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Antifaschistische VögelSingvögel im Widerstand

In Karlsruhe lernen Amseln und Co. dank einer Kunstinstallation antifaschistische Protestsongs – und könnten so zu gefiederten Widerstandssängern werden.

Singende Amsel, bald auch mit Bella ciao im Repertoire Foto: Gerd Harder/&imageBROKER/imago

Der Schnattertölpel, um mal kurz literarisch zu werden, ist so etwas wie eine geklonte biologische Abhördrohne der Obrigkeit. Eingesetzt wird sie in der Dystopie „Die Tribute von ­Panem“ vom finsteren Präsidenten Coriolanus Snow. Der Tölpel soll dem unterdrückten Volk aufs Maul schauen und das Gehörte an das Unterdrückungssystem weiterzwitschern. Doch das Projekt scheitert im Roman. Stattdessen vögelt der freigelassene Retortentölpel wild in der Wildnis umher, und es entsteht: der Spotttölpel. In der weiteren Geschichte der „Hunger Games“ wird diese neue Vogelart zum Symbol des Widerstands. Denn der Spotttölpel kann Lieder und Töne perfekt imitieren und verbreitet sie frei in der Welt.

Wenn in Karlsruhe demnächst die Amsel und sonstige Singvögel „Bella ciao“ von den Dächern pfeifen, liegt das nicht daran, dass sie sich den Spotttölpel zum Vorbild genommen hätten. Es liegt an Dennis Siering. Der Frankfurter Künstler hat, wenn man so will, ein kleines weltanschauliches Schulungszentrum für gefiederte Genossen installiert. Sie sollen Protestsong hören, lernen und in ihr Repertoire aufnehmen.

Gleich hinter dem Karlsruher Schloss und unweit des Bundesverfassungsgerichts hat er eine solarbetriebene Musikanlage in den Baum gehängt und beschallt täglich von 8 bis 11 und von 18.30 bis 20 Uhr Mensch und Tier im Park mit synthetisch erzeugtem Vogelgezwitscher. Wenn man ein bisschen genauer hinhört, pfeift es the Antifa’s greatest hits.

Die Demo­schlachtrufe wie „Siamo tutti antifascisti“ und „Bella ciao“ wurden am Computer mit KI und echtem Vogelgezwitscher gekreuzt – fertig ist die poetische Agitpropinstallation. Oder mit den Worten des Künstlers: „Die Installation eröffnet nicht nur zahlreiche Fragen hinsichtlich des Austauschs zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Lebensformen sowie den tiefgreifenden Wechselwirkungen von Technologie und Natur. Gleichzeitig ist die Installation auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wiederaufleben nationalistischer und neofaschistischer Ideen.“

Wofür mussten unsere gefiederten Freunde in der Geschichte nicht schon alles herhalten: Falken als Jäger, Lerchen als Vorläufer der Spieldose. In Berlin wurde in den hedonistischen 2000er Jahren das Gezwitscher von Staren mal als Klingelton vermarktet.

Die Amsel ist besonders talentiert

Jetzt sollen sie also linke Protestsongs lernen. Wenn das Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hört. Denn man weiß: Vögel lassen sich von ihrer Umwelt leicht beeinflussen. In letzter Zeit wurde dies auch, bitter genug, in den Kriegsgebieten der Ukraine beobachtet, wo die Vögel gelernt haben, Sirenengeräusche nachzuahmen.

Die unscheinbar braunschwarze Amsel, zur Familie der Drosseln gehörend, ist besonders talentiert, Umgebungsgeräusche nachzuahmen und in ihr Repertoire aufzunehmen. In Karlsruhe wird das Amselrevier nach dem Schulungsprogramm also quasi zur antifaschistischen Schutzzone, die dann von rechtslastigen Reichsadlern oder allerlei kriegerischen Falken weitläufig umflogen wird.

Das Projekt „Radical Climate Action Bird“ ist im Rahmen der Medienkunstausstellung „­Media art is here“ noch bis zum 14. September in Karlsruhe hinterm Schloss zu erleben. Ob die ersten Karlsruher Piepmätze die Protestsongs dann spätestens im Winter auf dem Weg nach Süden in aller Welt verbreiten und dann auch der Kreml und das Weiße Haus mit „Alerta, alerta, antifascista!“ beschallt werden? „The answer, my friend“, um es mit einem anderen großen Protestsänger zu sagen, „is blowing in the wind.“

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10 Kommentare

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  • Die meisten Amsel verlassen aufgrund der warmen Winter nicht mal mehr Deutschland.



    Und jetzt kommen zu dem Problem der hell erleuchteten Stadt in der Nacht auch noch ein paar Stündchen "musikalische Bildung" hinzu. Ja, das würde ich als große Kunst bezeichnen.

  • Ich glaube mein Schwein pfeift...

  • Guten Tag, Benno Stieber.



    Tiere ahmen etwas nach, Geräusche z. B.



    Vermutlich würden sie das auch mit Melodien von rechtsradikalen Bands tun. Was ist damit gewonnen?



    Darüberhinaus singen Menschen auch so einiges mit, ohne den Inhalt zu begreifen. Hinzu kommt, dass eine Melodie gar nicht an einen Text gebunden ist und jederzeit mit einem anderen Inhalt gefüllt werden kann ( Fragen Sie Gigi). Selbst ein Text kann so allgemein gehalten werden, dass ihn die Ärzte oder Störkraft mit der gleichen Selbstbestätigung singen können (Deine Schuld)



    Ich fürchte, hier geht es um eine Kunstveranstaltung ohne Kunst und ohne Wirkung. Oder aber die Künstlerinnen wollen genau das oben beschriebene zeigen?

  • Die lustige Tierwelt und ihre ernster Missbrauch. Warum lässt man die Tiere nicht Tiere sein und erhält bzw. schafft soviel natürliche und naturnahe Lebensräume wie möglich? Als Testfall für Empathie und Rücksichtnahme auf andere Lebensformen und Lebensentwürfe könnte so mehr über ein friedliches Miteinander und einen achtsamen Umgang mit anderen gelernt werden, als bei falscher Tierliebe, Gegendemonstrationen und pädagogischen Kunstprojekten. Nebenbei hätte wir alle was davon, denn mehr Natur ist das beste Mittel zur Eindämmung der Folgen des Klimawandels und eigne Naturanschauung das beste Mittel gegen den Irrglauben an den „Kampf ums Überleben“.

  • „Die Installation eröffnet nicht nur zahlreiche Fragen hinsichtlich des Austauschs zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Lebensformen sowie den tiefgreifenden Wechselwirkungen von Technologie und Natur. Gleichzeitig ist die Installation auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wiederaufleben nationalistischer und neofaschistischer Ideen.“

    Oder einfacher: Ich hab ner KI gesagt, dass sie Vogelgezwitscher und AntifaSongs mixen soll und hab das Ergebnis in nen Baum gehängt, um damit die heimischen Vögel zu nerven. Nur weil jemand etwas besonders eloquent ausdrücken kann, macht es das nicht zu einer künstlerisch-intellektuellen Veranstaltung. Die genervten Vögel würden mir vermutlich zustimmen. Nicht nur, dass ihr Lebensraum ohnehin immer knapper wird, nichtmal vor der Antifa haben sie nun ihre Ruhe.

    Ach ja, eins noch: Bob Dylan als "Protestsänger" zu bezeichnen, ist an Lächerlichkeit wohl kaum zu überbieten. Dem würde Dylan mit Sicherheit zustimmen (so wie er es damals gegenüber den Journalisten übrigens ebenfalls schon zigfach getan hat)...

  • Sorry, niemand sollte den wunderschönen Gesang der Amsel für welche Zwecke auch immer missbrauchen.

    Mehr Respekt vor der Natur wäre wünschenwert. Diese sollte nicht noch weiter durch was auch immer verhunzt werden.

  • Wir haben hier in der Siedlung eine Amsel die das Bestätigungsgeräusch des Scanners der Paketboten perfekt nachsingt ... warum also nicht auch "Bella ciao".

  • Also echt, wir nutzen die Natur in jeder denkbaren Weise aus, schränken die Lebensräume der Vögel ein, machen's ihnen schwer -- und jetzt sollen sie auch noch unsere Oberidioten für uns bekämpfen! Können wir wenigstens *das* nicht selbst machen? Lasst doch die armen Biester singen, was *sie* wollen! Das ist wahrlich schön genug.

    • @miri:

      Den Vögeln ist der Unsinn, den wir Menschen abziehen komplett regenwurmegal. Sie haben völlig recht, lasst die gefiederten Freunde außen vor. Wenn die Nazis kommen müssen die Demokraten selbst ran.

    • @miri:

      Jetzt werden schon die Vögel vorgeschickt, die wirklich nichts für die Nazis können.



      Die armen Vögel.



      Es gibt Luftgewehre und Zwillen.