Mieterschutz vor Verdrängung: Hamburg will Vorkaufsrecht retten

Das Bundesverwaltungsgericht hatte das Vorkaufsrecht gekippt. Nun wollen es SPD und Grüne in der Hansestadt schnell wieder ermöglichen.

Häuserfront mit Balkonen

Ist schöner, wenn das eigene Zuhause keinem Investor gehört Foto: Marcus Brandt/dpa

HAMBURG taz | Es war in Hamburg bislang kein eifrig genutztes Instrument, um Mie­te­r:in­nen vor Verdrängung zu schützen, doch nun scheint sich die rot-grüne Mehrheit in der Bürgerschaft ein Leben ohne kommunales Vorkaufsrecht nicht mehr vorstellen zu können. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht das Instrument kürzlich mit einem Urteil gekippt hatte, wollen SPD und Grüne dafür sorgen, es wieder anwenden zu dürfen.

Der Senat solle darauf einwirken, dass das Baugesetzbuch vom Bund novelliert wird, um künftig weiter Immobilien kommunalisieren zu können. „Mit unserem Antrag macht Hamburg bundesweit den Aufschlag dazu“, sagt Olaf Duge, der wohnungspolitische Sprecher der grünen Bürgerschaftsfraktion.

Anfang November hatte das Bundesverwaltungsgericht die Vorkaufsrechtspraxis in Teilen gekippt. Es gab einer klagenden Immobilienfirma recht, die ein Grundstück mit 20 Mietwohnungen und zwei Gewerbeeinheiten im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg erworben hatte.

Der Bezirk übte das Vorkaufsrecht aus, da sich das Grundstück in einem Milieuschutzgebiet befindet und die Gefahr bestanden habe, dass ein Teil der Mie­te­r:in­nen durch Mieterhöhungen oder Umwandlungen in Eigentumswohnungen verdrängt werden könnte.

Bundesverwaltungsgericht kippte das Vorkaufsrecht

Das Gericht urteilte, dass ein Vorkaufsrecht ausgeschlossen ist, wenn das Grundstück entsprechend den Zielen oder Zwecken der städtebaulichen Maßnahmen bebaut ist und genutzt wird und ein auf ihm errichtetes Gebäude keine Mängel aufweist. Zu erwartende Nutzungen in der Zukunft dürfen nicht berücksichtigt werden. Damit ist die bundesweite Praxis von Kommunen hinfällig, die das Vorkaufsrecht zum Milieuschutz nutzten.

Vor allem in Berlin wurde das Ins­trument in den vergangenen Jahren intensiv genutzt, aber auch in Hamburg nahm die Anzahl zu. 30 Objekte mit 361 Wohn- und 29 Gewerbeeinheiten hat die Stadt zwischen 2018 und Mitte 2021 gekauft, bevor In­ves­to­r:in­nen es tun konnten. Zum Vergleich: In Berlin wurden in den vergangenen fünf Jahren per Vorkauf rund 12.000 Wohnungen vor privaten In­ves­to­r:in­nen gerettet.

„Wenn man auf die bisherige aktive Ausübung des Vorkaufsrechtes in Hamburg zum Schutze der Mie­te­r*in­nen blickt, kann man erahnen, welche gewachsenen sozialen Strukturen jetzt in den Quartieren zerstört werden könnten“, sagt Duge. Die Hamburger SPD sieht es genau so: „Der Gesetzgeber muss unbedingt für Klarheit sorgen und das Baugesetzbuch zügig anpassen“, sagt Martina Koeppen, wohnpolitische Sprecherin der SPD-Bürgerschaftsfraktion.

Vorige Woche beschloss die Bauministerkonferenz – die jährlich stattfindende Konferenz der für Bau- und Wohnungswesen zuständigen Lan­des­mi­nis­te­r:in­nen –, sich mit Ausnahme von Bayern der Hamburger Initiative anschließen zu wollen. Und da in der künftigen Bundesregierung wohl SPD und Grüne vertreten sein werden, dürfte parteiintern auf dem kurzen Weg darauf eingewirkt werden. Einzig fraglich bleibt, wie groß der Widerstand in der Ampelkoalition seitens der FDP wird.

Mieterverein rät zur Eile

Der Mieterverein zu Hamburg rät derweil zur Eile. „Das Baugesetzbuch sollte lieber heute als morgen überarbeitet werden, um das Schwert wieder scharf zu machen“, sagt dessen Vorsitzender Sigmund Chychla. Gleichwohl wäre es aus Chychlas Sicht wünschenswert, wenn die Stadt das Vorkaufsrecht dann auch intensiver nutzt als bislang. „Es wurde in der Vergangenheit sehr zurückhaltend angewandt“, sagt Chychla.

Zum „Schutz der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ durfte die Stadt bisher überall dort das Vorkaufsrecht ausüben, wo eine soziale Erhaltungsverordnung gilt. Die Verordnung kann Hamburg für Viertel erlassen, in denen die Mieten besonders stark gestiegen sind.

Wer dort eine vermietete Wohnimmobilie kaufen will, muss sich dazu verpflichten, keine Grundriss­änderungen und Modernisierungen der Wohnungen durchzuführen, die über den üblichen Ausstattungszustand hinausgehen, und langfristig auf die Umwandlung der erworbenen Mietwohnungen in Eigentumswohnungen zu verzichten.

Verweigert der potentielle Käufer seine Zustimmung, kann die Stadt zugreifen. Weil die Stadt die Immobilien allerdings zu Marktpreisen kaufen muss, fordert Hamburgs Linke noch eine Ergänzung, die ebenfalls ins Baugesetzbuch aufgenommen werden solle: Beim Vorkauf müsse der Kaufpreis gesetzlich begrenzt werden, damit die öffentliche Hand keine überteuerten Preise zahlen muss. Die Preise müssten „auf Grundlage von fairen Mieten und nicht von Mondpreisen festgelegt werden“, fordert die wohnungspolitische Sprecherin Heike Sudmann.

Steht noch eine Verordnung auf der Kippe?

Allerdings ist unklar, ob das Urteil nicht noch weitreichendere Folgen für Hamburg hat. Denn der Senat hatte erst kürzlich als erstes Bundesland das Baulandmobilisierungsgesetz des Bundes umgesetzt. Mit der neuen Verordnung können Kommunen feststellen, dass bei ihnen der Wohnungsmarkt angespannt ist.

Mit der Feststellung dürfen Kommunen zum einen Eigentümer von Bauflächen zum Bau von Wohnimmobilien verpflichten, wenn sie die Flächen brach liegen lassen. Darüber hinaus dürfen sie auch das Vorkaufsrecht bei Brachflächen anwenden – das kommunale Vorkaufsrecht gilt in Hamburg also nicht mehr nur für bestehende Immobilien in einzelnen Gebieten, sondern stadtweit auch für noch unbebauten Grund.

Chychla schätzt, dass angesichts des Urteils nun auch die Hamburger Verordnung hinfällig ist. „Die Stadt müsste auch diese Verordnung dringend ausbessern“, sagt Chychla. Die Verordnung sei mit denselben Argumenten begründet, wie das Vorkaufsrecht auf bestehende und bewohnte Immobilien. Weil die Rich­te­r:in­nen im Berliner Fall die Begründung ablehnten, könnte das also auch den Vorkauf von Flächen betreffen.

Die Stadtentwicklungsbehörde widerspricht: „Das Urteil betrifft die neu geschaffene Verordnung nicht“, sagt die Sprecherin Susanne Enz. Das Gerichtsurteil habe sich auf eine bereits bewohnte Immobilie in einem Gebiet mit sozialer Erhaltungsverordnung bezogen.

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