Angriffe auf kritische Infrastruktur: Stich um Stich um Stich
Drohnen über Flughäfen, zerstörte Kabel in der Ostsee, Spionage und Sabotage: Wie schützt man die kritische Infrastruktur?

In den meisten Fällen wurden fremde Drohnen gesichtet, in Estland gar Militärjets. Die unmittelbare Reaktion auf die Vorfälle: Flughäfen wurden gesperrt, die Nato-Staaten riefen schnell Krisentreffen ein. Und nun steht – auch in Deutschland – die Frage im politischen Raum, ob solche Flugobjekte abgeschossen werden können oder sollten.
Hinter den Luftraumverletzungen wird Russland vermutet. Der Kreml streitet – wenig verwunderlich – alles ab, reagiert gar nicht oder warnt vor der nächsten Eskalationsstufe, sollten die betreffenden Staaten sich zu einem Abschuss oder anderen Maßnahmen hinreißen lassen. In der Gesamtschau passen alle Vorfälle in den Spielplan hybrider Kriegsführung, also eines sich verschärfenden Konflikts ohne offizielle Kriegserklärung.
Spätestens seit der russischen Vollinvasion in der Ukraine 2022 haben sich die Schauplätze und Strategien der Aggression verlagert. Sabotage an Pipelines, Cyberangriffe auf Datensysteme, die das öffentliche Leben bestimmen, Desinformationskampagnen, Einmischung in die „inneren Angelegenheiten“ von Ländern, die sich Russland entgegenstellen. Es geht Präsident Wladimir Putins Regierung um empfindliche Störungen, darum, Angst zu schüren, um die Verbündeten der Ukraine auf gefährliche Art und Weise beschäftigt zu halten. Und das an Plätzen, die zur öffentlichen Daseinsvorsorge gehören, sprich zum Alltag der Menschen.
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Angriffe rücken im Alltag näher
Am meisten aufgerüttelt haben jüngst wohl die Drohnenflüge über verschiedenen Flughäfen in Dänemark, darunter der Hauptstadtflughafen Kopenhagen. Dass es an der polnisch-ukrainischen Grenze zu Zwischenfällen kommt, in Rumänien oder Moldau, wird zwar mit Sorge kommentiert und scharf kritisiert. Doch eine Drohnensichtung im Herzen Dänemarks hat im Westen für weit mehr Wirbel gesorgt, war Russland doch bisher vor allem mit Sabotagen in der Ostsee beschäftigt. Annegret Bendiek, Expertin für europäische Außen- und Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, sagt: „Angriffe auf kritische Infrastruktur rücken im Alltag näher. Das zeigt sich auch in unseren Forschungsdaten.“
Die dänische Regierung spricht ganz klar von einem „hybriden Angriff“, von einem professionellen Akteur, der hinter den Drohnenflügen stecken soll, und von einer Gefahr für die Sicherheit.
Und nun? Schon nach den Vorfällen in Polen und Estland wurden gemäß Artikel 4 des Nato-Vertrags Beratungen zwischen den Bündnisstaaten aufgenommen. Nato-Generalsekretär Mark Rutte formulierte Solidaritätsbekundungen der Militärallianz und versicherte ganz nebenbei, dass die Beistandsverpflichtung „eisern“ und „unzerbrechlich“ sei.
Für Annegret Bendiek ist die hybride Bedrohung nun endlich weit oben in der politischen Debatte angekommen. An Hinweisen und Strategiepapieren zum Thema hat es auch bislang schon nicht gemangelt. Allerdings fehlt der länderübergreifende Blick. Eine politisch klare Solidarität mit dem Bündnis sei wichtig, sagt sie. Die konkrete Solidarität sollte aber da liegen, wo sie am besten aufgehoben sei. Die Wissenschaftlerin meint konkret: bei den EU-Staaten. „Die Europäische Union ist kein Verteidigungsbündnis, aber die Stabilität der öffentlichen Daseinsvorsorge gehört auch zu ihren Aufgaben.“
Mehr Bewusstsein in Politik und Bevölkerung
Für die kritische Infrastruktur bedeute das, dafür zu sorgen, dass öffentliche Orte nicht leicht zugänglich sind, dass es Frühwarnsysteme gibt, wie die Bevölkerung reagieren kann, wenn es zu einem Zwischenfall kommt. Und, die Kommunen in den Ländern viel stärker einzubinden beim Schutz von Straßen, Flughäfen oder Energieversorgern – eben den Orten, die zur kritischen Infrastruktur gehören. In Deutschland soll das sogenannte Kritis-Dachgesetz für mehr Bewusstsein sorgen und die Betreiber stärker in die Pflicht nehmen.
Bendiek sagt: „Unser größtes Problem ist, dass wir immer noch in der Friedensdividende leben. Dabei ist die Welt eine andere geworden.“ Bei den übergeordneten Institutionen gehe es viel um Kompetenzgerangel, in den Ländern gebe es häufig Doppelstrukturen, unklar bleibe, wer für was eigentlich zuständig sei. Die Bundesregierung will den Nationalen Sicherheitsrat, der ans Kanzleramt angedockt ist – also Chefsache – dafür nutzen, in Sicherheitsfragen zukünftig schneller und effektiver reagieren zu können.
Doch dann ist da noch die leidige Sache mit den Geheimdiensten und vertraulichen Informationen, die Querverbindungen zwischen hybriden Angriffen herstellen könnten. Verschiedene Plattformen, die Fälle von Angriffen auf kritische Infrastrukturen sammeln, sind im Aufbau. Die Rückkehr zum Nationalismus in Sicherheitsfragen blockiert jedoch den Austausch von Informationen. Was kommt nach Dänemark? Welcher Staat meldet als nächster verdächtige Flugobjekte, Sabotageakte oder Cyberangriffe? Der nächste überraschende Drohnenflug in Europa kommt bestimmt. Und die Diskussion über angemessene Reaktionen zwischen Deeskalation, Solidarität und der Demonstration von Stärke wird weiter an Fahrt aufnehmen.
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