Anschlag auf Flüchtlingsunterkunft: Prozess nach 31 Jahren
1991 brannte eine Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis, ein Bewohner starb. Nun steht ein Verdächtiger vor Gericht.
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Auf der Anklagebank sitzt der inzwischen 51-jährige Peter Werner S. Er wurde mit Handschellen gefesselt in den Gerichtssaal gebracht und wird „zu einem späteren Zeitpunkt“ selbst Stellung beziehen. In der Nacht zum 19. September 1991 soll der damals 20-Jährige im Treppenhaus der Unterkunft Benzin vergossen und angezündet haben. In der von ihm entfachten „Feuerwalze“ sei dann der 27-jährige anerkannte Asylbewerber Samuel Yeboah aus Ghana qualvoll gestorben, erklärte die Bundesanwaltschaft. S. habe dabei aus rassistischer und nationalsozialistischer Motivation den Tod aller 21 BewohnerInnen in Kauf genommen.
Ermittlungen 30 Jahre später wieder aufgenommen
Die Verteidigung reagierte mit einem heftigen Gegenangriff. Die Bundesanwaltschaft verlasse mit ihrer Anklage den Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens, sagte Anwalt Guido Britz und sprach von „Gesinnungsstrafrecht“. Sowohl zur Tat selbst als auch zu den seinem Mandanten unterstellten Motiven liefere die Anklage ausschließlich Vermutungen, die Vorwürfe nannte er „konstruiert“. Der Verteidiger bemängelte, dass sich die Anklage auf die Person des Angeklagten und seine angebliche Gesinnung richte und nicht auf die Tat, die im übrigen unbewiesen sei. Als Ziel der Verteidigung nannte er einen Freispruch.
Nach Verlesung der Anklageschrift und der heftigen Erwiderung zogen die Prozessbeteiligten vor das Gerichtsgebäude. Dort, vor der versammelten Presse, wies Oberstaatsanwalt Malte Merz die Lesart der Verteidigung entschieden zurück. Die Mordmerkmale des Strafgesetzbuches zielten gerade nicht nur auf die Tat selbst, sondern auch auf die Motive des Täters. Die rassistischen Motive des Angeklagten seien im Sinne des Mord-Paragrafen als „niedrige Beweggründe“ zu werten und müssten deshalb bereits in der Anklageschrift aufgeführt sein. Man werde dem Angeklagten die Tat nachweisen können, weil der sich mehrfach selbst bezichtigt habe, deutete Merz an.
Die Ermittlungen in dem Fall waren drei Jahrzehnte nach der Tat wieder aufgenommen worden, weil S. sich mit der Tat gebrüstet hatte. Der Schlagabtausch unter freiem Himmel lässt ein zähes Verfahren erwarten. Zwanzig Verhandlungstermine sind bereits festgelegt. Ende offen. Ein Indizienprozess ohne geständigen Täter ist so lange nach der Tat keine einfache Aufgabe.
Demo vor dem Gerichtsgebäude
Vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten am Mittwoch auch gut ein Dutzend AktivistInnen von Antifa-Saar und dem saarländischen Flüchtlingsrat. Das Aktionsbündnis kritisiert seit Jahrzehnten die mangelhafte Aufklärung einer mutmaßlich rechtsextremistisch motivierten Anschlagsserie, die in den 1990er Jahren das Saarland erschütterte. „Fatal“ nennt es Roland Röder, Geschäftsführer der Aktion 3. Welt Saar, dass Polizei, Staatsanwaltschaft, die Stadt Saarlouis und die jeweilige Landesregierung die rassistische Motivation der Tat in Abrede gestellt hätten.
Sarah Jost von Antifa-Saar drängte auf Aufklärung über den Prozess hinaus: „Neben diesem tödlichen Anschlag gab es damals mehr als 20 Bomben- oder Brandanschläge in Saarlouis und Umgebung, die nicht wirklich aufgeklärt wurden. Wir fordern deshalb die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses und die Entschädigung der Opfer“, sagte sie der taz. Das Aktionsbündnis fragt auch nach möglichen Mittätern und Hintermännern. Dafür interessiert sich auch die Verteidigung. In den Akten habe er hinreichend Hinweise auf andere mögliche Täter gefunden, sagte Rechtsanwalt Guido Britz bei der improvisierten Pressekonferenz vor dem Gerichtsgebäude.
Drei der Opfer des Brandanschlags, die verletzt oder traumatisiert wurden, haben Nebenklage erhoben. Sie wollen allerdings weder persönlich noch namentlich in Erscheinung treten. Den Prozess, den fünf BerufsrichterInnen verhandeln, verfolgen auch Vertreterinnen des Jugendamts Saarlouis sowie eine psychiatrische Gutachterin. Da S. zur Tatzeit 20 Jahre alt war, kommt auch eine Verurteilung nach dem Jugendstrafrecht in Frage. Nur in diesem Fall würde ein Strafurteil wegen Mords nicht lebenslange Haft bedeuten.
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