Angriffe auf Journalist*innen am Kapitol: Bloß noch ein Feindbild
Die Aggressionen der Rechtsextremen gegen Medienvertreter*innen in Washington geben eine Aussicht auf das Erbe der Trump-Ära.
„Murder the Media“ hat jemand in den Lack einer Tür zum Capitol geritzt. „Ermordet die Medien“. Egal ob die Person ein Messer hatte oder den Schlüsselbund nahm: So etwas zu ritzen dauert seine Zeit. Jemand hat sich also in dem Gemenge der Krawalle in Washington D. C. am Mittwoch tatsächlich ein paar Minuten genommen, um ganz in Ruhe diese Botschaft in der elfenbeinfarbenen Flügeltür zu hinterlassen.
So ein Spruch mag erst mal niemandem wehtun, aber er fasst zusammen, was der Trumpismus hinterlässt: einen diffusen, gewaltvollen Hass auf „die Medien“. Für diejenigen, die am Mittwoch in den Sitz des US-Kongresses eingedrungen sind, gibt es keinen Unterschied zwischen den politischen Institutionen und den Sendern und Zeitungen, die sie abbilden. Für die Rechtsextremen sind das beides Symbole von Autorität, an denen man lustvoll die eigene Wut und Aggression auslässt.
Mehrfach traf diese Aggression am Mittwoch auch Journalist*innen. ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen geriet in eine Situation, in der Rechtsxtreme ihn und andere Medienvertreter*innen offenbar umringten und ihnen Equipment entwendeten, um es gewaltvoll zu zerstören. Übertragungsmaterial und Videotelefone seien zertrümmert worden, teilt das ZDF mit, im Schaltraum seien Drohanrufe eingegangen.
Eine Art Scheiterhaufen aus TV-Ausrüstung ist in mehreren Videos und Fotos dokumentiert. Ein Buzzfeed-Korrespondent spricht von einer „Schlinge“, die jemand aus einem Kamerakabel geknotet und an einem Baum befestigt habe. Ein verstörendes Video eines Bloomberg-Reporters zeigt, wie eine Gruppe Medienvertreter*innen gewaltvoll zurückgedrängt werden. Die aufgeheizten Männer, von denen einer den Ständer seiner Flagge nach den Journalist*innen schwingt, scheinen Verletzungen bei diesen in Kauf zu nehmen. Sie existieren nicht mehr als Personen, nur noch als Feindkonzept.
Sie fürchten die Presse
Bis Donnerstagmittag gab es keine Nachrichten über verletzte Journalist*innen. Aus dem fernen Vancouver in Kanada berichtet ein Fotojournalist des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, von einem Trump-Unterstützer einen gezielten Faustschlag ins Gesicht bekommen zu haben.
Zwei Videoreporterinnen der Washington Post wurden nach dem Beginn der Ausgangssperre kurzzeitig festgenommen. Nach eigenen Angaben wurden sie jedoch sofort freigelassen, nachdem sie sich ausgewiesen hatten.
Es ist nicht gesagt, dass es immer so glimpflich abläuft. Mittwoch hat gezeigt, dass es nur wenige Rechtsextreme braucht, um mitten in der Hauptstadt Schrecken zu verbreiten. Die White Supremacists haben gelernt, dass sie die Presse verjagen können. Dass die Polizei sie nicht schützt.
Die massive Gewalt gegen die Presse ist nur zum Teil die pure Lust am Einschüchtern. Das Feindbild Presse hat Donald Trump in den letzten vier Jahren aufgebaut und rechtsextreme Nischenmedien haben zur Verbreitung beigetragen. Der Trumpismus fürchtet den Kontrollverlust, den eine freie Presse erzeugt. Und im Gegensatz zu liberalen und pluralistischen Bewegungen glaubt er auch, eine freie Presse nicht zu brauchen. Solange es ein ausreichendes mediales Angebot im Netz gibt, das die zentralen Botschaften von Trumps Angstideologie wiederkaut. Angst vor Migration, vor „Antifa“, vor Frauen, vor allem, was anders ist. Bereits jetzt lassen sich genügend Berichte auf Fox News und anderen rechten Sendern anklicken, die hinter den Krawallen irrsinnigerweise einen Plot der linken „Antifa“ wittern.
Die Gruppe gewaltbereiter Rechtsextremer, die Trump in seiner Amtszeit mobilisiert hat, wird bleiben. Nicht ganz klar ist, wie groß sie ist. Durch ihr Agieren innerhalb einer größeren, aber weitgehend gewaltfreien Demonstration und durch den Angriff auf ein Symbol US-amerikanischer Stärke haben sie sich größer gemacht, als sie sind. Aber sie sind groß genug, um eine Gefahr zu sein. Nicht nur, aber auch für die Presse. „Murder the Media“ mag symbolisch und nicht wörtlich gemeint sein. Aber die Gefahr ist, dass immer weniger Journalist*innen das ausprobieren möchten.
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