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Angriffe auf kritische InfrastrukturStich um Stich um Stich

Drohnen über Flughäfen, zerstörte Kabel in der Ostsee, Spionage und Sabotage: Wie schützt man die kritische Infrastruktur?

Montag, 22. September: genau um 21 Uhr können keine Flüge am Flughafen Kopenhagen landen oder starten Foto: Johan Nilsson/TT/imago

Berlin taz | Hysterie? Sicherheitswahn? Unnötige Militarisierung? In den vergangenen Tagen ist mehr als deutlich geworden, dass Orte des öffentlichen Lebens angreifbar sind. Und das mitten in Europa. Innerhalb kürzester Zeit meldeten erst Polen und Rumänien, dann Estland und schließlich Norwegen und Dänemark Verletzungen ihrer Lufträume.

In den meisten Fällen wurden fremde Drohnen gesichtet, in Estland gar Militärjets. Die unmittelbare Reaktion auf die Vorfälle: Flughäfen wurden gesperrt, die Nato-Staaten riefen schnell Krisentreffen ein. Und nun steht – auch in Deutschland – die Frage im politischen Raum, ob solche Flugobjekte abgeschossen werden können oder sollten.

Hinter den Luftraumverletzungen wird Russland vermutet. Der Kreml streitet – wenig verwunderlich – alles ab, reagiert gar nicht oder warnt vor der nächsten Eskalationsstufe, sollten die betreffenden Staaten sich zu einem Abschuss oder anderen Maßnahmen hinreißen lassen. In der Gesamtschau passen alle Vorfälle in den Spielplan hybrider Kriegsführung, also eines sich verschärfenden Konflikts ohne offizielle Kriegserklärung.

Spätestens seit der russischen Vollinvasion in der Ukraine 2022 haben sich die Schauplätze und Strategien der Aggression verlagert. Sabotage an Pipelines, Cyberangriffe auf Datensysteme, die das öffentliche Leben bestimmen, Desinformationskampagnen, Einmischung in die „inneren Angelegenheiten“ von Ländern, die sich Russland entgegenstellen. Es geht Präsident Wladimir Putins Regierung um empfindliche Störungen, darum, Angst zu schüren, um die Verbündeten der Ukraine auf gefährliche Art und Weise beschäftigt zu halten. Und das an Plätzen, die zur öffentlichen Daseinsvorsorge gehören, sprich zum Alltag der Menschen.

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Angriffe rücken im Alltag näher

Am meisten aufgerüttelt haben jüngst wohl die Drohnenflüge über verschiedenen Flughäfen in Dänemark, darunter der Hauptstadtflughafen Kopenhagen. Dass es an der polnisch-ukrainischen Grenze zu Zwischenfällen kommt, in Rumänien oder Moldau, wird zwar mit Sorge kommentiert und scharf kritisiert. Doch eine Drohnensichtung im Herzen Dänemarks hat im Westen für weit mehr Wirbel gesorgt, war Russland doch bisher vor allem mit Sabotagen in der Ostsee beschäftigt. Annegret Bendiek, Expertin für europäische Außen- und Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, sagt: „Angriffe auf kritische Infrastruktur rücken im Alltag näher. Das zeigt sich auch in unseren Forschungsdaten.“

Die dänische Regierung spricht ganz klar von einem „hybriden Angriff“, von einem professionellen Akteur, der hinter den Drohnenflügen stecken soll, und von einer Gefahr für die Sicherheit.

Und nun? Schon nach den Vorfällen in Polen und Estland wurden gemäß Artikel 4 des Nato-Vertrags Beratungen ­zwischen den Bündnisstaaten aufgenommen. Nato-Generalsekretär Mark Rutte formulierte Solidaritätsbekundungen der Militärallianz und versicherte ganz nebenbei, dass die Beistandsverpflichtung „eisern“ und „unzerbrechlich“ sei.

Für Annegret Bendiek ist die hybride Bedrohung nun endlich weit oben in der politischen Debatte angekommen. An Hinweisen und Strategiepapieren zum Thema hat es auch bislang schon nicht gemangelt. Allerdings fehlt der länderübergreifende Blick. Eine politisch klare Solidarität mit dem Bündnis sei wichtig, sagt sie. Die konkrete Solidarität sollte aber da liegen, wo sie am besten aufgehoben sei. Die Wissenschaftlerin meint konkret: bei den EU-Staaten. „Die Europäische Union ist kein Verteidigungsbündnis, aber die Stabilität der öffentlichen Daseinsvorsorge gehört auch zu ihren Aufgaben.“

Mehr Bewusstsein in Politik und Bevölkerung

Für die kritische Infrastruktur bedeute das, dafür zu sorgen, dass öffentliche Orte nicht leicht zugänglich sind, dass es Frühwarnsysteme gibt, wie die Bevölkerung reagieren kann, wenn es zu einem Zwischenfall kommt. Und, die Kommunen in den Ländern viel stärker einzubinden beim Schutz von Straßen, Flughäfen oder Energieversorgern – eben den Orten, die zur kritischen Infrastruktur gehören. In Deutschland soll das sogenannte Kritis-Dachgesetz für mehr Bewusstsein sorgen und die Betreiber stärker in die Pflicht nehmen.

Bendiek sagt: „Unser größtes Problem ist, dass wir immer noch in der Friedensdividende leben. Dabei ist die Welt eine andere geworden.“ Bei den übergeordneten Institutionen gehe es viel um Kompetenzgerangel, in den Ländern gebe es häufig Doppelstrukturen, unklar bleibe, wer für was eigentlich zuständig sei. Die Bundesregierung will den Nationalen Sicherheitsrat, der ans Kanzleramt angedockt ist – also Chefsache – dafür nutzen, in Sicherheitsfragen zukünftig schneller und effektiver reagieren zu können.

Doch dann ist da noch die leidige Sache mit den Geheimdiensten und vertraulichen Informationen, die Querverbindungen zwischen hybriden Angriffen herstellen könnten. Verschiedene Plattformen, die Fälle von Angriffen auf kritische Infrastrukturen sammeln, sind im Aufbau. Die Rückkehr zum Nationalismus in Sicherheitsfragen blockiert jedoch den Austausch von Informationen. Was kommt nach Dänemark? Welcher Staat meldet als nächster verdächtige Flugobjekte, Sabotageakte oder Cyberangriffe? Der nächste überraschende Drohnenflug in Europa kommt bestimmt. Und die Diskussion über angemessene Reaktionen zwischen Deeskalation, Solidarität und der Demonstration von Stärke wird weiter an Fahrt aufnehmen.

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16 Kommentare

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  • Ich hörte gerade, dass in der nächsten Woche zivile Drohnen nicht mehr starten dürfen. Wenn dann noch Drohnen fliegen, dürften es "feindselige" sein. OK. Putin hat die Nachrichten auch gehört und wird den Befehl geben, in der nächsten Woche keine Drohnen zu starten. Und wie geht es danach weiter?

    • @Il_Leopardo:

      ... in Dänemark

  • Interessant ist auch immer, dass Leser, die sonst gerne mehr oder weniger offen pro Russland kommentieren, unter solchen Artikeln nie auftauchen.

    • @Suryo:

      Ich kann mir nicht vorstellen, dass es immer noch Leute gibt, die dem russischen Narrativ folgen.

  • Freitag Nacht wurden Drohnenschwärme über Schleswig-Holstein gesichtet. Und keiner weiß, wer die gestartet hat. Das will mir nicht in den Kopf. Ich finde, man sollte solche Flüge grundsätzlich "anmeldungspflichtig" machen, verbunden mit einem Signal, damit man sie identifizieren kann. Wenn dann eine ohne Signal gesichtet wird, kann man sie eliminieren - vorausgesetzt, sie fliegt nicht gerade über einem Wohngebiet. Das müsste technisch doch möglich sein.

    • @Il_Leopardo:

      Technisch möglich auf jeden Fall. Das Problem ist, das die Dinger sehr klein, sehr niedrig, und sehr viele sind.

      Den klassischen Kampfjet bedroht eine Luftabwehrrakete auf 100+km Entfernung, das heißt naiv gerechnet stellen sie alle 200km davon eine Batterie an die östliche Grenze.

      Davon hat man aber nichts wenn von einem Kleinlaster im Landesinneren 100 Billigdrohnen starten.

      Ein Gepard oder Skyranger kommt auf ca. 3km Reichweite wenn die Sichtlinie stimmt und die müsste man flächendeckend verteilen wenn man schnell eingreifen will.

      Und selbst wenn man das alles aufbaut, stellen sie sich mal vor wie das politisch und medial ankommt wenn alle paar Wochen ein Zug Flakpanzer mit Begleitfahrzeugen durch die Straßen einer Stadt brettert weil irgendwo in der Nähe ein Drohnenschwarm gesichtet wurde.

      Und Möglichkeiten die Dinger elektronisch runterzuholen haben in der Regel eine noch geringere Reichweite.

      • @Volker Racho:

        Danke für die Aufklärung. Es ist alles doch komplizierter als ich dachte.

      • @Volker Racho:

        > sehr klein, sehr niedrig, und sehr viele sind.

        Die Drohne, die Ende vergangener Woche auf der deutschen Seite der dänischen Grenze westlich von Flensburg unsere Häuser überflog war nach Ansicht meines Nachbarn sehr gross und sehr lautlos!

  • „Unser größtes Problem ist, dass wir immer noch in der Friedensdividende leben. Dabei ist die Welt eine andere geworden.“

    Auf den Punkt gebracht.

    Gilt insbesondere für Deutschland. Hier wurde bisher nicht einmal die Rechtslage den aktuellen Verhältnissen angepasst, geschweige denn die Zuständigkeiten neu geordnet.

    Nach geltender Rechtslage ist der Abschuss von unbemannten Flugobjekten innerhalb der Landesgrenzen verboten und somit strafbar. Für die Sicherheit im öffentlichen Raum ist zudem die Polizei zuständig, die für derartige Einsätze nur unzureichend ausgerüstet sein dürfte.

    Zur Gefahrenabwehr und Schutz der einheimischen Infrastruktur wäre eine bessere Aufklärung notwendig. Solange es ausreichend ist, dass russische Kriegsschiffe unentdeckt und unbehelligt in der Ostsee verweilen können, wenn sie nur ihr AIS Signal deaktivieren, braucht man sich nicht wundern wenn sich Drohnenüberflüge in Europa häufen.

    Ein Frühwarnsystem könnte zudem dafür sorgen, dass Drohnen direkt über dem Meer abgeschossen werden und das Festland gar nicht erst erreichen.

    Aber hierzulande werden ja selbst Tiefflüge russischer Kampfflugzeuge über deutsche Kriegsschiffe schon als "normal" betrachtet

    • @Sam Spade:

      Vor wenigen Tagen empfahlen Sie uns doch noch die norwegische Gelassenheit in punkto Russland und beklagten „German Angst“, wobei die Balten Ihrer Ansicht nach ja ganz besonders darunter litten.



      Das war allerdings, bevor Gardermoen gesperrt wurde, hat das Ihre Ansichten verändert?

      • @Suryo:

        Bitte nicht alles vermischen. In den von ihnen erwähnten Kommentar ging es um das Bedrohungsbewusstsein in der Bevölkerung.

        Mein jetziger Kommentar bezieht sich auf die Aufgaben des Staates zum Schutz der kritischen Infrastruktur.

        Das sind zwei verschiedene Themen.

        Und warum sollte sich die Ansicht aufgrund eines heiklen Vorfalls von heute auf morgen ändern? Nur weil Drohnenüberflüge jetzt in der Medienlandschaft ein breites Thema und in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt sind?Ergibt wenig Sinn, wenn ich vorher erwähnt habe, dass wir in unserer Region weniger auf Russlands Gehabe schauen, als viel mehr auf Russlands militärische Aktivitäten in der Ukraine. Und wie bereits erwähnt, die sind wenig beeindruckend.

        Sie scheinen zu vergessen, das derartige Vorfälle schon seit längerer Zeit stattfinden. Einmal den aktuellen Bericht der deutschen Flugsicherung studieren. Und auch in meiner Region gab es Drohnenüberflüge und Eindringen in den Luftraum.

        Nur auf russische Tiefflüge als Salut für norwegische Kriegsschiffe warten wir noch. Da ist uns Deutschland einen Schritt voraus.

        • @Sam Spade:

          Ich persönlich würde mir auch wünschen, dass auf solche Vorfälle deutlicher und klarer reagiert und vor allem russische Sabotage und Desinformation immer wieder und wieder von der deutschen Politik thematisiert würde. Ich persönlich würde auch immer wieder klarstellen, dass die AfD prorussisch ist und das quasi dasselbe ist wie Landesverrat.

          Aber die deutsche Politik hat da immer noch eine merkwürdige Beißhemmung.

          Mitten in Berlin darf zB immer noch das Russische Haus russische Propaganda verbreiten und wird sogar noch vom Bund unterstützt. Aber das skandalisiert nicht mal die BILD.

          • @Suryo:

            Die "Beisshemmung" der deutschen Politik ist verständlich, wenn ein Land zu spät dran und in vielen Bereichen noch nicht wehrhaft aufgestellt ist. In solchen Situationen werden selbst diplomatische Provokationen vermieden.

            Die Dänen bekommen es jetzt zu spüren was es heißt sich offen gegenüber Russland zu positionieren. Was auf dem Kontinent übersehen wird ist, dass die Rivalität zwischen Dänemark und Russland schon seit längerer Zeit besteht, denn ähnlich wie in Norwegen geht es vor allem um die Vormachtstellung in der Arktis und hier nehmen Grönland und Spitzbergen Schlüsselpositionen ein.

            Dänemark wird beim nächsten Eindringen von Kampfflugzeugen in den Luftraum auch härter reagieren. Das erwartet allein schon die Bevölkerung.

            Und Norwegen setzt wie immer auf die Briten, indem es mit dem UK eine gemeinsame Flotte aus 16 neuen Fregatten aufbaut und zusammen mit der Royal Airforce eine zusätzliche Flugstaffel ins Leben ruft.

  • Wer hätte gedacht, dass es so einfach kommen würde? Letztlich sorgt Putins Paranoia für eine einigende Entwicklung in Europa. Für die Russen wird‘s ein endloser Abstieg in weitere Abhängigkeiten von nicht so wohlmeinenden Nachbarn werden. Hätten wir alle(s) ohne den Zarendarsteller nicht gebraucht.

  • Wann schützt sich jedenfalls nicht mit ewigen Gerede. Man handelt und zeigt Stärke.

  • Nicht unnötig provozieren lassen. Das würde dem Regime in Moskau nur in die Hände spielen. Trotzdem muss Rückgrat gezeigt werden. Unbekannte Drohnen im Eu Luftraum sollten radikal abgeschossen werden. Provokateure auswendig gemacht und vor Gericht gestellt werden. Ansonsten, Ruhe bewahren aber auch mal Härte zeigen.