Rechte der Natur in Spanien: Das Mar Menor wehrt sich
Die spanische Lagune wurde zur Rechtsperson erklärt und kann Verschmutzer dadurch verklagen. Teresa Vicente hat dafür gekämpft.
Neben Teresa Vicente fließt ein Bach, der keiner sein dürfte. Sie steht auf einem sandigen Damm, neben der Hauptstraße, die Erde ist bröckelig hier in Murcia, der trockensten Gegend Spaniens. „Eigentlich müsste die Rambla um diese Jahreszeit völlig leer sein“, sagt die Professorin für Rechtswissenschaften an der Universität in Murcia am ostspanischen Mittelmeer.
Rambla nennen sie hier die Bäche, die nur Wasser führen, nachdem es einmal geregnet hat. Vicente führt einen hierher, wenn sie gefragt wird, warum es der Lagune Mar Menor schlecht geht. 70.000 Hektar Zi-trusfrüchte und Gemüse werden rund um die Mittelmeerlagune mit Wasser, das per Pipeline aus dem zentralspanischen Tajo kommt, versorgt. Das Restwasser bildet den Bach und fließt in den Mar Menor. „Was hier ins Meer gelangt, ist sehr stark mit Nitraten belastet“, erklärt Vicente. Die hochaufgewachsene, energetische Frau ist in ihrem Thema. Sie erklärt die Folgen der intensiven Landwirtschaft: Die Nitrate sorgen für Algenwachstum. Das eingespeiste Süßwasser senkt den Salzgehalt. Die für das Mar Menor typische Meeresflora und -fauna ist deshalb fast komplett abgestorben. Es kommt zu Fischsterben.
Dazu kommen die Abwässer der Landwirtschaft, die illegal bewässerten 7.000 Hektar, die über 80 illegalen Brunnen und selbst illegale Wasserentsalzungsanlagen, Massentierhaltung, die riesigen Urlaubsresorts mit künstlich bewässerten Golfplätzen, die künstlich aufgeschütteten Strände, deren Sand in die Lagune gespült wird und sie so immer seichter macht – kaum eine Umweltsünde wurde hier ausgelassen.
„Die Rechte des Mar Menor werden systematisch verletzt“, sagt Vicente, als handele es sich bei der Lagune um eine Person. Und genau das ist die 170 Quadratkilometer und damit größte Salzwasserlagune Europas mittlerweile tatsächlich – eine juristische Person. Als erstes Ökosystem in Europa bekam das Mar Menor im September 2022 Rechte. Die gleichen Rechte wie die Unternehmen, die es zerstören. Teresa Vicente steckt hinter der Bewegung, die das erreichte.
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Bekannt wurde die Idee, Ökosysteme zu Rechtspersonen zu machen, mit dem US-Amerikaner Christopher Stone. Als der Walt Disney-Konzern 1972 ein neues Resort in den Bergen Kaliforniens bauen wollte, fehlte dem Umweltrechtler die Sicht des Betroffenen: der Natur. Also schlug er vor, dem Tal, in das die Hotelanlage gebaut werden sollte, Rechte und damit eine Stimme zu geben.
Seitdem werden Ökosysteme selten, aber immer wieder zur juristischen Person erklärt: In Ecuador bewirkten indigene Aktivist:innen 2008, dass das Recht der Natur in die Verfassung aufgenommen wurde. In indigenen Traditionen hat diese Sichtweise eine lange Geschichte. Wenige Jahre später erklärte Neuseeland einen Nationalpark, einen Berg und einen Fluss zur Rechtsperson. Es folgten ähnliche Initiativen in Bolivien, Indien und Kanada. In Europa tut sich nichts.
Professorin Vicente forscht seit ihrer Studienzeit zum Thema Rechte für die Umwelt und steht seit Langem im internationalen Austausch. Als sie 2019 von einem Studienaufenthalt zu verschiedenen Initiativen in Lateinamerika und Neuseeland an der britischen Universität Reading zurückkam, war die Lagune wieder einmal umgekippt. „Meine Studenten fragten mich, ob wir nicht etwas tun könnten“, erinnert sie sich. Vicente begann an einem Gesetzestext zu arbeiten.
Und der Vorschlag, der Lagune Rechte zu geben, fand Anhänger. Eine breite Bürgerbewegung sammelte 639.826 Unterschriften. Die Bürgergesetzesinitiative wurde im spanischen Parlament eingereicht und schließlich von allen Parteien mit Ausnahme der rechtsextremen VOX angenommen. „Das Mar Menor ist sowas wie ein Symbol unserer regionalen Identität“, erklärt Vicente, warum so viele unterschrieben. Im August 2021, als das Mar Menor zuletzt zur „grünen Suppe“ wurden, umringten 70.000 Menschen die Lagune an ihrer 73 Kilometer langen Küstenlinie. In nur einer Woche kamen 100.000 Unterschriften zusammen.
Nun ist das Mar Menor eine Rechtsperson, ähnlich wie Unternehmen, Banken oder Verbände. Im Gesetz ist festgeschrieben, dass es das Recht auf „Schutz, Erhaltung, Instandhaltung und gegebenenfalls Restaurierung hat“. Die gesetzliche Vormundschaft des Mar Menor übernehmen drei Kommissionen: Das Repräsentantenkomitee, das aus drei Vertretern der Zentralregierung, drei Vertretern der Regionalregierung und sieben Vertretern der Zivilgesellschaft besteht. Hinzu kommt die Überwachungskommission aus Gesandten der Gemeinden am Mar Menor sowie ein wissenschaftliches Komitee. Sie können klagen und als Verteidiger des Mar Menor und seiner Interessen auftreten, wo immer das nötig ist. Wie das genau funktioniert, wird sich erst noch zeigen, das Gremium konstituiert sich gerade. „Das ist ein kultureller und auch emotionaler Wandel in dem, wie die Natur gesehen und behandelt wird“, sagt Vicente.
„Als ich Anfang der 1980er Jahre studierte, glaubten in der Rechtswissenschaft viele, dass alles erreicht sei, was zu erreichen war“, erinnert sich Vicente. Mit der französischen Revolution seien die liberalen Bürgerrechte eingeführt worden, „wenn auch erst einmal nur für einige Bürger, für weiße, reiche Männer.“ Auch die Rechtsperson für Unternehmen. Dann seien in der Mitte des 20. Jahrhunderts soziale Rechte gekommen abseits von Geschlecht, Hautfarbe, Religion. „Doch die Natur blieb außen vor“, sagt Vicente. Angetrieben vom Umweltbewusstsein fand sie ihr Thema: Den „universellen juristischen Paradigmenwechsel“, wie sie es nennt. „Weg vom Anthropozentrismus hin zum Ökozentrismus“. Der Mensch soll nicht länger im Zentrum stehen, sondern das Ökosystem, von dem wir nur ein Teil sind.
Drei intensive Jahre für den Schutz des Mar Menor liegen hinter Vicente. „Ich habe Lust auszuruhen“, sagt sie auf der Rückfahrt in die Stadt. Doch seit der Erklärung des Mar Menor zur Rechtsperson ist die Jura-Professorin viel unterwegs. Sie hält Vorträge an Unis in Europa und Amerika. Sie besucht andere Initiativen, die Ökosysteme zur Rechtsperson machen wollen – das Wattenmeer in Holland, Deutschland und Dänemark, die Rhone in Frankreich oder die Lagune von Venedig. Dieses Jahr soll sie die UNO Versammlung zum Tag der Erde am 22. April eröffnen.
Vom Beifahrersitz aus lässt sie ihren Blick schweifen über die dicht gebauten Ferienresorts und Folienzelten an der Talsenke der Lagune. Ein brutales Bild, aber ihr Blick ist zuversichtlich. „Wir werden nicht mehr miterleben, wie all das verschwindet“, sagt sie, „aber unsere Enkel schon.“
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