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Angriff bei Chan JunisIst Hamas-Chef Deif tot?

Bei Israels Angriff auf ein Flüchtlingslager in Südgaza stirbt ein Drahtzieher vom 7. Oktober. Ob auch der Militärchef der Hamas umkam: unklar.

Mindestens 300 Menschen wurden laut palästinensischen Angaben verletzt: Ruinen in al-Mawasi im Süden von Gaza Foto: Mohammed Salem/reuters

Berlin taz | Die Explosionen am Samstagvormittag waren deutlich lauter als das, was die Bewohner von Chan Junis seit Monaten gewohnt sind. Auch die 70 Meter hohe Rauchwolke, die der israelische Luftangriff auf das westlich der Stadt liegende Flüchtlingslager al-Mawasi hinterließ, trieb viele Menschen aus Angst vor weiteren Einschlägen in die Flucht. Palästinensischen Angaben zufolge wurden bei dem israelischen Militäreinsatz mindestens 90 Menschen getötet. Mindestens 300 weitere wurden verletzt.

Al-Mawasi ist eine von der israelischen Armee (IDF) ausgewiesene humanitäre Schutzzone, in die Palästinenser aus anderen Teilen des Gazastreifens Zuflucht gefunden haben. Mit fünf 1.000-Kilo-Bomben hatte die IDF in dem 12 Kilometer langen Küstenstreifen zwischen Rafah und Chan Junis ein Ziel ins Visier genommen, das ihr offensichtlich wichtiger erschien als der selbst ausgerufene Schutzstatus: Mohammed Deif.

Der Militärchef der Hamas soll sich mitsamt seiner Entourage zum Zeitpunkt des Angriffs inmitten der Zelte von al-Mawasi befunden haben. „Der Angriff hat in einem eingezäunten Gebiet stattgefunden, das von der Hamas kontrolliert wird“, so eine israelische Armeeerklärung am Samstag. „Keines der Opfer waren Zivilisten.“ Das israelische Militär meldete am Sonntag den Tod des Kommandeurs der Hamas-Brigade in der Stadt Chan Junis, Rafa Salama.

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sagte am Samstag bei einer Pressekonferenz in Tel Aviv, das Schicksal von Deif sei hingegen ungewiss. Die weiterhin zahlreichen Vermissten und der metertiefe Einschlagskrater in al-Mawasi lassen jedoch vermuten, dass Deif keine Überlebenschance hatte – sollte er sich tatsächlich in der Nähe befunden haben.

In Gaza eine Art Superheld

Mohammed Deif hat nach israelischen Angaben bisher vom Tunnelsystem unter dem Gazastreifen aus die Hamas-Operationen organisiert und war offenbar kurz vor dem Einsatz auf das Radar des Geheimdienstes Schin Bet gekommen. Er gilt wie Salama als strategischer Planer des Hamas-Angriffs auf Israel am 7. Oktober 2023.

Die Hamas verkündete am Samstag über ihre sozialen Kanäle, dass Mohammed Deif noch lebe. „Das Massaker von al-Mawasi geschah in einem Gebiet mit 80.000 Vertriebenen“, hießt es in einer Hamas-Erklärung. Und: „Der Angriff ist ein klarer Beweis dafür, dass die zionistische Regierung ihre Auslöschungskampagne gegen die palästinensische Bevölkerung fortsetzt.“

Doch wer ist Deif überhaupt? Als Sohn palästinensischer Flüchtlinge 1965 in Chan Junis geboren, steht Mohammed Deif, Chef der Kassam-Brigade, seit mehr als 30 Jahren auf Israels Liste der meistgesuchten Terroristen. Siebenmal soll er seinen Verfolgern lebend entkommen sein, und auch diesmal hat er, Hamas-Verlautbarungen zufolge, den Versuch der israelischen Luftwaffe, den gefährlichen Erzfeind auszuschalten, überlebt.

Dass Israels Armee und Nachrichtendienste nicht aufgeben bei der Jagd auf den Mann, dem neun Leben nachgesagt werden, hat gute Gründe. Der Tod von einigen Dutzend Terroropfern soll auf sein Konto gehen. Bei Entführungen, Messer- und Schussüberfällen, zig Bombenattentaten, bei der Planung des Tunnelsystems im Gazastreifen und der Entwicklung der Kurzstreckenraketen – bei allem hatte Deif seine Finger im Spiel. In Gaza gilt Deif als eine Art Superheld. Sein Tod wäre ein schwerer moralischer Rückschlag für die islamistische Terrororganisation.

Auf der Armee-Pressekonferenz in Tel Aviv trat Netanjahu erstmals ohne Verteidungsminister Joav Galant oder andere Minister seines Kabinetts auf. Galant hatte in den letzten Wochen mehrmals eine politische Alternative zu der Herrschaft der Hamas in Gaza gefordert.

Hamas will weiter verhandeln

Beobachter sehen darin einen Affront gegenüber Netanjahu, der schon im Frühjahr versprach, man sei nur noch einen „Schritt von einem militärischen Sieg entfernt“. Den Angriffsbefehl auf al-Mawasi habe er erst gegeben, als es ausreichend Geheimdienstinformationen über Deifs Aufenthaltsort gegeben habe und die Gefahr für die Zivilbevölkerung gering gewesen sei, so Netanjahu.

Derweil gingen auch am Samstagabend wieder Tausende Israelis in Tel Aviv auf die Straße. Sie forderten das Ende des Gazakriegs und ein Abkommen zur Rückkehr der noch bis zu 120 entführten israelischen Geiseln. „Stoppt den Wahnsinn“ oder „Bibi (Netanhaju), der Feind Israels“, stand auf Plakaten der Demonstranten.

Offenbar will die Terrororganisation trotz des Angriffs von al-Mawasi die laufenden Waffenstillstandsverhandlungen fortsetzen. Bei diesen hatte es zuletzt nach einem Durchbruch ausgesehen. Zunächst gab es vonseiten der Hamas wider­sprüchliche Signale, wie es nun weitergeht. Ein Mitglied des Politbüros der Hamas stellte am Sonntag jedoch klar, man werde die erstmals erfolgversprechenden Verhandlungen fortsetzen, „trotz der israelischen Versuche, diese mit Massakern zu behindern“.

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14 Kommentare

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  • Nehmen wir um des Argumentes willen die Hamas beim Wort und bestreiten das Vorhandensein eines abgegrenzten von Zivilisten freien Kombattantenbereiches. Dann hätte die Hamas gezielt und bewußt ihr militärisches Hauptquartier mitten in einem Flüchtlingslager verborgen. Das ist klar und eindeutig ein schweres Kriegsverbrechen. Warum verschweigt das die deutsche Presse geschlossen und ausnahmslos?

    • @Axel Berger:

      "Dann hätte die Hamas gezielt und bewußt ihr militärisches Hauptquartier mitten in einem Flüchtlingslager verborgen. Das ist klar und eindeutig ein schweres Kriegsverbrechen"

      Das ist das korrekte Framing. Hamas nutzt bewusst alle solchen Regelungen um mehr Tote zu erzeugen. Oder um es in den Worten eines mutmaßlichen Toten Chefs der Hamas zu sagen: "It is not our job to protect the civilians in Gaza."

      • @ToSten23:

        Das "korrekte Framing" ist Ihnen zufolge, dass die Hamas das Ermorden (lassen) möglichst vieler Palästinenser als Ziel verfolgt.



        Wenn dem so ist, warum sind IDF und israelische Regierung so enorm hilfreich bei der Erfüllung dieses Ziels, anstatt eigene Ziele, etwa das Verhandeln über die Freilassung der Geiseln zu verfolgen?



        Und so widerwärtig das Zitat am Ende ihres Beitrags ist, völkerrechtlich hat der Mann leider völlig recht, der Schutz der Zivilbevölkerung obliegt der Besatzungsmacht.

        • @Residente:

          Nein, er ist gänzlich im Unrecht.

          Im Bezug auf Kriegsverbrechen kennt das Völkerrecht keine Unterscheidung zwischen Besatzungsmacht und anderen Kriegsparteien.

          www.un.org/depts/g...roemstat1.html#T28

          Und „die Benutzung der Anwesenheit einer Zivilperson oder einer anderen geschützten Person, um Kampfhandlungen von gewissen Punkten, Gebieten oder Streitkräften fernzuhalten“ ist ein Kriegsverbrechen. Es ist ein Kriegsverbrechen, weil es den Gegner dazu zwingt, zum erreichen seiner militärischen Ziele mehr zivile Opfer in Kauf zu nehmen. Jeder Zivilist, der wegen solcher Umstände zusätzlich umkommt ist Opfer dieses Kriegsverbrechens. Verantwortlich für die Opfer eines Kriegsverbrechens ist derjenige, der das Kriegsverbrechen verübt, im Falle von Gaza sind es Hamas & Co.

          • @Socrates:

            Natürlich legitimiert der Status der Besatzung keine Kriegsverbrechen der Besetzten.



            Er legt der besetzenden Macht aber besondere Pflichten zum Schutz der Zivilbevölkerung auf, nachzulesen in Teil 3, Sektion 3 der Genfer Konvention.



            ihl-databases.icrc...treaties/gciv-1949

            Im Falle von Gaza von einem Kriegsverbrechen mit einem Verantwortlichen zu sprechen geht völlig an der Realität vorbei.



            Ein Flüchtlingslager in einer ausgewiesenen Schutzzone als militärische Operationsbasis zu nutzen und dieses ohne jede Rücksicht auf Verhältnismäßigkeit und die besonderen Pflichten als Besatzungsmacht trotzdem zu bombardieren wären beispielsweise schon zwei Kriegsverbrechen.

        • @Residente:

          Seit wievielen Jahren ist der Gazastreifen jetzt schon nicht mehr besetzt und vollkommen "judenrein"? Der Schutz der eigenen Bevölkerung ist Pflicht der gewählten und steuereinnehmenden Regierung.

          • @Axel Berger:

            Ich weiß nicht was Sie zur Nutzung völkisch-nazistischer Begriffe verleitet, die Anführungszeichen machen das ehrlich gesagt nur marginal besser.



            Es geht um die Anwesenheit israelischer Truppen, um die Kontrolle von Grenzübertritten von Menschen und Waren und Militäroperationen in den besetzten Gebieten, die sich Israel immer wieder erlaubt hat. Dementsprechend wäre ich mit Amnesty und unzähligen anderen internationalen Organisationen der Meinung die Besatzung ist nie beendet worden.

            "Im Jahr 2005 hat Israel seine Streitkräfte und die Siedler*innen aus dem Gazastreifen abgezogen, aber die Kontrolle über die Landgrenzen, den Luftraum und die Hoheitsgewässer des Gazastreifens behalten. [...] Damit eine Besatzung beendet werden kann, muss die Besatzungsmacht auch die Kontrolle über alle Aspekte des Lebens der Bevölkerung des besetzten Gebietes aufgeben, einschließlich der Kontrolle über das Land, die Ressourcen, den Luftraum und die Hoheitsgewässer des besetzten Gebiets."



            www.amnesty.de/fra...nensischen-gebiete

            So zu tun als sei die Hamas die regulär gewählte Regierung eines souveränen Staates ist offensichtlich Unsinn.

            • @Residente:

              Den Begriff habe ich übernommen von jüdischen/israelischen Quellen -- nicht Haaretz, die selbst von der Taz links genannt wird -- die ihn sehr bewußt verwenden, um zu verdeutlichen, was "Zionismuskritiker" mit ihren unscharfen Umschreibungen wirklich meinen. Und in genau dem Sinn und mit dem Ziel verwende ich ihn auch. Wie sieht es in den Kibbutzim rund um Gaza und im Norden heute denn aus und war das etwa nicht das Ziel und die Absicht?

              • @Axel Berger:

                Diese Quellen würden mich interessieren, und sei es nur um zu erfahren welchen englischen oder hebräischen Begriff Sie so ins Deutsche übersetzen.



                Ansonsten muss ich leider gestehen, dass ich nicht sicher bin worauf Sie hinauswollen. Das der Zustand der israelischen Grenzregionen in der Absicht von Hamas und Hisbollah lag und liegt?



                Falls ja, würde ich dem zustimmen und nach dem Zusammenhang zu vorherigen Beiträgen, der Besatzung, oder dem Vorgehen der IDF fragen.

                • @Residente:

                  Ich suche jetzt nicht extra, aber es waren englischsprachige Texte (hebräisch kann ich im Prinzip lesen, aber alles andere als flüssig), die den wohlbekannten deutschen Begriff unübersetzt so im Original verwendeten.

  • Netanyahu denkt offenbar gar nicht an einen Frieden, er denkt an möglichst lange Krieg, wohl, um im Sattel zu bleiben.



    Die Spitzen des Gegenüber zu töten ist keine gute Idee (den Sonderfall Hitler mal außen vor), wenn man verhandeln will. Will Netanyahu leider nicht, siehe oben. Aber es wäre ein guter Anfang, unabhängig von dem, was die Hamas auch tun mag, die Grundregeln einzuhalten:



    Rückzug aus allen besetzten Gebieten, Blockade und Behinderung Palästinas stoppen, 100 % Gleichheit im Inland auch für nichtjüdische Bürger.



    Dass man die Vertreibungen und Enteignungen dann im Folgenden lösen kann, ebenso die Sicherheitsbedürfnisse zweier traumatisierter Völker.



    Wer nur auf Stärke und Gewalt setzen kann, ist schwach. Und vom Frieden weiter weg als das Mittelmeer von Neuseeland.

    • @Janix:

      "Bei Israels Angriff auf ein Flüchtlingslager in Südgaza stirbt ein Drahtzieher vom 7. Oktober"

      Janix: "Die Spitzen des Gegenüber zu töten ist keine gute Idee (den Sonderfall Hitler mal außen vor),"

      Also Janix, ich finde es ist eine gute Idee die Drahtzieher*innen und Täter des genozidalen Angriffskrieges und der Massaker vom 7. Oktober zu töten, wenn die Palästinensische oder Internationale Justiz diese nicht zur Rechenschaft zieht.

      Wir reden hier von Situationen wie bei Eichmann.

      Wer soll denn in deinen Augen priorisiert werden? Die untersten Eben, die Mitläufer*innen? Nein! Es muss die Leitungsebene sein, dies ist notwendiger Druck, damit sie bereit ist zu verhandeln.

      "unabhängig von dem, was die Hamas auch tun mag, die Grundregeln einzuhalten"

      Mit anderen Worten bist du dafür die restlichen Geiseln in Haft zu lassen.

      Die Hamas könnte sich an die UN Resolution halten und damit Grundpfeiler: Geiseln sofort freilassen. Tut sie nicht.

      Sie könnte zusätzlich die Waffen niederlegen und die Führungsspitze ins Exil schicken und der Krieg wäre morgen zu Ende.

      • @ToSten23:

        Ja und dafür gibt es den Internationalen Gerichtshof, und Netanjahu wird sich dort auch verantworten müssen.

      • @ToSten23:

        Die Hamas könnte sich an die UN Resolution halten und damit Grundpfeiler: Geiseln sofort freilassen. Tut sie nicht.

        Israel könnte sich an das Völkerrecht halten. Tut es nicht.