Amnesty International zu Krieg in Gaza: „Das ist Genozid“
Die NGO Amnesty International legt umfassendes Datenmaterial zur israelischen Kriegsführung in Gaza vor. Ihre Analyse: Es handelt sich um Genozid.
Der Bericht versammelt ausführliche Belege über das „absichtliche“ und „systematische“ Vorgehen Israels in Gaza nach dem 7. Oktober 2023. Die Menschenrechtler*innen analysierten Bilder, Videos und Satellitenbilder. Mitarbeitende vor Ort führten 212 Interviews, darunter mit Opfern von Bombardierungen, Vertreibungen und Folter, sowie mit humanitären Helfer*innen. Amnesty analysierte außerdem Datenmaterial von UN-Organisationen und NGOs sowie Berichte aus dem laufenden Genozidverfahren gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof.
All dies dokumentiert, dass die Palästinenser*innen in Gaza bombardiert, mehrfach zwangsumgesiedelt und ausgehungert wurden, dass zivile Infrastruktur gezielt angegriffen wurde, darunter Krankenhäuser und die Wasserversorgung. Analysiert wurden Daten bis Juli 2024. Es gebe allerdings keine Hinweise darauf, dass sich die Situation seitdem verbessert habe.
Zudem dokumentiert der Bericht die Zerstörung von Kultur- und Bildungseinrichtungen, darunter Schulen, Moscheen und Friedhöfe. Die Menschenrechtler*innen analysierten über 102 Aussagen von israelischen Offiziellen. Darunter auch 22 Aussagen von Beamten, die direkte Kontrolle über das israelische Militär haben, unter anderem Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Ex-Verteidigungsminister Joav Galant. Gegen Letztere hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Ende November Haftbefehl erlassen.
Teil eines entmenschlichenden Diskurses
Ergebnis der Analyse: Die Absicht, Gazas Bevölkerung ohne Unterscheidung zwischen Kämpfern und Zivilist*innen zu zerstören, fände sich wiederholt in den Aussagen. Sie geschehe im Kontext einer rechtswidrigen Blockade und Besatzung Gazas. Die getroffenen Aussagen seien Teil eines entmenschlichenden Diskurses.
Der Bericht bezieht sich unter anderem auf eine Aussage Benjamin Netanjahus vom 28. Oktober 2023, in der er seine Absicht verkündete, Gaza zu vernichten. Dabei zitierte er aus dem fünften Buch Mose über das biblische Volk Amalek. Darin heißt es: „Töten sollst du von Mann bis Weib, von Spielkind bis Säugling, von Ochs bis Schaf, von Kamel bis Esel.“
Die Schwelle für den Nachweis eines Genozids sei sehr hoch, erklärte Callamard. „Wir kommen nicht leichtfertig oder aus politischen Gründen zu diesem Schluss.“ Die Kriegsziele Israels, die Hamas zu bekämpfen, seien keine Legitimation für einen Völkermord.
Amnesty International gehört nicht zu den Ersten, die das Vorgehen als Genozid definieren. Unter anderem die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese, der UN-Sonderausschuss für Menschenrechte und der Ex-Leiter des Büros des UN-Hochkommissars für Menschenrechte in New York sprachen von Genozid in Gaza.
Amnesty International fordert die internationale Gemeinschaft dazu auf, den Völkermord zu stoppen. „Staaten, die Waffen an Israel liefern, laufen Gefahr, sich an dem Völkermord zu beteiligen“, so die Generalsekretärin. Amnesty Deutschland erwarte von der Bundesregierung, die Kriegsverbrechen zu benennen, sich für einen Waffenstillstand einzusetzen und Waffenlieferungen zu stoppen.
Den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 mit der Tötung von über 1.200 Menschen und der Verschleppung von 240 Geiseln hat Amnesty bereits als Kriegsverbrechen verurteilt. Eine ausführliche Dokumentation dazu will die Organisation im Januar vorlegen.
1948 machte die UN-Generalversammlung Völkermord zum Straftatbestand, durch die „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“. Sie besagt, Völkermord sei durch die Absicht gekennzeichnet, eine Gruppe ganz oder teilweise auszulöschen. Zum Tatbestand zählt unter anderem das Töten oder Zufügen von körperlichem und/oder seelischem Schaden an einer Gruppe und Lebensumstände zu schaffen, die auf Zerstörung der Gruppe abzielen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Journalist über Kriegsgefangenschaft
„Gewalt habe ich falsch verstanden“