Anschläge vor Bundestagswahl: „Der Verdacht ist plausibel“
Sicherheitsbehörden prüfen, ob Russland mit den Anschlägen vor der Bundestagswahl zu tun hatte. Abgeordnete fordern mehr Gegenwehr der Neuregierung.
Sechs schwerste Gewalttaten, innerhalb weniger Monate. Es war stets die AfD, die die Taten politisch ausschlachtete. Und die bei der Bundestagswahl am 23. Februar dann ihr Ergebnis auf 20 Prozent verdoppelte, nun stärkste Opposition im Parlament ist. Kurz nach der Wahl folgte noch die PKW-Attacke eines Deutschen in Mannheim, mit zwei Toten. Seitdem ist die Reihe der Anschläge vorerst geendet.
Doch nun werden Fragen immer lauter: Ist diese Anschlagshäufung rund um die Wahl wirklich Zufall? Oder steckt mehr dahinter? Womöglich gar Russland, dem die Sicherheitsbehörden schon länger vorwerfen, einen hybriden Krieg in Europa anzuzetteln?
Es sind Fragen, die zunächst als Verschwörungsmythen abgetan wurden. Zu unterschiedlich waren die Taten und die Täter. In Aschaffenburg tötete ein psychisch Erkrankter, in Magdeburg ein schon viele Jahre in Deutschland lebender Psychiater, in München ein blitzradikalisierter Islamist. Aber unter Bundestagsabgeordneten wird die These der russischen Beeinflussung dieser Anschläge inzwischen nicht mehr gänzlich abgetan – und das parteiübergreifend.
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„Die Häufung ist auffällig“
„Die Vorgehen würde jedenfalls in den Modus Operandi Russlands passen, um für Verunsicherung in der deutschen Bevölkerung zu sorgen“, sagt der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. „Deshalb muss diesen Hinweisen nachgegangen werden.“ Auch der Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz erklärt: „Die Häufung der Anschläge um den den Termin der Bundestagswahl ist auffällig und deswegen sollten alle möglichen Hintergründe der Taten sehr ernsthaft geprüft und ausermittelt werden.“ Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle sagt: „Der Verdacht ist plausibel.“ Alle drei sitzen aktuell im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags, das regelmäßig vertraulich über die Arbeit der deutschen Geheimdienste informiert wird – auch der Liberale Kuhle noch, solange sich das Gremium noch nicht wieder neu konstituiert hat.
Der Modus Operandi Russlands, das waren zuletzt mindestens hybride Nadelstiche. Schon seit Monaten warnen der BND und das Bundesamt für Verfassungsschutz vor einem immer aggressiveren Auftreten Russlands und dortigen Kriegsvorbereitungen, die über die Ukraine hinausgehen. BND-Chef Bruno Kahl erklärte, Putin teste fortlaufend „rote Linien“ des Westens aus, „ohne jeglichen Skrupel“, und werde die „Konfrontation weiter eskalieren“. Deutschland sei erklärter „Feind“.
Auch der Verfassungsschutz warnte erst vor wenigen Tagen in einer Analyse vor „aggressiven Handlungen Russlands“, die Gefahrenlage habe sich „deutlich verschärft“. Der „Werkzeugkoffer“ sei dabei groß: Drohnenüberflüge über Militärgelände, gesteuerte Social Media Kampagnen, Cyberangriffe. Aber würde Russland auch zu Anschlägen anstacheln?
Behörden nehmen Verdacht „sehr ernst“
Die Sicherheitsbehörden gehen dieser These zumindest nach. In dortigen Kreisen wird betont, dass eine mögliche Steuerung der Anschläge durch russische Stellen „sehr ernst“ genommen und „fortwährend“ in die Lagebewertungen einbezogen werde. Aber: „Eine Verbindung der Sachverhalte ist nach derzeitigem Stand für uns nicht ersichtlich“, erklärt eine Sprecherin des Bundesamts für Verfassungsschutz. Gleiches hört man auch vom BKA und BND.
Auch ein Sprecher des Bundesinnenministeriums betont, dass die Ermittlungen „offen und in jede Richtung geführt“ würden. Es werde „sehr genau“ geprüft, ob es Zusammenhänge zwischen den Taten gebe und ob diese gesteuert worden sein könnten. Bisher aber gebe es dafür „keine belastbaren Anhaltspunkte“.
Das ZDF meinte diese Woche einen solchen Anhaltspunkt gefunden zu haben. Der Sender berichtete über Google-Suchanfragen aus Russland bereits vier Tage vor dem Messerangriff von Mannheim am 31. Mai 2024: nach „Terroranschlag in Mannheim“, „Michael Stürzenberger Anschlag“ oder „Michael Stürzenberger erstochen“. War Moskau also schon vor der Tat zumindest im Bilde?
Sicherheitsbehörden stellen die Vermutung deutlich infrage. Ergebnisse über Google Trends seien bei kleinen Stichproben wie in diesem Fall weder zeitlich noch örtlich genau zuordenbar, es würden nur Wahrscheinlichkeiten errechnet, heißt es dort. Ein Bezug sei so auch für andere Länder reproduzierbar, auch könnte die Suchanfragen letztlich doch nach der Tat getätigt worden sein.Die Methode sei „nicht valide einsetzbar“. Das Oberlandesgericht Stuttgart, wo derzeit der Prozess zur Messertat von Mannheim läuft, forderte LKA und Bundesanwaltschaft dennoch auf, mögliche Erkenntnisse zum Vorfeld der Frage mitzuteilen.
Auffällig: mehrere „blitzradikalisierte“ Attentäter
Auffällig ist, dass die Mannheim-Tat kurz vor der Europawahl stattfand. Und dass der Täter Sulaiman A. lange als gut integriert galt und sich dann plötzlich radikalisierte. Vor der Tat chattete A. auf Telegram auch mit einem „Gelehrten“ in Afghanistan – der ihm eine Art Freibrief zum „Töten“ erteilte. Wer dieser Gelehrte war und mit wem dieser wiederum in Kontakt stand, konnten die Behörden bisher nicht ermitteln. Aber auch in diesem Fall bleiben sie dabei: Konkrete Hinweise auf eine russische Einflussnahme gebe es bisher nicht.
Eine solche Blitzradikalisierung gab es jedoch auch im Fall des afghanischen Täters der PKW-Attacke von München, der zuvor als Fitnessinfluencer auftrat. Auch der Syrer, der am Berliner Holocaustmahnmal zustach, war vorher nicht mit extremistischen Taten aufgefallen. Warum sich die beiden so plötzlich radikalisierten, wirft für die Ermittler Fragen auf. Allerdings: Es war auch der Nahostkrieg, der zuletzt vielfach zuvor Unauffällige radikalisierte. Und immer wieder gibt es bei Anschlägen den Effekt, dass sich Täter von vorherigen Attentaten inspirieren lassen und so eine Kette an Taten folgt.
Dass Russland Wahlen in Deutschland im Visier hat, ist unstrittig, wie auch eine taz-Recherche zeigte. Die russische Desinformationsagentur „Social Design Agency“ (SDA) hatte in internen Dokumenten bereits zur Europawahl eine „umfassende Gegenkampagne gegen die liberalen Globalisten“ durchgeführt, mit Deutschland als einem Zielland – und im Anschluss über den damaligen AfD-Erfolg von 17 Prozent jubiliert.
Desinformation gegen die Bundestagswahl
Russische Desinformationskampagnen hatten auch die jüngste Bundestagswahl im Visier. Der Verfassungsschutz berichtet von „anhaltenden, auf die Wahl gerichteten Einflussnahmeversuchen“, die anstiegen, je näher der Wahltermin rückte. Mit dabei gewesen sei wieder die „Doppelgänger“-Kampagne der SDA, die sich gefälschter Nachrichtenseiten und Social Media Profile bedient. Dazu kam die Kampagne „Storm-1516“, die ebenfalls prorussische Beiträge verbreitete. Behauptet wurde etwa, Friedrich Merz habe psychische Probleme.
Und es bleibt nicht bei Desinformation. So war bereits im Juli 2024 am Flughafen Leipzig ein DHL-Paket explodiert, gleiches auch in Birmingham und Warschau, wofür russische Geheimdienste verantwortlich gemacht werden. Wäre dies in einem Flugzeug passiert, hätte es zu Toten kommen können. Kurz zuvor waren zwei Deutschrussen festgenommen worden, denen Anschlagspläne auf deutsche Kasernen vorgeworfen werden. Dazu kommen zerstörte Unterseekabel und eine „Schattenflotte“ in der Ostsee.
Zuletzt warnten BND und Verfassungsschutz auch vor dem Einsatz von sogenannten Low-Level-Agenten durch Russland: Kleinkriminelle, die über Social Media für einzelne Ausspäh- oder Sabotageaktionen angeworben und bezahlt würden – und deren Taten sich schwer zuordnen ließen. Solche „Agenten“ sollen hierzulande zuletzt auch für eine Sabotageserie an rund 270 Autos mit Bauschaum und für beschmierte Parteiplakate vor der Bundestagswahl verantwortlich gewesen sein. Bekannt ist auch, dass ein russischer Geheimdienst in Afghanistan bereits Jahre vor der Taliban-Machtübernahme Menschen Geld für Terroranschläge im Land angeboten haben soll.
„Es läuft sehr gut für Moskau“
Für die Bundestagsabgeordneten sind all das Indizien, die sie auch bei der jüngsten Anschlagswelle argwöhnisch machen. „Die Täter müssen ja nicht mal wissen, dass sie ihren Anschlag für Russland begehen“, sagt FDP-Mann Kuhle. „Hauptsache, sie tun es.“ CDU-Politiker Kiesewetter betont: Die politische Entwicklung nach der Wahl jedenfalls laufe im Sinne Moskaus. Die russlandnahe AfD sei gestärkt, die moskau-kritischen Grünen aus der Regierung ausgeschieden. „Es läuft sehr gut für Moskau“, so Kiesewetter.
Union und SPD kündigen in ihrem Koalitionsvertrag nun einen „Kampf gegen hybride Bedrohung“ an, mit einer Stärkung des BKA, um Spionage und Sabotage einzudämmen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik soll zur Zentralstelle für Cybersicherheit, der Zivilschutz gestärkt, eine Drohnenabwehr eingeführt werden. Dazu soll das ebenso schon lange diskutierte Gesetz zum Schutz der Kritischen Infrastruktur endlich kommen.Und die Sicherheitsbehörden bekommen neue Überwachungsbefugnisse wie die seit Jahren strittige Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojaner oder KI-Datenrecherchesysteme wie Palantir.
Konstantin von Notz überzeugt das nicht. „Insgesamt wird dieser Koalitionsvertrag den sehr ernsten sicherheitspolitischen Herausforderungen, mit denen wir uns weiterhin konfrontiert sehen, nicht ansatzweise gerecht“, kritisiert der Grüne. „Eine kohärente, moderne Sicherheitspolitik, die neue Bedrohungsszenarien mitdenkt und alle Akteure einbezieht, wird noch immer nicht verfolgt. Das ist bitter.“
Kritik am Koalitionsvertrag
Selbst CDU-Mann Kiesewetter ist nicht zufrieden. Zu hybriden Bedrohungen stünden im Koalitionsvertrag „sehr viele sinnvolle Maßnahmen, die jedoch noch nicht konkretisiert sind“, sagt er. „Mir persönlich bleiben etwa die Dringlichkeit und die konkreten Befugnisse im Bereich offensiver Cyberoperation, Abschreckung oder dem Abdrängen der Schattenflotte zu unklar.“
Auch brauche es für eine Gesamtverteidigung ausreichend Personal, „das nur durch einen Gesellschaftsdienst entsteht“, ebenso eine Priorisierung der Ressourcen. „Deshalb muss klar geregelt sein, dass eine Resilienz und operative Fähigkeiten gegen hybride Bedrohungen und Angriffe wichtiger ist als manche Klientelprojekte“, fordert Kiesewetter. Es bleibe abzuwarten, wie konkret die Pläne in diesem Bereich umgesetzt würden und vor allem wann.
Und Kiesewetter plädiert auch dafür, bei den Anschlägen vor der Wahl Klartext zu sprechen, sobald eine russische Einflussnahme belegbar sein sollte. „Wir müssen die Angriffe und Gefahren klar benennen und ihnen entschieden entgegentreten“, so der CDU-Mann. „Sonst wird Russland sein Austesten von uns immer weiter zuspitzen.“
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