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Alter Summit in AthenEin Keim in den Trümmern

Soli-Märkte, kostenloser Schulunterricht und Kliniken für Nichtversicherte: Griechische Aktivisten haben alternative Basisstrukturen aufgebaut.

Auf solidarischen Märkten werden Lebensmittel direkt von den Bauern geliefert. Bild: dpa

ATHEN taz | Ein schmaler, enger Flur, auf einem Plastikstuhl wartet Wasilis Papamakarios. Der 53-Jährige, blaues T-Shirt, weiße Haare, hat chronische Diabetes und Herzprobleme. Aber die 150 Euro im Monat für Medikamente hat Papamakarios nicht mehr, seit seine Herrenschneiderei der Krise zum Opfer gefallen ist – einer Krise, die Griechenland im fünften Jahr ohne Aussicht auf Besserung im Griff hat.

„Ich bin an den Rand gedrückt worden, wie so viele“, sagt Papamakarios. „Ich war ein optimistischer Mensch. Heute nicht mehr, heute ist alles anders.“ Arbeitslosengeld, das nur ein Jahr lang ausgezahlt wird, bekam er als Selbstständiger nicht. Sein Bruder bringt ihn jetzt mit durch.

Wenn sich die Tür hinter Papamakarios öffnet, sieht man ein Behandlungszimmer: eine Arztliege, Medikamente, die sich auf Schreibtischen stapeln. Doch es ist keine normale Praxis, hier, in der Kaningosstraße 33 im Zentrum Athens. Man sieht es an dem Poster an der Eingangstür: „Solidarische Klinik“.

Alter Summit

Gipfel: Am Freitag und Samstag treffen sich in Athen mehrere tausend Aktivisten sozialer Bewegungen und NGOs sowie Gewerkschafter. Auf dem „Alter Summit“ wollen sie politische Perspektiven in der Krise diskutieren. Das Ziel: eine „paneuropäische Bewegung gegen die neoliberale Zerstörung der Sozialstaaten und der Demokratie“. (www.altersummit.eu)

Kampagne: „Solidarität ist die Macht der Völker“ – unter diesem Motto mobilisiert das Netzwerk „solidarity4all“ seit Ende 2012 für eine „internationale Solidaritätskampagne mit der griechischen Bevölkerung“. In einem Manifest, in dem selbst organisierte Projekte vorgestellt werden, heißt es: „Während die Solidaritätsbewegung daran arbeitet, Überleben zu sichern, versucht sie, einen alternativen Vorschlag für eine andere Gesellschaft aufzubauen.“

Aufruf: „Solidarity4all“ bittet nicht nur um Geld- und Sachspenden (etwa Arzneimittel, Impfstoffe, Kindernahrung), sondern versteht Solidarität auch als Auseinandersetzung mit den Folgen der Sparpolitik in Griechenland – und als Aufforderung, mit den griechischen Projekten in Kontakt zu treten, Öffentlichkeit zu schaffen und die Kämpfe in Griechenland mit Aktionen im Ausland zu unterstützen. (voe)

„Wir behandeln Menschen, die keine Krankenversicherung mehr haben. Griechische Bürger, aber auch viele Migranten. Die Kürzungspolitik, die die Troika Griechenland aufzwingt, führt dazu, dass die Menschen sterben, wenn sie keine Krankenversicherung oder kein Geld haben. Dagegen organisieren wir uns“, sagt Alexandra Pavlou.

Lebenswichtige Behandlungen verweigert

Sie kennt Patienten, die ihre Medikamente gegen Krebs nicht mehr bezahlen können, denen lebenswichtige Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern verweigert werden. Die Tuberkulose ist nach Griechenland zurückgekehrt, Kinder werden nicht mehr geimpft. Offiziellen Angaben zufolge haben 37 Prozent der Griechen keine Krankenversicherung mehr, Schätzungen gehen von noch höheren Zahlen aus.

Um zu helfen, haben sich im ganzen Land 35 solidarische Kliniken gegründet. Im September 2012 waren es gerade mal vier. Die Not ist groß, der Wille, Dinge in die Hand zu nehmen, auch. Es gibt große Kliniken wie die in Elliniko, einem Vorort von Athen. Die Klinik ist auf dem Gelände einer ehemaligen US-Militärbasis untergebracht, rund 200 Freiwillige arbeiten dort. Oder kleine Praxen wie die in der Kaningosstraße, wo sich Alexandra Pavlou engagiert. Die Praxis passt in eine 4-Zimmer-Wohnung. Trotzdem packen auch hier 110 Menschen mit an.

Es gibt Ärzte fast aller Fachrichtungen, rund 800 Menschen wurden seit der Eröffnung Ende Januar behandelt. „Wir haben sogar einen Zahnarzt, der uns einen Stuhl und Gerätschaften geschenkt hat. Er arbeitet hier einmal die Woche“, sagt Pavlou. Sie selbst organisiert die Arzttermine. Früher war sie in der Umweltbewegung aktiv. „Seit drei Jahren bin ich auf der Straße, wie so viele andere Griechen, deren Leben auf den Kopf gestellt wurde.“

Die Ärzte der solidarischen Kliniken erhalten kein Geld. Sie kommen, wenn sie es einrichten können, neben ihren normalen Diensten. Und manchmal gelingt es Alexandra, jemanden für eine kostenlose Operation in ein öffentliches Krankenhaus zu schmuggeln oder eine Laboruntersuchung zu ergattern. Sie hat viel Zeit, sich darum zu kümmern, seit ihr Verlag, für den sie deutsche Literatur ins Griechische übersetzte, pleitegegangen ist. Die 48-Jährige lebt seit zwei Jahren mit von der Rente ihrer Mutter.

Spendenpostkarten und Selbstorganisierung

Nur ein paar Straßenzüge weiter schaut Eleni Chatzimichali aus dem Fenster. An der Wand vor ihr hängt ein Flyer aus Österreich, der um Solidarität mit den solidarischen Kliniken wirbt, daneben Spendenpostkarten für die Kliniken vom Sozialforum München.

Die 36-Jährige sitzt im Büro von „solidarity4all“, einem „Netzwerkknotenpunkt“, wie sie sagt, für die Selbstorganisierung von unten, die in Griechenland stattfindet. Chatzimichali ist für den Gesundheitsbereich zuständig. „Solidarity4all“ will auch international auf das aufmerksam machen, was im Land passiert, und eine Solidaritätskampagne ins Rollen bringen.

Gegründet haben sie das Büro im November 2012, als etliche selbst organisierte Projekte bereits existierten: von Nachbarn organisierte Lebensmittelverteilung, mal an 300, mal an 1.000 Menschen; Märkte, die Mittelsmänner ausgeschaltet haben und Produkte direkt von den Bauern beziehen; selbst organisierte Schulen, in denen Kinder von MigrantInnen, die durch alle Netze fallen, kostenlos unterrichtet werden. Auch die Klinikbewegung hat einst als Projekt der Solidarität mit papierlosen MigrantInnen begonnen.

Vorm Fenster die Akropolis

Von der Terrasse der großen, hellen Wohnung, die „solidarity4all“ gemietet hat, sieht man die Akropolis. Die Wiege der Demokratie. Einer Demokratie, von der in Griechenland nur noch eine Farce übrig ist. Obwohl die Menschen in Massen auf die Straße gingen, schnüren Gläubiger und die Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank den Griechen die Luft ab.

Gerettet werden Banken, Gläubiger und die Doktrin des sanierten Staatshaushalts. Ein Großteil der griechischen Bevölkerung zahlt den Preis mit Arbeitslosigkeit und gekürzten Renten, etliche auch mit Hunger, Obdachlosigkeit oder Krankheit – sehr viele mit einer geraubten Zukunft.

„Es ist keine Philanthropie, keine Caritas, die wir hier machen. Es ist Widerstand, wir bringen die Leute zusammen, um zu kämpfen“, sagt Eleni Chatzimichali. Es gehe darum, Perspektiven aufzuzeigen, solidarisch den Alltag in neuen Formen zu organisieren – und daran zu arbeiten, das Joch der Troika abzuschütteln. Immer wieder engagierten sich Patienten nach einer Behandlung in einer solidarischen Klinik oder demonstrierten gegen Kürzungen in der Gesundheitspolitik, erzählt Chatzimichali.

Hier, bei „solidarity4all“, laufen die Fäden eines großen Teils der selbst organisierten Strukturen zusammen, 300 Projekte sind es bereits. Allein über 3.500 Bauern, die meisten kleine Produzenten, bringen ihre Produkte direkt zu solidarischen Märkten. 22 Prozent der griechischen Bevölkerung, sagt Christos Giovanopoulos von „solidarity4all“, kauften bereits auf solchen Märkten, die sowohl Bauern höhere Erlöse als auch den Käufern niedrigere Preise brächten.

Fragt man Giovanopoulos nach der Beziehung zwischen „solidarity4all“ und der Linksparteiallianz Syriza, die bei den letzten Parlamentswahlen 27 Prozent holte, nickt der 44-Jährige mit den halblangen, verwuschelten Haaren. Ja, das sei erklärungsbedürftig.

Abgeordnete bezahlen

Syriza bezahlt nicht nur die rund 350 Euro Miete für die Arztpraxis in der Kaningosstraße. Die Partei leitet auch Geld an viele andere Projekte weiter. Die 71 Abgeordneten von Syriza im Parlament geben dafür 20 Prozent von ihren Diäten ab. „Aber das Geld ist nur ein winziger Teil dessen, was wir als gegenseitige Hilfe in den Selbstorganisierungsprozessen bewegen. Und Syriza dominiert den Prozess nicht. Bei ’solidarity4all‘ sind Gruppen und Menschen organisiert, die sich der Partei nicht unbedingt zuordnen. Es ist eine neue Form, in der sich eine Partei mit solidarischen Basisstrukturen in Beziehung setzt“, sagt Giovanopoulos.

Dann muss er wieder ans Telefon – am Freitag beginnt der „Alter Summit“, der Alternativgipfel, zu dem ein breites Bündnis aus griechischen Bewegungen nach Athen eingeladen hat. Mehrere tausend Aktivisten aus Basisbewegungen, NGOs und Gewerkschaften aus ganz Europa werden erwartet. Sie wollen über die Erfahrungen der Selbstorganisation diskutieren und die Frage, wie man europaweit die Forderung nach einem Schuldenmoratorium für die Krisenländer voranbringt.

Ein Thema wird auch sein, wie man die Kampagne für internationale Solidarität stärken kann. „Solidarity4all“ braucht Geld und Sachspenden, Medikamente etwa, die sich zu erschöpfen beginnen. Aber es brauche auch Hilfe anderer Art, heißt es. Welche? „Stürzt in Deutschland endlich diese Regierung!“, lautet eine Antwort, die man oft hört.

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11 Kommentare

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  • ID
    in Deutschland kaum vorstellbar

    07.06.2013 14:06 UHR

    von communism4all:

     

    Glauben Sie wirklich, das bei uns eine solche Solidarität möglich wäre ??

     

    Spinnen wir Ihr Bild weiter, was wäre wenn alle Stimmzettel i. D. ungültig gemacht würden oder viele Leute nicht zur Wahl gehen, um diese Regierung los zu werden. Sie gewinnen trotzdem ?

    http://www.wahlrecht.de/lexikon/ungueltig.html

     

    http://www.gutefrage.net/frage/ab-wann-ist-eine-wahl-in-deutschland-eigentlich-ungueltig

  • GA
    Grüße aus Palermo

    .........Eva Völpel studierte in Bonn und Berlin Geschichte, Politik und Soziologie. Seit 2009 ist sie Redakteurin im Inlandsressort der taz und berichtet darüber, was sich in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie bei den Gewerkschaften tut. Bevor sie zur taz kam, schrieb sie als freie Autorin über die Region Lateinamerika. Der Blick über den inländischen Tellerrand ist ihr auch beim diesjährigen taz.lab nicht verloren gegangen.

     

     

    Naja, der Blick über den inländischen Tellerrand mit der Zensur meiner Kommentare ...das müssen Sie mir erst mal erklären... wie das geht??

     

    Nichts für Ungut

  • G
    gesche

    @severin: wieviele angebote aus der wirtschaft mussten sie denn schon ablehnen ;) ?

  • MZ
    mal zum Artikel

    Es ist sicher eine sehr traurige und ungerechte Situation, welche da beschrieben wird. Nur das Ganze hat an dieser Stelle einen kleinen Schönheitsfehler: Die Situation war vor 5 oder 10 Jahren nicht viel besser!! Auch damals sind Leute gestorben, weil sie sich die Fakelakis nicht leisten konnten. Da half auch keine KV! Nur jetzt, seit der GR-Krise hat es eben auch noch die erwischt, welche in der Öffentlichkeit mehr Gehör bekommen. Bzw. es wird gerne das Leid der wirklich Armen mit dem "Leid" der jetzt vom Korruptions-Topf abgeschnittenen vermischt!!

  • C
    communism4all

    Ich frage mich, warum meistens erst etwas Schlimmes und Dramatisches passieren muss, damit Menschen sich für ihre Bedürfnisse selbst organisieren? Ich meine, ich finde es gut, dass die Menschen in Griechenland sich organisieren, um den lebensbedrohlichen Folgen des europäischen Austeritätsdiktats etwas "von unten" entgegenzusetzen. Aber warum geht das nicht auch in einer Situation, die nicht so existentiell ist? In so einem Fall erkennen wir doch, dass Menschen zu solidarischem Handeln in der Lage sind. Eigentlich werden somit Staat, Kapital und jede andere Form von Herrschaft überflüssig. Wir können unser Leben selbst in die Hand nehmen und kollektiv für die Bedürfnisse aller Menschen sorgen. Herrschaft und Kapitalismus sind Hindernisse auf diesem Weg.

  • N
    noevil

    Wer weiss, ob nicht die emsigen Griechen uns jetzt schon mal etwas vormachen, von dem wir immer noch glauben, für alle Zeiten meilenweit entfernt zu sein. Wenn die Karawane aus der Partei der Besserverdienenden bei uns unter der instinkt- und vernunftlosen Verantwortungslosigkeit der Parteien der besonders Ökonomiebegabten uns genügend abgegrast und ausgeweidet hat und weitergezogen sein wird, dann glaube ich nicht, dass uns auch nur Einer aus den angrenzenden Ländern etwas anderes als den Mittelfinger zeigen wird.

     

    Da könnte es ganz nützlich sein, wenn wir schon mal eine kleine Lehrstunde in Sachen Selbsthilfe nehmen. Besonders wenn wir auch noch in Betracht ziehen, was für Schäden die Ökonomiebegabten, aber Ökologie-Minderbemittelten im Begriff sind, "verantwortungsvoll" den künftigen Generationen hinterlassen zu dürfen

    - purer Hohn.

  • S
    Severin

    So etwas wie die Syriza gibt es in Deutschland auch: da die LINKE seit Jahren gegen jede Diätenerhöhung gestimmt hat, geben sie die Erhöhungen als Spende an gemeinnützige Projekte weiter. Zudem nehmen die KEINE Spenden aus der Wirtschaft an...

  • W
    wütend

    Ja Frau Merkel, Hr. Scheuble usw. das haben sie geschafft, Millionen Menschen derart in die Armut zu schießen, während eure Konten und Bäuche immer fetter werden. Kann man sich darauf was einbilden ???? Kann man da noch ruhig schlafen ???

     

    Die Claudia ? Bringt ihr persönlich doch nichts, würde sie sich jetzt zum Schein hinstellen und sagen, mir tun die Griechen, Zyprer und all die anderen Länder die von der Troika erwischt wurden so leid. Die Grünen und die anderen Parteien haben dem Desaster doch zugestimmt.

     

    Unseren Politikern ist es doch egal was mit uns, was mit den Menschen in diesen Ländern passiert, denen ist doch nur der Ministerstuhl wichtig, weil sie da gesichert viel, viel zu viel Geld verdienen.

     

    Man sollte aus Protest die Linken wählen (andere Alternative hab ich nicht),damit die großkotzigen Politiker aller anderen Parteien mal so richtig eins auf den Deckel kriegen.

     

    Wobei auch zu sagen ist, das die Karre durch die derzeitigen Regierenden so tief im Dreck steckt, das die kaum noch jemand aus diesem herausziehen kann.

  • FF
    @ Fassungslos

    Sobald sich in Dtl. ein Politiker empört (ob ehrlich oder nicht), bekommt er einen unbedeutenden Posten in Brüssel oder verschwindet von der Bildfläche. Die wissen das doch alles. Ebenso die Folgen ihrer bekloppten Politik (ob im Inland oder auf Europa bezogen). Da es ihnen aber nicht direkt schadet, juckts sie nicht - solange sie nur weiter ihre Gelder kassieren und dank unserer Steuergelder ein schönes Leben führen können.

     

    Weiß man doch.. wären sie nicht reich, wären wir nicht arm und wenn wir auf einmal mehr hätten, würden die gleich losflennen... Bevor sich an der Situation was ändert, müssten erstmal die Wähler begreifen, was um sie herum und warum geschieht.

  • E
    endlich

    Danke für diesen tollen Beitrag! Wenn man den jetzt noch mit VWL-Wissen und der Aufdeckung von Merkels Vernebelungsaktionen vereinen würde, könnten eventuell genug Menschen aufwachen und womöglich die derzeitige Regierung abwählen.

     

    Ich glaube zwar nicht, dass dem so sein wird, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

  • F
    Fassungslos

    Was sagen eigentlich die meist immer empörten Grünen zu diesem Debakel in Südeuropa, hä?!

    Die Grünen sind doch immer an vorderster Front wenn es um Erhalt der EU geht...

    Wo bleibt die Empörung der Claudia Roth?!

    Oder ist die schon im Urlaub?

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