Angeklagte im geplatzten G20-Verfahren: Auf den richtigen Weg gebracht
Das Jugendstrafrecht soll Heranwachsende erziehen. Beim geplatzten Rondenbarg-Prozess passiert genau das, aber anders als vom Gericht beabsichtigt.
W as zunächst wie eine gute Nachricht klingt, ist auf den zweiten Blick nur eine halb gute: Die Jugendkammer des Hamburger Landgerichts hat den G20-Rondenbarg-Prozess eingestellt – vorerst. Wegen der anhaltend hohen Corona-Infektionszahlen und des Lockdowns will das Gericht die Hauptverhandlung erst fortsetzen, wenn die Pandemielage es zulässt. Wann das sein wird, weiß keine*r, sicher aber nicht mehr innerhalb der rechtlichen Frist, in der ein Strafverfahren pausieren darf. Der Prozess muss dann von vorn beginnen.
Zwar haben erst zwei Termine stattgefunden. Trotzdem wäre es lächerlich, die Anfang Zwanzigjährigen aus Stuttgart, Bonn und Halle vier Jahre nach den Gipfelprotesten erneut wöchentlich nach Hamburg zu zitieren. Für die Angeklagten ist die Belastung jetzt schon enorm. Seit Sommer 2017 leben sie mit der negativen Erwartung, sich einer juristischen Prozedur unterziehen zu müssen, die zermürbend und erniedrigend ist.
Hätten sie schwere Straftaten begangen, könnte man sagen okay, das hätten sie sich früher überlegen sollen. Aber das ist ja nicht der Fall. Ihnen wird lediglich vorgeworfen, demonstriert zu haben.
Unverhältnismäßiger Eingriff ins Leben Heranwachsender
Als Steine und Böller aus der Demo in Richtung von Polizist*innen flogen, diese aber verfehlten, hätten sie durch ihre Anwesenheit und das einheitliche Auftreten psychologisch mitgewirkt, behauptet die Staatsanwaltschaft. Zu Schaden kam allerdings auch niemand, vielmehr wurden die Demonstrant*innen buchstäblich von einer Polizei-Sondereinheit zerlegt.
Vor diesem Hintergrund so stark in das Leben heranwachsender, damals Minderjähriger einzugreifen, ist nicht nur völlig überzogen, sondern auch ein trauriges Zeichen für den Rechtsstaat. Zumal das Jugendstrafrecht ja den erzieherischen Gedanken in den Vordergrund stellt. Es zielt nicht vorrangig aufs Strafen, sondern darauf, Jugendliche auf den richtigen Weg zu bringen. Das dürfte schon gelungen sein – aber auf einen Weg gegen die ungerechte Gesellschaft, in der bestraft wird, wer für seine Rechte auf die Straße geht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen