Alberto Acosta zu Fracking in Argentinien: „Mehr Abbau, weniger Demokratie“
Argentinien bringt seine Schiefergasvorkommen ins Spiel. Der ecuadorianische Ökonom Alberto Acosta hat mit einem Tribunal die Zerstörung begutachtet.
taz: Herr Acosta, sie sind Richter des International Rights of Nature Tribunal, das 2014 in Quito gegründet wurde. Der Google-Translator übersetzt dies als „Internationalen Gerichtshof für Naturrechte“. Welchen Status hat dieses Tribunal im Vergleich zu anderen internationalen Gerichtshöfen?
Alberta Acosta: Es ist ein ethisches Tribunal. Es will der Natur eine Stimme geben und auch den Gemeinschaften, die in der Natur leben und sie verteidigen. In den 1960er Jahren gab es mit dem Russell-Tribunal ein sehr wichtiges Ethiktribunal, das der Zivilgesellschaft die Tür öffnete, um die Kriegsverbrechen der USA in Vietnam anzuklagen. In Anlehnung an dieses Tribunal wurde das International Rights of Nature Tribunal gegründet, an dem Menschen aus allen Kontinenten teilnehmen.
74, ist Wirtschaftswissenschafter und Politiker. Acosta war 2007 Energie- und Bergbauminister in Ecuador.
Das Tribunal war gerade im Süden Argentiniens und hat die Auswirkungen des Fracking in Vaca Muerta untersucht, einem der weltweit größten Ölschiefervorkommen. Welches Fazit lässt sich ziehen?
Das Tribunal konnte die enormen Schäden durch Fracking für Mensch und Natur nachweisen. Der Wasserbedarf ist brutal hoch, und die Luftverschmutzung ist enorm. Das mit Quarzsand und mit einem Cocktail aus giftigen Chemikalien vermischte Wasser wird im besten Fall in den Untergrund gepresst, was zur Verunreinigung des Grundwasserspiegels führt. Dazu kommt eine steigende Zahl von Erdbeben durch die unterirdischen Explosionen. Die hinterlassenen Giftmülldeponien sind eines der schrecklichsten Gesichter von Trägheit und Korruption der zuständigen Behörden.
Vaca Muerta wird von Regierung und Opposition als Lösung aller wirtschaftlichen und finanziellen Probleme Argentiniens propagiert. Widerspruch und Widerstand werden mit der Aussicht auf die Milliarden an Dollarerlösen schlicht weggewischt. Wie reagiert die lokale Bevölkerung?
Das wird seit zehn Jahren versprochen und war doch schon immer ein Trugschluss. Eine erweiterte Kosten-Nutzen-Studie würde zeigen, dass das Fracking für Argentinien gar nicht rentabel ist. Doch das Gebiet von Vaca Muerta wird als Opferzone umgedeutet, die eben für das Allgemeinwohl buchstäblich geopfert werden müsse. Dabei melden die Ölkonzerne Gewinne, weil sie schlicht nicht alle Kosten für die Schäden übernehmen müssen, die sie verursachen. Die indigenen Gemeinschaften der Mapuche leisten organisierten Widerstand. Sie erleben die Auswirkungen der Zerstörungen und führen ihren Kampf mit konkreten Aktionen. Ebenso versuchen nicht indigene Siedler, wenn auch mit geringerer organisatorischer Kapazität, sich den Umweltschäden zu stellen und korrigierende Maßnahmen zu fordern.
Warum sollte ein Land, in dem 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt, auf die Ausbeutung von Vaca Muerta verzichten?
Könnte es nicht sogar sein, dass solche Länder arm sind, weil sie reich an natürlichen Ressourcen sind? Es gibt eine Art Fluch des Überflusses, und die Staaten und Volkswirtschaften, die sich vor allem mit Öl- und Mineralexporten finanzieren, sind klientelistisch mit autoritären Regierungen. Je mehr Extraktivismus, [Anm.d.Redaktion: Abbau fossiler und nicht erneuerbarer Rohstoffe], desto weniger Demokratie. In diesem Umfeld verschwindet die Armut nicht, während die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Es ist kein Zufall, dass Vaca Muerta in Argentinien sowie die Bergbaugebiete in Peru oder die Ölgebiete in Ecuador zu den ärmsten Regionen der drei Länder gehören.
Sind die Urteile des Tribunals rechtsverbindlich?
Nein, sind sie nicht. Die Stärke eines solchen Tribunals liegt in seiner Unabhängigkeit und in der Qualifikation seiner Richter, die unabhängig von jeglicher politischen oder wirtschaftlichen Macht sind. Sie sind, um es mit Russells Worten zu sagen, „herausragende Persönlichkeiten, nicht wegen ihrer Macht, sondern wegen ihres intellektuellen und moralischen Beitrags zu dem, was man optimistischerweise allgemein als menschliche Zivilisation bezeichnet“.
Die Idee, Ökosysteme zur juristischen Person zu erklären, um ihnen wie lebenden Personen oder Unternehmen als eigenständigen Rechtssubjekten einen Anspruch auf Rechtssicherheit zu gewährleisten, kam Anfang der 1970er Jahre auf. Worauf stützt sie sich?
Die Annahme der Natur als eigenständiges Subjekt mit ihren vielfältigen Wechselbeziehungen hat eine lange Geschichte, auch in der westlichen Kultur. Der viel tiefere Ausgangspunkt liegt jedoch bei den indigenen Völkern Amerikas und anderen Kontinenten. Für sie ist Mutter Erde oder Pachamama nicht nur eine Metapher. Denn in Wirklichkeit verlangt diese Mutter Erde, wie unsere leibliche Mutter, gar nicht das Recht, sie zu lieben und zu respektieren. Vielmehr ist es die Mutter, die Natur, die uns das Recht gibt zu existieren. Und streng genommen erfordert die wirksame Umsetzung der Rechte der Natur eine Art kopernikanische Wende.
2008 wurden in Ecuador die Rechte der Natur in die Verfassung aufgenommen. Ein Novum, an dem Sie direkt beteiligt waren. Welche Fortschritte gab es?
Auf den ersten Blick erscheinen die Fortschritte sehr gering. Aber wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass es heute in Ecuador Dutzende von Fällen gibt, in denen vor allem indigene Gemeinschaften sowohl ihre kollektive Rechte als auch die Rechte der Natur verteidigen. Und ich bin sehr froh, wenn ich sehe, dass der Impuls für die Rechte der Natur, der von Ecuador ausging, zurzeit in fast 40 Ländern offiziell Fortschritte macht. Dazu gehört Spanien mit dem Mar Menor und auch Deutschland, wie das Volksbegehren in Bayern zeigt, das eine Änderung des Artikels 101 der bayerischen Landesverfassung durch die Aufnahme der Rechte der Natur als juristischen Begriff anstrebt.
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