdinnen und Juden, und zwar nicht nur in Deutschland.

Diese Dynamik setzte sich auch 2024 aggressiv fort, entfacht von den verheerenden Bildern aus Gaza – mit keinem Ende in Sicht. Die Shoah wird kleingeredet, Auschwitz mit Gaza gleichgesetzt, Hamas-Symbole angeeignet, Terror zu Widerstand verklärt, und „die Juden“ werden zu den „neuen Nazis“ erklärt. Es kommt dabei zu körperlicher Gewalt, Bedrohungen, gar Anschlägen. Das Ergebnis: Viele Jüdinnen und Juden verstecken ihre Identität in der Öffentlichkeit, viele Israelis sprechen kein Hebräisch mehr auf der Straße, viele jüdische Studierende bleiben dem Campus fern.

Höchst alarmierend ist die gesellschaftliche Breite des Problems. Der Rias-Bericht verzeichnet auch einen Höchststand rechtsextremer antisemitischer Vorfälle seit 2020: Nazis verherrlichen den Holocaust, so wie immer. Und die Schuldkult-Logik der AfD findet immer mehr Resonanz. Aber vor allem ein tief sitzender Hass auf Israel als jüdisches Kollektiv, befeuert von antisemitischen Tropen und Ressentiments weit entfernt von jeglicher legitimen Kritik, verbindet Menschen spektrumübergreifend – von Islamisten bis Linken.

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Statt diesen grassierenden Antisemitismus zu bekämpfen, wird jedoch über die Bekämpfung selbst gestritten, wird um die „richtige“ Definition gerungen, als könnte man Judenhass einfach wegdefinieren. Rechte sehen Antisemitismus allzu oft nur bei Linken und Islamisten, Linke ihn nur bei Rechten. Wenn dieser Kurs sich nicht ändert, darf sich niemand wundern, wenn Rias nächstes Jahr einen neuen Höchststand antisemitischer Vorfälle verkündet.

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Nicholas Potter
Redakteur
Nicholas Potter ist Redakteur bei taz zwei (Gesellschaft/Medien). 2024 war er Fellow des Internationalen Journalistenprogramms bei der Jerusalem Post. Im selben Jahr wurde er für den Theodor-Wolff-Preis nominiert. Seine Texte sind auch im Guardian, Tagesspiegel, der Jüdischen Allgemeinen und der Haaretz erschienen. Er ist Mitherausgeber des Buches "Judenhass Underground" (2023).
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7 Kommentare

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  • ""Erwartbare Rekordzahlen -- der Hass ist übergreifend""



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    Na Bravo - dann hat ja Hamas, Hizbolla, Houthis und der Iran alles erreicht was die 3 Terrororganisationen und der Terrorstaat erreichen wollen: Niemand spricht mehr über den 7.Oktober, niemand fragt sich was in Gaza seit 2007 eigentlich passiert ist und der Hamasterror seit Jahrzehnten spielt keine Rolle mehr in der Diskussion.

    Das Hamas und der Iran weiterhin für die Auslöschung Israels kämpfen darüber spricht auch niemand - schliesslich geht es um die Delegitimierung des Staates Israel - und dabei machen alle mit - und im Land der grausamen unerbittlichen Täter klatscht der Antisemitismus Hamas und dem Iran Beifall - aber niemand will es so genau bemerken was & warum da gerade passiert.

    Wenn schon Roderich Kiesewetter als Absteiger aus der 1. Garde



    der Gestalter bundesrepublikanischer Ostpolitik - ist nun auch als ernst zunehmender Mahner im Palästinakonflikt erhältlich.

    www.juedische-allg...ie-befreit-werden/

    • @zartbitter:

      Seit dem 07. Oktober 2023 läuft alles prima nach der Regie von Teheran.

      Ausnahme: Israel war zu gut im Besiegen der Hizbollah wodurch Teherans Statthalter Assad in Syrien geschlagen und Syrien frei wurde.

      Dafür ist der globale Antisemitismus seit 1945 auf einem neuen Gipfel. Teheran darf jubeln.

      Danke für den Kiesewetter-Link. Ausgezeichnet.

  • Danke Herr Potter für Ihre Stimme.

    "von den verheerenden Bildern aus Gaza"

    Hier muss ich widersprechen.

    Über eine halbe Millionen Menschen starben im Syrienkrieg

    Kaum Demos, keine Unibesetzungen, keine Politiker die zweifelhafte Posts raushauen oder Hochschulleitungen die sich dazu äußern

    Sudan: über 150.000 tote Zivilisten. Gleiches Spiel

    Niemanden triggern tote Menschen, sondern lebende Juden

  • "Diese Dynamik setzte sich auch 2024 aggressiv fort, entfacht von den verheerenden Bildern aus Gaza."

    Jüdische Menschen wurden bereits in der vorchristlichen Antike verfolgt und ermordet und seit dem wieder und wieder und wieder; auch bereits bevor es Gaza und Israel gab. Die Bilder aus Gaza dafür verantwortlich machen zu wollen, ist meiner Meinung nach eine Ausrede.

    Desweiteren frage ich mich, weshalb führen die Bilder der Geiseln, der Särge der Geschwister Bibas, der Parade halbtoter jüdischer Menschen, Shani Louk durch die jubelnden BürgerInnen -Menge in Gaza, nicht dazu, sich mit jüdischen/israelischen Menschen zu solidarisieren.



    Mir ist nicht bekannt, dass auf pro-israelischen Demonstrationen zum Mord an arabischen/muslimischen Menschen aufgerufen wird.

    • @*Sabine*:

      Sie schreiben "Mir ist nicht bekannt, dass auf pro-israelischen Demonstrationen zum Mord an arabischen/muslimischen Menschen aufgerufen wird." Erinnern Sie sich noch an Amsterdam, oder Jerusalem Day ?

      • @Jo Lang:

        Und?

        Auf welchen proisraelischen Demonstrationen in Amsterdam oder sonstwo in Europa am Jerusalem Day oder an einem anderen Tag wurde zu Mord an Arabern oder Muslimen aufgerufen?

        Wenn Sie Andeutungen machen, müssen Sie auch konkret werden,

        Sonst kommt das als Fake rüber.

      • @Jo Lang:

        Amsterdam und der Quds Tag sind Versuche von politisch Verirrten Legitimität durch Gewaltbereitschaft & Antisemitismus zu gewinnen.



        ===



        Al-Quds-Marsch“ in Berlin: Antisemitischer Propagandazug ist eine Schande und darf nicht unwidersprochen bleiben.

        www.spdfraktion-be...e-schande-und-darf

        Gewalt in Amsterdam: Was wir über die antisemitischen Attacken in Amsterdam wissen



        In Amsterdam attackierten nach einem Fußballspiel Palästina-Unterstützer gezielt jüdische Fans.

        www.zeit.de/gesell...us-israel-fussball