Anerkennung indigener Rechte in Chile: „Schlusslichter“ in Lateinamerika
In Chile gibt es einen historischen Landstreit zwischen dem Staat, den Mapuche und Forstunternehmen. Und sie bleibt bis heute noch ungelöst.
Seit über 500 Tagen sind die Streitkräfte im Süden Chiles im Einsatz, im Wallmapu, dem angestammten Territorium der Mapuche, das sich über die Region Araucanía sowie zwei Provinzen der Nachbarregion Bío Bío erstreckt. Das liegt daran, dass Chiles Parlament eine erneute Verlängerung des Ausnahmezustands in der sogenannten Makrozone Süd beschlossen hat, laut Parlamentswebseite „wegen der Gewalttaten im ländlichen Raum“.
In dieser Zone gibt es einen historischen Landstreit zwischen dem chilenischen Staat, einigen Gemeinschaften der Mapuche und der Forstindustrie, die seit der Militärdiktatur (1973–1990) Ländereien ausbeutet, die von den Mapuche als ihr angestammtes Territorium angesehen werden. Vor diesem Hintergrund nehmen Forderungen nach Land und Landbesetzungen seitens der indigenen Gemeinschaften zu. Das ist ein entscheidender Teil des Konflikts, den der Staat bis heute nicht gelöst hat. Dazu kommen Brandanschläge auf Fahrzeuge und Ländereien der Forstindustrie sowie die Inhaftierung von Mapuche aus politischen Gründen. Im Gefängnis der südchilenischen Stadt Angol sind sie bereits seit 100 Tagen im Hungerstreik und fordern die Anerkennung ihrer „politischen, territorialen, kulturellen und spirituellen Rechte“.
Der Ausnahmezustand, gleichbedeutend mit einer Militarisierung des Mapuche-Gebiets, wurde erstmalig im Oktober 2021 von der damaligen rechtsgerichteten Regierung von Sebastián Piñera verhängt. Sieben Monate später erklärte die derzeitige Mitte-links-Regierung von Präsident Gabriel Boric einen „begrenzten“ Ausnahmezustand in der Zone, obwohl Boric sich während seines Wahlkampfs noch gegen diese Maßnahme ausgesprochen hatte. Die Militarisierung und die auf Sicherheit und Repression ausgerichtete Politik haben das Misstrauen verschiedener Mapuche-Gemeinschaften verstärkt, denn aus ihrer Sicht zielen diese Maßnahmen nicht auf die Behebung der politischen Ursache des Konflikts, nämlich den vom chilenischen Staat seit dem 19. Jahrhundert begangenen Raub am Mapuche-Territorium. Der Staat bediente sich Mitteln wie Versteigerungen, notariellen Tricks und der Umsiedlung von Mapuche auf kleine Parzellen, wie der Forscher Martín Correa im Interview mit der chilenischen Zeitung Interferencia erklärt.
Die Folgen der Pinochet-Diktatur
Der Text ist am 8. September 2023 als Teil einer achtseitigen Chile-Beilage in der taz erschienen. 50 Jahre ist es her, dass in Chile ein von den USA unterstützter Militärputsch am 11. September 1973 der demokratisch gewählten Regierung des Sozialisten Salvador Allende ein jähes Ende setzte. Mehr als 3.000 Menschen kamen während der folgenden Diktatur (1973 – 1990) ums Leben, noch mehr wurden inhaftiert, gefoltert und ins Exil getrieben. Die taz Panter Stiftung nimmt das Jubiläum zum Anlass, um zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und unterstützt von der Stiftung Umverteilen an die damaligen Geschehnisse zu erinnern und zugleich zu fragen, wie die Ereignisse vor 50 Jahren die gesellschaftlichen Verhältnisse von heute beeinflussen. Einige Texte wurden auch auf Spanisch veröffentlicht.
Die chilenische Agrarreform im 20. Jahrhundert hatte zum Ziel, den Großgrundbesitz zu überwinden und die prekären Lebensbedingungen der Bauern zu verbessern. Im Zuge der Reform wurden Landfragen zu einem wichtigen Eckpfeiler staatlicher Politik, aber auch zum Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Sektoren der Gesellschaft. Während der Regierungszeit des Wahlbündnisses aus linken Parteien, der Unidad Popular, bewirkte der Präsident Salvador Allende wesentliche Veränderungen durch das Gesetz Ley Indígena Nr. 17.729, das 1972 zum ersten Mal die ethnische Identität berücksichtigte.
Laut dem mapuche-chilenischen Journalisten Pedro Cayuqueo hat die Allende-Regierung den Mapuche-Gemeinschaften schätzungsweise 152.416 Hektar Land übergeben und damit ein historischer Prozess der Wiedergutmachung begonnen. Nach dem Putsch vom 11. September 1973 wurden die Gebiete jedoch wieder ihren Vorbesitzern übergeben. Während der Diktatur, im Jahr 1979, wurde durch das Dekret Nr. 2.568 die Aufteilung der gemeinschaftlichen Landtitel vorangetrieben und das Volk der Mapuche wurde um große Landflächen gebracht, was erneut Armut, Repression und Ausplünderung bedeutete. Unter Augusto Pinochet wurden Mapuche ermordet, sie verschwanden oder wurden ins Exil getrieben und verfolgt – darüber hinaus wurde ihr gemeinschaftliches Zusammenleben durch die erzwungene Aufteilung ihres Landes größtenteils zerstört.
Großes Versprechen nach der Militärdiktatur
Während das Land nach der von Pinochet angeführten zivilmilitärischen Diktatur zur Demokratie zurückkehrte, kamen 1989 von dem damaligen Präsidentschaftskandidaten und später Präsidenten Patricio Aylwin Azócar Versprechungen. „Viele von uns hatten Hoffnung, aber das Wichtigste war, den Diktator loszuwerden“, erinnert sich der Lonko (Autoritätsperson der Mapuche) José Painaqueo Paillán. In jenem Jahr verpflichtete sich Aylwin gegenüber indigenen Organisationen der Mapuche, Huilliche, Aymara und Rapa Nui in der sogenannten Vereinbarung von Nueva Imperial zur „verfassungsmäßigen Anerkennung der indigenen Völker“ – ein Versprechen, das er nie einlöste. Zudem sagte er die Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation zu, was erst 2008 umgesetzt wurde. Der einzige tatsächliche Fortschritt unter Aylwin war die Verabschiedung der Ley Indígena Nr. 19.253, des Gesetzes für „Schutz, Förderung und Entwicklung der Indigenen“, welches 1993 die Gründung der Nationalen Gesellschaft für indigene Entwicklung (Conadi) nach sich zog.
„Was die Anerkennung indigener Rechte angeht, gehört Chile zu den Schlusslichtern in Lateinamerika“, schreibt dazu die Forscherin Verónica Figueroa Huencho bei dem Onlinemedium Ciper. 2021 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet, die die seit 1980 geltende aus Diktaturzeiten ersetzen sollte. Dabei wurde auch über Plurinationalität diskutiert, eine der Hauptforderungen der Großdemonstrationen der sozialen Revolte im Oktober 2019. Diese Mobilisierung ermöglichte es, eine Mapuche-Frau, Elisa Loncón, zum ersten Mal als Leiterin der verfassunggebenden Versammlung zu wählen. Der schließlich beschlossene Verfassungstext wurde jedoch in einem Plebiszit abgelehnt. Derzeit läuft ein neuer Prozess zur Ausarbeitung einer Verfassung, der von der extremen Rechten dominiert wird.
Aus dem Spanischen: Martin Schäfer
Paula Huenchumil ist Journalistin der digitalen Zeitung Interferencia. Sie ist Mapuche.
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