Annäherung von Nord- und Südkorea: Mehr Frieden, aber keine Abrüstung
Nord- und Südkorea nähern sich einander an. Im Prozess zeigen sich jedoch Gegensätze zwischen den Regierungen in Seoul und Washington.
SEOUL taz | Endlich wird die entmilitarisierte Zone zwischen Süd- und Nordkorea ihrem Namen gerecht: Am Montag haben sich Seoul und Pjöngjang mit der UN-Waffenstillstandskommission darauf geeinigt, sämtliche Soldaten und Waffen aus der gemeinsamen Sicherheitszone Panmunjom abzuziehen. Bereits Anfang Oktober hatten beide Staaten mit einer großflächigen Minenräumung begonnen. Auch eine Flugverbotszone soll es bald geben.
Zweifellos hat Südkoreas Präsident Moon Jae In mit seiner Annäherungspolitik gegenüber Pjöngjang in den letzten Wochen große Fortschritte erreicht: Bereits drei Gipfeltreffen beider Staaten gab es in diesem Jahr. Bald wird Kim Jong Un voraussichtlich als erster Machthaber Nordkoreas überhaupt die südkoreanische Hauptstadt besuchen.
Auch wirtschaftlich haben die beiden Nachbarstaaten viel vor – unter anderem die Wiederinstandsetzung einer gemeinsamen Eisenbahnlinie, für die noch dieses Jahr der Spatenstich erfolgen soll. Bald werde man, so die Vision des linksgerichteten Präsidenten Moon, mit dem Zug von Seoul bis Berlin fahren können.
Im Vergleich dazu können die Denuklearisierungsverhandlungen nicht ansatzweise mithalten: Pjöngjang hat zwar mit symbolträchtigen Maßnahmen, darunter der Schließung einer Raketentestanlage, sein Atomprogramm derzeit praktisch eingefroren. Im Hinblick auf eine tatsächliche Abrüstung hat das Regime jedoch bisher keine nennenswerten Zugeständnisse gemacht.
„Weniger Sanktionen gleich mehr Denuklerarisierung“
Seine Strategie zur Ankurbelung des Abrüstungsprozesses machte Moon bei seiner jüngsten Europa-Reise deutlich: „Wir müssen den Denuklearisierungsprozess des Nordens beschleunigen, indem wir die UN-Sanktionen lockern“, sagte er letzte Woche bei seinen Besuchen bei Emmanuel Macron und Theresa May.
Dass der 65-Jährige ausgerechnet mit Macron und May traf, ist kein Zufall. Schließlich entscheiden Frankreich und Großbritannien als Mitglieder des UN-Sicherheitsrats über Sanktionen gegen Nordkorea.
Moon Jae In, Präsident Südkoreas
In Washington dürfte Moons Charme-Offensive bitter aufstoßen. Denn laut US-Experten sind die Sanktionen die letzte Karte, die man als Druckmittel gegenüber Nordkorea in der Hand habe. Viele hatten den sich abzeichnenden Riss zwischen Seoul und Washington längst prophezeit. Bisher traten die unterschiedliche Ansichten aber fast nur in diplomatischen Hinterzimmern auf. Nach außen demonstrierten beide, Moon und Trump, Einigkeit.
Dabei hat Trump zuletzt seine Sympathiepunkte in Seoul fahrlässig verspielt. Nachdem Südkoreas Medien berichtet hatten, Seouls Außenministerium denke über eine mögliche Lockerung seiner – wohlgemerkt bilateralen – Sanktionen gegen Nordkorea nach, konterte der US-Präsident in gewohnt ignorantem Duktus: „Die machen nichts ohne unsere Erlaubnis.“
Unter südkoreanischen Linken war dies erneut eine undiplomatische Erinnerung daran, unter den Fittichen geopolitischer US-Interessen zu stehen.
US-Forderungen gelten als unrealistisch und einseitig
Dass sich Nordkorea, wie von den USA gefordert, komplett nuklear abrüstet, ohne zumindest im Laufe des Prozesses wirtschaftliche Zugeständnisse und eine formelle Beendigung des offiziell noch andauernden Koreakriegs zu erhalten, wird von vielen nicht nur als unrealistisch eingeschätzt, sondern auch als hochgradig einseitig.
Scheinheilig ist die Forderung allemal, schließlich hat Trump erst am Montag erklärt, das eigene Nukleararsenal solange aufstocken zu wollen, bis die anderen Staaten „zur Vernunft“ kämen.
Südkorea und auch allen Nachbarstaaten mit Ausnahme Japans ist der innerkoreanische Friedensprozess zunächst wichtiger ist als die Atomfrage. Laut dem Korea Society Opinion Institute wollen über 86 Prozent der Südkoreaner ein Ende des Koreakriegs.
Für Europa stellen sich daher unangenehme Fragen: War man bislang in seiner Nordkorea-Politik sowohl im Einklang mit Seoul als auch Washington, wird es künftig darauf hinauslaufen, ob man dem Friedensprozess oder der baldigen Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel eine höhere Priorität beimisst.
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