Angriff auf slowakischen Premier: Ficos Zustand „weiterhin ernst“
Slowakische Medien berichten, der Premier habe nach der OP wieder das Bewusstsein erlangt. Es gibt Hinweise auf ein politisches Motiv des Attentats.
Wegen einer Informationssperre des Krankenhauses gab es nur zögerliche Informationen und viele Spekulationen über den Gesundheitszustand des Regierungschefs. Ein Attentäter hatte am Mittwoch auf den 59-Jährige geschossen. Kalinak gilt als enger Vertrauter Ficos und ist auch in der Linkspartei Smer sein Stellvertreter.
Bis Donnerstagmorgen herrschte Ungewissheit über den Gesundheitszustand Ficos, der sich noch am Mittwoch einer mehrstündigen Notoperation in der Regionalhauptstadt Banska Bystrica unterziehen musste. Innenminister Matus Sutaj Estok und Verteidigungsminister Robert Kalinak, der auch stellvertretender Regierungschef ist, hatten am Mittwochabend direkt in der Klinik verkündet, Ficos Zustand sei lebensbedrohlich und „außerordentlich ernst“. Am frühen Morgen berichteten slowakische Medien, Fico habe nach der Operation wieder das Bewusstsein erlangt. Allerdings nannten weder der Fernsehsender TA3 noch die Zeitung Dennik Details zum Gesundheitszustand des Regierungschefs.
Der Angriff auf den slowakischen Premier löste auch international Bestürzung aus. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte das Attentat „unerträglich“. „Ich wünsche ihm, dass er sich gut von diesem feigen Anschlag erholt“, sagte Scholz. US-Präsident Joe Biden sprach von einer „schrecklichen Gewalttat“. „Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und dem slowakischen Volk“, erklärte er.
Der slowakische Regierungschef wurde am Mittwoch bei einer öffentlichen Veranstaltung angeschossen. Er habe sich mit Regierungsvertretern bei einer Kabinettssitzung in Handlová in der Zentralslowakei, etwa 180 Kilometer von der Hauptstadt Bratislava entfernt, befunden, berichten mehrere slowakische Medien übereinstimmend.
Laut der Boulevardzeitung plus7dni war der 59-jährige Premier nach der Sitzung zum Händeschütteln an die Zuschauenden an einem Absperrzaun herangetreten. Jemand soll ihn bei seinem Spitznamen „Robo, komm hierher“ gerufen haben, woraufhin fünf Schüsse gefallen seien. Es ist nicht bestätigt, wie viele davon den Premierminister getroffen haben. Laut Berichten der Investigativzeitung Denník N soll Fico ein Schuss in den Bauchbereich getroffen haben, andere in seine Arm- und Beinregion.
Mutmaßlicher Täter ist ein 71-jähriger Schriftsteller
Ein Reporter von Denník N hat sich bei der Kabinettssitzung vor Ort befunden, ein Foto zeigt den Premierminister kurz vor dem Angriff vor der Menge. In Videoaufnahmen des Fernsehsenders RTV Prievidza ist zu sehen, wie der Premierminister nach den Schüssen auf dem Boden liegt. Mehrere Medien berichten, dass ihn seine Sicherheitskräfte in seine Limousine und damit ins Krankenhaus gebracht hätten.
Im Laufe des Mittwochabends wurden Details zur Identität des mutmaßlichen Attentäters bekannt. Auf die Frage, ob es sich um einen 71-jährigen Schriftsteller aus dem Zentrum der Slowakei handle, sagte Innenminister Estok: „Ich denke, ich kann das bestätigen, ja.“ Der Mann soll Medienberichten zufolge aus der Stadt Levice rund 150 Kilometer östlich von Bratislava kommen und Gründer eines Literaturclubs sein. Demnach ist er zudem Mitglied der offiziellen slowakischen Schriftstellervereinigung, was diese später im Onlinedienst Facebook bestätigte. Sollte bestätigt werden, dass es sich um den mutmaßlichen Attentäter handelt, werde die Mitgliedschaft „dieser abscheulichen Person“ aufgekündigt.
Der Sohn des Mannes erklärte gegenüber dem slowakischen Nachrichtenportal aktuality.sk, sein Vater besitze legal eine Waffe. Auf die Frage, ob sein Vater Hass auf Regierungschef Fico verspüre, antwortete er: „Er hat ihn nicht gewählt, mehr kann ich dazu nicht sagen.“ Der Mann veröffentlichte mehrere politische Statements in Online-Netzwerken. Vor acht Jahren sagte er in einem davon, die Welt sei „voller Gewalt und Waffen“ und die Menschen schienen „verrückt zu werden“. Zudem sprach er über seine Sorgen über Immigration und „Hass und Extremismus“. Er selbst habe eine „Bewegung gegen Gewalt“ gegründet.
Weltweites Entsetzen
„Ich bin schockiert und wünsche Robert Fico viel Kraft“, verurteilte Zuzana Čaputová, Präsidentin der Slowakei, die Attacke. Weltweit herrschte Entsetzen nach dem Angriff. UN-Generalsekretär António Guterres sprach von einem schockierenden Angriff. „Die Gedanken des Generalsekretärs sind in diesem schwierigen Moment beim Ministerpräsidenten und seinen Angehörigen“, sagte ein Sprecher am Mittwoch in New York.
Auch Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) zeigte sich zum Auftakt einer Rede im Bundestag am Mittwoch betroffen. Er wünschte Robert Fico „gute Besserung“ und mahnte zur verbalen Abrüstung. Diejenigen, die sich dem demokratischen Spektrum zugehörig fühlen, sollten ihre Worte „sorgsam wägen“. Vor allem mit Blick auf die AfD warnte Habeck, „dass aus Worten Taten folgen und dass diese Taten dann meistens eine geistige Vorbereitung haben“. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte die Schüsse auf den slowakischen Regierungschef „abscheulich“. Ihre Gedanken seien bei Fico und seiner Familie.
Fico hatte mit seiner prorussischen und populistischen Partei Smer die Parlamentswahlen im vergangenen September gewonnen. Nach seinem Rücktritt 2018 kehrte er damit zurück an die Macht. Er hatte sich mit seinem antidemokratischen Kurs in den vergangenen Monaten Ungarn angenähert. Er hatte etwa in einem Eilverfahren eine Justizreform durchgebracht, die Gefängnisstrafen verkürzen soll. Kritiker*innen befürchten, dass dadurch auch Strafen gegen hohe Staatsbeamte wegen Korruption verringert werden könnten. Gegen seine Politik hatten in den vergangenen Monaten immer wieder Menschen in der ganzen Slowakei protestiert.
Fico in EU wegen Ukraine-Politik umstritten
Ficos neuster Vorstoß gegen die freie Presse im Land war die Ankündigung, dass er den öffentlich-rechtlichen TV- und Radiosender RTVS schließen wolle. Gegen die Schließung sollte am Mittwoch ein Protest in Bratislava stattfinden. Wegen des Angriffs auf Fico hatten sich die Oppositionsparteien jedoch entschieden, die Kundgebung abzusagen. In Bratislava hatte gleichzeitig ein Parlamentstreffen stattgefunden, das nach Bekanntwerden der Schüsse auf den Premierminister unterbrochen wurde.
In Europa ist Fico wegen seiner oft überspitzten Formulierungen zur Ukraine- und Russland-Politik der EU umstritten. Im Wahlkampf für die Parlamentswahl im Herbst 2023 ließ er mit der Ankündigung aufhorchen, er wolle „keine Patrone“ mehr an Waffen an die Ukraine liefern. Tatsächlich aber hat die Slowakei seit Ficos Rückkehr an die Regierung im Oktober alle EU-Sanktionen gegen Russland mitgetragen und auch allen EU-Hilfen für die Ukraine zugestimmt – einschließlich der Verwendung eingefrorener russischer Gelder für die Ukraine und Befürwortung eines Beitritts der Ukraine zur EU – nicht aber zur Nato.
Die Sanktionen gegen Russland lehnt Fico entgegen irreführender Medienberichte nicht grundsätzlich ab. Er kritisiert aber, dass manche von ihnen der von russischem Gas, Öl und Uran abhängigen Slowakei mehr schaden als Russland selbst. Stattdessen verlangt er Sanktionen, die Russland empfindlicher treffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku