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Angst vor der AufwertungWenn die Eigentümerin zweimal klingelt

„Ihr Haus soll schöner werden!“: Warum das in Ottensen, einem beliebten Hamburger Stadtteil, keine gute Nachricht ist.

Keine Gegend für reiche Leute. Noch nicht. Der Nernstweg 14 in Hamburg-Ottensen Foto: Miguel Ferraz

Aus Hamburg

Daniel Wiese

„… möchten wir Ihnen mitteilen, dass Ihr Haus verkauft wurde. … Ihr Mietverhältnis wird nicht berührt. … Machen Sie sich keine Sorgen.“ Es sind solche Nachrichten, vor denen sich viele in gentrifizierten Stadtvierteln fürchten. Ein neuer Eigentümer, das bedeutet in der Regel, dass jemand Geld in die Hand genommen hat, das er wiedersehen möchte, möglichst mit Zins und Zinseszins, denn bei der Bank muss er ja auch Zinsen bezahlen.

Zu erwarten sind in so einem Fall Mieterhöhungen, flankiert durch „wertsteigernde Maßnahmen“, und so war es auch hier im Nernstweg, einer kleinen Seitenstraße im Hamburger Stadtteil Ottensen. Die Straße liegt so versteckt, dass viele sie gar nicht kennen, am Ende befindet sich ein alternatives Kulturzentrum mit seinem sehr hippen Restaurant unten drin, aber ansonsten ist die Gentrifizierung hier noch nicht sehr weit fortgeschritten: Altbaufassaden, unsaniert, mit Graffiti besprüht. Keine Gegend für reiche Leute.

Die Bewohnerschaft in der Straße sei „sehr gemischt“, sagt Anneke Nuijen, die im Nernstweg 14 wohnt, in einer kleinen Wohnung im zweiten Stock. Sie haben ein gutes Verhältnis in der Straße, sagt sie. Jedes Jahr ist Nachbarschaftsfest, in diesem Jahr waren die ganze Straße hoch Stände aufgebaut mit Kinderspielzeug und abgelegten Kleidern und gelesenen Büchern, auf einer Bühne gab es ein Kulturprogramm.

Die Gentrifizierung hier noch nicht sehr weit fortgeschritten: Altbaufassaden, unsaniert, mit Graffiti besprüht. Keine Gegend für reiche Leute

In der Adventszeit, erzählt Anneke Nuijen, organisiert die Nachbarschaft reihum einen Adventskalender. „Das kann ein Gedicht sein, Plätzchen, was Selbstgebasteltes, es ist ein bisschen so wie Wichteln.“ Anneke Nuijen ist alleinerziehend, sie arbeitet als Erzieherin ganz in der Nähe. „Ich bin auf die Strukturen hier angewiesen“, sagt sie, am Tisch in ihrer kleinen Küche sitzend. Vor sich hat sie die Unterlagen ausgebreitet von dem Streit, der sie und die anderen Mieter seit dem Sommer beschäftigt.

Seit 2012 ist sie in ihrer Wohnung, aber das Haus kennt sie schon länger. Ihr Vater wohnte schon in den 80ern in der Straße, ein paar Nummern weiter. Ihr Onkel hat das Haus, in dem sie wohnt, in den 2000er-Jahren renoviert, und sie half damals mit. „Ich kenn’ diese Wohnung in- und auswendig“, sagt sie, „ich hab hier die ganzen Leisten lackiert.“ Die Vormieterin, eine alte Dame, war Kettenraucherin, sie mussten sehr oft überstreichen, bis die Patina nicht mehr zu sehen war.

Derzeit ist das Haus Nernstweg 14 in keinem guten Zustand. Schon im Treppenhaus ist es zu sehen, das Geländer ist locker, schon lange wurde hier nichts mehr gemacht. „Im Keller ist es feucht, im Dach regnet es rein, die Heizung fällt öfter aus“, berichtet Anneke Nuijen. Gegen eine Sanierung hätte sie nichts einzuwenden, im Gegenteil: „Da muss etwas passieren.“

Im Haus Nernstweg 14 wurde lange nichts gemacht: Schon im Treppenhaus ist es zu sehen, das Geländer ist locker Foto: Miguel Ferraz

Was passierte, war das Schreiben der alten Verwaltung mit der Verkaufsankündigung an eine Nordzuhause GmbH mit Sitz in St. Pauli und der Versicherung, dass man sich keine Sorgen zu machen brauche. Es seien, das stand auch in dem Schreiben, Sanierungsmaßnahmen vorgesehen. Das war Mitte Mai.

Wenig später, so berichtet es Anneke Nuijen, seien zwei Frauen vor den Wohnungstüren gestanden, hätten sich als die neuen Eigentümerinnen Michaela und Susanne Ahrens vorgestellt und um die Handynummern gebeten. Sie kündigten „einige Maßnahmen“ an, bei sich hatten sie Architekten, mit denen sie das Haus besichtigten. Im Treppenhaus redeten sie untereinander. „Das geht aber erst, wenn die Mieter raus sind“, soll einer der Architekten gesagt haben. Das erzählen die Hausbewohner.

Im August dann der zweite Besuch, bei dem die beiden Frauen – es handelte sich tatsächlich um die neuen Eigentümerinnen, so viel war inzwischen klar – Zettel in den Briefkästen hinterließen. „Unser Konzept ist es, Mehrfamilienhäuser zu verschönern, zu modernisieren und behutsam weiterzuentwickeln“, schrieben sie. Geplant seien neue Balkone und der Ausbau des Dachgeschosses. Die Arbeiten würden vermutlich 18 bis 24 Monate dauern. „Parallel dazu passen wir die Mieten an – selbstverständlich unter strikter Beachtung aller gesetzlicher Vorgaben.“

Derzeit bezahlt Anneke Nuijen für ihre 56-Quadratmeter-Wohnung 768 Euro warm. Träte die bereits angekündigte Mieterhöhung in Kraft, würde sie etwas über 800 Euro bezahlen. Bei einer Modernisierung könnten die Kosten laut Gesetz auf bis zu drei Euro pro Quadratmeter auf die Miete umgelegt werden – am Ende wäre sie bei einer Miete von fast 1.000 Euro. Als Erzieherin verdient sie 1.800 Euro netto im Monat, für die Miete ginge dann also mehr als die Hälfte ihres Einkommens drauf.

„Die sollen erst mal die Heizung reparieren“, sagt Anneke Nuijen am Tisch in ihrer Küche. Ihr Verdacht: Die neuen Eigentümerinnen drücken sich um die Instandhaltungskosten herum und lassen alles, was im Haus gemacht werden muss, unter Modernisierung laufen, damit sie es auf die Miete umlegen können. Dazu passt, dass sie schreiben, das Haus befinde sich in einem „guten baulichen Zustand“, es sei ja in den 90ern renoviert worden.

Ultimative Forderung an die Mieter

Ende August tauchten im Treppenhaus Aushänge einer Firma namens Goldjunge GmbH und Co KG auf, die in Verbindung zu dem Firmengeflecht von Michaela und Susanne Ahrens steht. Darin werden die Mieter ultimativ aufgefordert, ihre Sachen aus dem Treppenhaus zu entfernen. Unter anderem wird mit Abmahnungen und Ordnungsgeldern bis zu 250.000 Euro gedroht. Die persönlichen Sticker auf den Briefkästen wurden entfernt und durch einheitliche Sticker ersetzt. „Früher galt hier 'Leben und leben lassen’“, sagt Anneke Nuijen. „Das ist jetzt wohl vorbei.“

Sie nahm sich eine Anwältin über den Hamburger Verein „Mieter helfen Mietern“. Und sie wandte sich an die Bezirkspolitik, ein SPD-Abgeordneter hat im Nernstweg gewohnt, einer von den Grünen wohnt immer noch dort. Der Fall schaffte es in die Ausschüsse, das Bezirksamt schaltete sich ein.

Der Nernstweg liegt in einem Milieuschutzgebiet, hier gilt eine „Soziale Erhaltungsverordnung“. Baumaßnahmen müssen darauf geprüft werden, ob sie zur Verdrängung der Wohnbevölkerung führen. In krassen Fällen ist sogar das kommunale Vorkaufsrecht anwendbar, das nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eigentlich noch auf Eis liegt.

Früher galt hier 'Leben und leben lassen’. Das ist jetzt wohl vorbei.

Anneke Nuijen, Mieterin im Nernstweg 14

Das Vorkaufsrecht wurde von der Stadt nicht gezogen, „da zum Zeitpunkt der Prüfung keine Anhaltspunkte für eine erhaltungswidrige Nutzung oder eine spekulative Käuferstruktur vorgelegen haben“, so die zuständige Stelle bei der Stadt Hamburg. Immerhin aber wurde der Bauantrag für neue Balkone am Haus vom Bezirksamt Altona abgewiesen, „da sie nicht dem gebietstypischen Ausstattungsstandard entsprechen und bereits funktionsfähige Balkone vorhanden sind“, so das Bezirksamt.

Das Dachgeschoss dagegen darf ausgebaut werden, allerdings müsse sichergestellt werden, „dass keine unzumutbaren Belastungen für die Bestandsmieter entstehen und die Vorgaben der Sozialen Erhaltungsverordnung eingehalten werden“.

Anneke Nuijen ist nach dieser Auskunft nur „halb erleichtert“. „Die Frage ist jetzt, wie es weitergeht“, sagt sie.

Schwieriges Verhältnis zu den Eigentümerinnen

Das Verhältnis zu den Eigentümerinnen ist schwierig geworden, zuletzt gab es Streit über die Instandsetzung eines maroden Türrahmens. „Da das Mietverhältnis zu Frau Nuijen bereits zu Beginn eine gewisse Spannung aufweist, möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich die Möglichkeit einer einvernehmlichen Mietaufhebung anregen“, schreibt die Eigentümerin Michaela Ahrens an die Anwältin von Anneke Nuijen. Vorstellbar sei auch eine Abfindungszahlung.

Es folgt der Hinweis, dass die geplanten Bauarbeiten die Wohnung „unmittelbar“ betreffen würden, und dass danach mit einer Modernisierungsumlage von bis zu drei Euro pro Quadratmeter zu rechnen sei. „Vielleicht erörtern Sie das einmal mit Ihrer Mandantin.“

In Ottensen eine neue Wohnung zu finden, ist nicht sehr realistisch, die Preise auf dem freien Markt sind hoch

Doch auszuziehen ist für Anneke Nuijen keine Lösung. In Ottensen eine neue Wohnung zu finden, ist nicht sehr realistisch, die Preise auf dem freien Markt sind hoch. Und den Stadtteil verlassen? „Die Kita von meinem Sohn ist in der Nähe, meine Arbeit ist in der Nähe, wenn ich wegziehe, wie soll ich das schaffen? Ich habe keinen Führerschein“, sagt sie.

Die Eigentümerin Michaela Ahrens stellt die Sache am Telefon als ein Missverständnis dar. „Die Mieter sind ja sehr gut geschützt in Hamburg“, sagt sie. Sie habe nicht vor, jemanden zu vertreiben: „Ich sehe die Mieter als Menschen.“ Leider habe sie bisher keine Gelegenheit gehabt, die Bewohner kennenzulernen, dabei habe sie zwei Termine angeboten.

Kurz nach dem Telefonat kommt eine Mail, in der Michaela Ahrens ein Treffen in einem Café auf St. Pauli vorschlägt, wo sie auch ihre Büroadresse hat. „Für einige Menschen stehe ich auf der ‚anderen Seite‘, was ich nicht möchte“, schreibt sie. „Ich reiche die Hand.“

Als Anneke Nuijen von diesem Vorschlag erfährt, überlegt sie kurz. „Ich bin immer an einem Austausch interessiert“, sagt sie dann. „Aber mir fehlt der Inhalt. Über was wollen wir reden?“

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