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Weibliche KörperDie Pimmeljury ist überall

Ab der Pubertät wurde der Körper unserer Kolumnistin in geil oder hässlich kategorisiert wie ein Sneaker. Bis heute ringt sie mit ihrem Selbstbild.

Verschlungen wie die Luftwurzeln einer Monsterapflanze Foto: Kain Karawahn/fotofinder

G erade bin ich mal wieder in einer Phase meines Zyklus, in der mein Body mir zu viel vorkommt. Ich habe PMS (Prämenstruelles Syndrom), was bei mir dazu führt, dass ich Wuteinlagerungen kriege. Zwei, drei Kilo mehr sind keine Seltenheit, wobei ich schon länger nicht mehr auf die Waage gehe, es macht sich ja auch so bemerkbar. Ich habe ein ambivalentes Verhältnis zum Körperlichen seit meiner Pubertät. Als sich bei mir die Brüste entwickelten, trug ich nur noch Latzhose und schnitt mir die Haare ab. Ich wollte unter keinen Umständen zur Frau werden, denn dort, wo ich aufwuchs, hieß Weiblichsein: Schluss mit den Abenteuern, bei denen ich die Anführerin bin.

Mein Körper wurde zum Sneaker, den man kategorisierte in: Sieht geil aus oder hässlich, lame, igitt. Mit der Zeit aß ich nur noch grüne Äpfel, um so verführerisch zu werden wie die Magermodels in den Zeitschriften. Meine monatliche Blutung stoppte und zu Hause gab es ein Riesendramolett, aber mit meinem ersten Boyfriend stabilisierte sich mein Appetit, weil der Kurven super fand. Zur selben Zeit hörte ich mit allem auf, was ich liebte: In der Nase popeln, zu Prinz-Eisenherz-Comics masturbieren und um Spenden für den Tierschutzverein bitten, die ich dann in Bunte Tüten investierte. Ich ließ mir weizenblonde Strähnen färben (Julia-Klöckner-Style) und erklärte meinen Unterarmhärchen den Krieg, denn so etwas fanden die Jungs „eklig“.

Die Pimmeljury war überall. In meinem Jahrgang, bei den Falken, in der Uni, bei diversen Nebenjobs, sie ist unser Daily Business als Frau. Pickelige Halbstarke, Ärzte, Handwerker, Fahrlehrer, Boutiquebesitzer, Messegäste, Passanten, die einem durch ihre bröckeligen Auswürfe vermitteln, dass wir auf diesem Planeten nur erwünscht sind, wenn wir uns rasieren, epilieren, zurechtzupfen, aufspritzen, runterhungern, oder wenn wir hinter einer dicken Schicht Make-up verschwinden. It’s a Money Man’s World, Baby.

„Don't give a shit“

Doch selbst wenn man weiß, dass das misogyner Bullshit ist, steht man schon wieder vor dem Spiegel und stellt fest, dass die Schultern mit den Jahren schma­ler und die Hüften breiter geworden sind. Sieht das kleine Bäuchlein, wo vorher keines war, und immer noch mehr Cellulite an den Oberschenkeln, die man ja gerne mal in die Sonne halten würde, aber sich dann doch nicht traut, und sich dafür auch noch fertigmacht. Denn was bitteschön wäre bolder, als endlich zum eigenen Körper zu stehen? Nur, dann kickt halt wieder der Selbsthass rein und die Angst vor Abwertungen, die mit dem Alter ja eher mehr werden.

Mensch, sah ich mal fresh aus, denke ich, als ich über ein altes Foto stolpere. Funfact: Dasselbe werde ich vermutlich in zehn Jahren über mich heute denken. „Und jetzt?“, frage ich meine Monsterapflanze, mit der ich mir seit ein paar Monaten die Wohnung teile. Monsti bleibt erst mal sehr lange stumm. Vielleicht ist sie sauer auf mich, weil ich sie neulich übergossen habe. Dann kratzt sie sich mit einer Luftwurzel über die vertrocknete Stelle auf ihrem linken Blatt. „Don’t give a shit“, sagt sie in ihrem nervigen kalifornischen Akzent. Ich gucke sie wütend an. Sie macht sich breiter in ihrem Plastiktopf. „Aber was mache ich mit dem Scheißkerl in meinem Kopf?“, frage ich. „You yell fake news at him and do your thing.“ Ich finde, da hat sie einen Punkt.

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Anna Fastabend
Redakteurin wochentaz
Hat mal Jura studiert und danach Kreatives Schreiben am Literaturinstitut in Hildesheim. Hat ein Volontariat bei der Märkischen Oderzeitung gemacht und Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin. Schreibt über feministische Themen, Alltagsphänomene, Theater und Popkultur.
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22 Kommentare

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  • Das mit dem Nasepopeln und Prinz-Eisenherz – ist schon eine wichtige Kulturleistung, sich das abzugewöhnen. Insofern passt das ein oder andere schon (denkt doch auch mal an die armen Mitmenschen).

    Der Rest stimmt natürlich, auch der ein oder andere Kommentar hier im Forum. Wenn es nicht gerade um Autos usw. geht, sind die hiesigen Foristen zu durchaus klugen Gedanken in der Lage.

  • Meine persöhnlichen Erfahrungen aus dem letzten Jahr:



    Im Sport hat mir ein Mann gesagt, er hätte gerne meinen Körper, eine Frau, ich solle ein weiteres T-Shirt tragen, mein Bauch wäre zu fett, eine andere Frau hat mir ein Kompliment für meinen breiten Rücken gegeben, alles ungefragt wohlgemerkt.



    In der Arbeit meinte ein Kollege, ich würde breit aussehen (war positiv gemeint) eine Kollegin (Vorgesetzte) ich würde zu breit sein und hat das ganze auch noch visualisiert, indem sie kurz umherstolziert ist, wie ein Bodybilder auf der Bühne.



    Nach meiner Erfahrung nehmen sich Frauen und Männer zumindest im Erwachsenenalter nichts, wenn es um die übergriffige Beurteilung des Aussehens geht.

  • Der Begriff ist polemisch, hätte mir allerdings als junges Mädchen helfen können. Und ja, auch Jungs werden beurteilt. Allerdings fängt das Problem früher an, als in der Pubertät.

    • @aujau:

      Na ja, im Grunde wird in einer Gesellschaft doch jede*r ständig irgendwie beurteilt. Iudicare humanum erst.

  • Ich dachte es geht ausnahmsweise um Pimmel aus fraulicher Sicht. Und dann dreht sich doch wieder alles um das Aussehen der Frauen 🤓

  • Beurteilen Frauen Männer etwa nie? Meine Erfahrung sieht anders aus. Trotzdem sage ich nicht "Muschijury" (oder etwas noch unanständigeres).

    • @Gothograecus:

      Fußball-Bundesliga der Herren. Spiel gegen Werder Bremen. Es machte sich unter anderem Claudio Pizarro warm. Die Frauengruppe bei mir in der Nähe fast geschlossen: Oh was für ein .... Hintern der hat!

  • Da kann man mit Kant und Germaine Greer nur sagen: raus aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, step by little step. Leider sind auch allzuviele Frauen und Mütter heutzutage wieder willige Kollaborateurinnen des Patriarchats, da waren wir in den 1970ern in manchen Bereichen schon weiter. Und junge männliche Wesen sind in der Breite so toxisch frauenfeindlich wie seit den 50er Jahren nicht mehr (danke, social media). Wir haben unsere Tochter zu Stärke und Selbstbewusstsein erzogen und das kriegen ihre Boyfriends regelmäßig zu spüren, wenn sie misogyne Sprüche roppen und Kontrollverhalten an den Tag zu legen versuchen. Und wie immer hat diese Stärke, dieser Widerstand gegen immer reaktionärer werdende Geschlechternormen, einen Preis. Auch da gilt: Verbündete finden, organisieren, feministisch aktiv werden, es geht nicht um Einzelfälle, sondern Strukturen - auch diese Lehren des radical feminism der 60er/70er Jahre sind heuer ziemlich verschüttet.

    • @hessebub:

      "selbstverschuldet"?

      Welches Mädchen ist selber schuld an Heidi Klum, dummen Sprüchen/ Belästigern und Grabschern in Nahfeld, Internet oder zb. auf Konzerten?

      Na danke, Nebenwiderspruch Frauenfrage.

  • Schon lustig, dass hier vornehmlich Menschen mit männlichen Namen behaupten, dass das Judging im Kopf von Frauen vornehmlich durch das Verhalten anderer Frauen entsteht, aber bestimmt nichts mit dem Verhalten von Männern in patriarchalen Strukturen zu tun hat. Kommentierende Männer bewerten hier, ob dünne Modells verführerisch sind, sie wissen, was die Autorin bis zum ersten Lover richtig oder falsch gemacht hat, sie wollen (aus eigener Erfahrung? Sicher nicht!) wissen, dass doch heutzutage alles für alle möglich ist.

    Was braucht es noch, um zu untermauern, wie recht die Autorin damit hat, dass es beim Selbstbild eben nicht nur darum geht, wie ich mich selbst gern sehen möchte und es nicht damit getan ist, Menschen zu sagen, dass sie doch einfach auf die Meinung anderer scheißen und ihr Ding machen sollen. So funktionieren soziale Systeme einfach nicht.

    • @B.Su:

      wieder nur weiße Männer in der Wurstbude am Hbf.

      An diese Beobachtung muss ich denken bei diesem treffenden Kommentar

  • Ist die Autorin sicher, dass alle Mitglieder der Jury Pimmelträger sind?



    Meiner Erfahrung nach urteilen Frauen wesentlich härter über Frauen (andere und sich selbst) als Männer das tun.

  • Ist es nicht so, dass die Jury vor allem im Kopf ist?



    Eine Schande, dass Männer eine solche Instanz sind. Passen Sie sich doch selbst an alles an und verleihen Frauen so viel Macht in ihrem Leben… Seit ihrer Jugend.

  • „Aber was mache ich mit dem Scheißkerl in meinem Kopf?“

    Sich klarmachen, dass es den gar nicht gib. Er ist nur eine Projektion und eher repräsentativ für das, was man selbst von sich denkt. Denn ansonsten ist er doch völlig uninteressant - wer muss einem Scheißkerl gefallen, den sie nicht mit der Kneifzange anrühren würde?

  • Wen man sexuell attraktiv findet, hängt (zumindest bei den meisten Männern, aber sicher auch bei vielen Frauen) vor allem vom Aussehen ab. Das kann man nur bedingt beeinflussen, sonst könnte man auch sie sexuelle Orientierung beeinflussen. Ich kann nicht einfach sagen, ich will jetzt auf einen anderen Typ Frau oder Mann stehen. Hier kann man meinetwegen von Pimmeljury sprechen, wenn man diese Wortwahl mag. Anders ist es bei der gesellschaftlichen Dimension, die über das rein sexuelle hinausgeht. Es sind doch viel mehr die Frauen und Mädchen untereinander, die über das Aussehen anderer lästern und entsprechend ausgrenzen, als die Heteromänner. Und dann liegt es ganz erheblich an einem selbst, es ist dumm, die Verantwortung für Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper auf andere zu schieben. Jede*r hat die Möglichkeit, so zu sein wie man ist oder auch sich zu verändern, wenn man das möchte, auch das 4sollte man nicht verteufeln. Irgendjemandem wird es gefallen, irgendjemandem nicht. Wobei Frauen mit kurzen Haaren, Frauen die sich nicht schminken oder Frauen die Hosen tragen völlig normal sind, während geschminkte Männer oder Männer im Kleid oder Rock immer noch Probleme haben.

  • "Mit der Zeit aß ich nur noch grüne Äpfel, um so verführerisch zu werden wie die Magermodels in den Zeitschriften. "

    Mal von allem anderem abgesehen, vor allem meiner Sympathie für die Autorin: was zur Hölle haben Models aus Zeitschriften mit "verführerisch" zu tun? Wenn ich die immer mal wieder im Fernsehen auftauchen sehe, ist das letzte Adjektiv, das mir dazu einfällt "verführerisch". Wo ist die Ärmste aufgewachsen, dass sie dieses Problem hat? Und wenn es schon Vollhonks gibt, die auf Kleiderhaken stehen: wie kommt es, dass die Autorin die als tonangebend und als Maßstab ansieht?

    • @Jalella:

      Wenn jemand auf sehr dünne Frauen steht, weshalb ist er deshalb ein "Vollhonk"? Mann und auch Frau sucht sich das nicht aus. Ich sehe auch keinen Unterschied, zu anderen Vorlieben. Ein Bekannter präferiert stärkerer Frauen, inwiefern ist das besser oder schlechter. Es ist doch eher positiv zu beurteilen, dass nicht alle genau die selben Vorlieben aufweisen.

  • Die interessantesten (und meistens auch sympathischsten) Leute sind jene, die nicht so viel Gewese um sich selbst und ihr Aussehen, ihre "Performance", machen. Um nachhaltig Eindruck zu hinterlassen muss ich nämlich nicht cool sein oder gut aussehen. Sondern einen klugen Gedanken formulieren können. Und das lerne ich durch größtmöglichem inneren Abstand zu "Erfolg" und Angeberei und dem ganzen Popkultur- , Körperfetischismus- und Fuckability-Müll, der damit einhergeht.

  • Wie nennt man es, wenn die Jury keinen Pimmel hat?

    Die erste Frau, in die ich im Studium verliebt war hat mir erklärt ich würde tanzen als ob meine Knochen mit Bindfäden zusammen gebunden wären.



    Sie hatte mich in irgend so eine angesagte Disco geschleppt und es war ihr peinlich, dass ich mich nicht so cool minimalistisch bewegt habe wie alle anderen dort.

    Hat mich damals tief getroffen - ich hab bestimmt zwei Jahrzehnte gebraucht, bis ich beim Tanzen nicht mehr dran denken musste.

  • Unabhängig von Geschlecht ist es eigentlich besser Leute in einer Gestalt kennenzulernen, die kein bisschen herausgeputzt ist. Ich bereue es immer, wenn ich mich zu sehr gefügt habe und dann die ganzen oberflächlichen Leute wieder loswerden muss. Das ist so etwas wie ein natürlicher Schutzschild.

    • @ImInternet:

      Ein guter Punkt, den die Jugend aber noch nicht begriffen hat. Ich damals ja auch nicht.

      Immerhin hat die Autorin bis zu ihrem ersten Lover ja fast alles richtig gemacht.

      Bis auf die Sache mit den bunten Tüten ...

    • @ImInternet:

      Dem kann ich mich nur anschließen!