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Albaniens Hauptstadt TiranaKein Tennis ohne Partner

Hier ein Leben im Müll, dort Partyviertel – Albaniens Hauptstadt ist voller Gegensätze. 200 Kilometer weiter befindet sich Europas Cannabis-Mekka.

Riesenrad im Zentrum von Tirana. Bild: imago/Richard Wareham

Da sind diese Berge von Plastikflaschen, festgebunden an Laternenmasten. Sie sehen aus wie lustige Kunstinstallationen, sind aber doch nur Müll. Daneben stehen Hütten und Zelte, arm und klein, Frauen sitzen davor und klauben aus Taschen und Tüten Dinge, die andere weggeworfen haben, die sie selbst vielleicht aber noch gebrauchen können. Oder mit denen sich noch noch ein paar Lek verdienen lässt.

Inmitten von Tirana, Albaniens Hauptstadt, am malerischen Stausee Liqenii Tiranes, liegt eines der Elendsviertel der Stadt, bewohnt von den Armen der Ärmsten, darunter viele Kinder. Diese Albaner sind keine richtigen Albaner, finden diejenigen, die auf der anderen Seite des Sees unter Schatten spendenden Bäumen sitzen, Kaffee trinken und Eis essen. Sie tragen dunkle Sonnenbrillen und luftige, bunte Kleidung.

Sie wollen mit denen von „drüben“ nichts zu tun haben, sie sagen, das seien „Zigeuner“. Aber sie lassen sie – und das ist der Unterschied zu Camps von Sinti und Roma in anderen Ländern Europas – in Ruhe leben. Sie verjagen sie nicht. Sie beschimpfen sie nicht. Sie ermorden sie nicht.

Die Albaner sind friedliebende und freundliche Menschen, sie lachen viel und begegnen Fremden mit Wärme und Herzlichkeit. Und sie wissen: Die von „drüben“ brauchen jeden Cent. Ganze Familien leben davon, dass sie jeden Tag auf den Müllhalden am Rande der Stadt auf Beutezug gehen. Wenn es gut läuft, „verdienen“ sie am Tag knapp über 1.000 Lek, das sind etwa 8 Euro.

Tirana ist eine Stadt voller Widersprüche, ganz Albanien besteht aus großen Differenzen zwischen Arm und Reich. Das Land lebt von der Sehnsucht nach dem besseren Leben, auf der Suche nach dem schnellen Geld. In kurzer Zeit reich geworden sind nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur allerdings nur wenige, darunter viele Politiker.

Die Reichen schotten sich von der Bevölkerung ab, um ihre architektonisch langweiligen Häuser haben sie hohe Steinmauern gebaut, die Angst vor Mord und Entführungen ist groß. Ihre Swimmingpools und Sportplätze stehen ungenutzt herum. Zum Tennisspielen braucht man einen Partner, der müsste aufs Gelände kommen. Aber das lassen die Reichen nicht zu.

Eine ehemals abgeschirmte Wohngegend

Die „normalen“ Menschen hingegen versuchen irgendwie über die Runden zu kommen. In Tirana sieht man den Frauen und Männern das nicht an. Die Stadt ist jung, hip, schnell, modern. In den zahllosen Straßencafés lachen die Menschen und posten Selfies in den sozialen Netzwerken. Auf den Märkten kaufen sie viel ein, vor allem Fisch und Gemüse. Die Märkte sind billig, und gekocht wird fast jeden Abend. Nachts steppt im Blloku – früher abgeschirmte Wohngegend der kommunistischen Nomenklatura, heute angesagtes Ausgehviertel – der Bär. Bars und Klubs dicht an dicht, es wird viel getrunken, geraucht und getanzt.

Wer es sich leisten kann, fährt mit dem Lift bis ganz nach oben in die Kuppel des Skytowers, des höchsten Gebäudes der Stadt, neu errichtet im Blloku. Von dort aus hat man einen bezaubernden Blick auf die gesamte Stadt. Bilder für Postkarten. Nachts flirrende Lichter, am Tage geschäftiges Treiben. Und am Horizont verwackelte Dörfer, am Fuße der Berge, manchmal bedeckt mit einer schmalen Schneedecke.

Allenfalls bekommt man eine Ahnung davon, wie die Menschen leben, wenn man den Blick über die Häuser schweifen lässt. Heruntergekommene Gebäude mit schiefen Fenstern, bröckelndem Putz und kaputten Dächern, von denen Stromkabel herabhängen. Manche Häuser sind bemalt, hellblau, gelb, orange, pink.

Eine Idee Edi Ramas, Künstler und jetziger Premierminister Albaniens. Bevor er 2013 oberster Landeschef wurde, war er Tiranas Bürgermeister. Damals sagte er dem Grau den Kampf an und ließ viel Geld für die Außenfassaden ausgeben.

Party im Abbruchhaus

Manche leer stehende Gebäude eignen sich junge Künstlerinnen und Künstler an und veranstalten dort Vernissagen. Fotos, Malerei, Installationen. Im Hof der Häuser wird dann Wein ausgeschenkt, ein DJ legt auf, Kerzen weisen den Weg durch das Abbruchhaus, damit niemand abstürzt. Für den Moment der Kunstaktion hält dieser morbide Charme alles bereit. Zum Leben taugt er aber nicht.

Seit Juni des vergangenen Jahres ist Albanien offizieller Beitrittskandidat für die Europäische Union. Dafür muss das kleine Land mit den knapp drei Millionen Einwohnern noch jede Menge tun. Korruption eindämmen, Drogenhandel in den Griff kriegen, vor allem das Müllproblem lösen.

Hier bestechen nicht nur Schüler ihre Lehrer, um bessere Zensuren zu kriegen, hier zahlen sogar Beamte für einen guten Job. Albanien gilt als einer der größten Drogenproduzenten der Welt, das Dorf Lazarat, etwas 200 Kilometer von Tirana entfernt in den Bergen, wird unter Insidern die Cannabis-Hauptstadt Europas genannt.

Jedes Jahr sollen hier etwa 900 Tonnen Marihuana geerntet werden. Das macht etwa 4,5 Milliarden Euro aus, das ist rund ein Drittel des albanischen Bruttoinlandsprodukts. Kürzlich sollen Tausende Pflanzen „beschlagnahmt“ worden sein.

Müll am Straßenrand

Und dann die Sache mit dem Müll. Die Innenstadt Tiranas ist einigermaßen müllfrei. Aber sobald man das Zentrum verlässt, häufen sich die Dreckhalden am Straßenrand, transportieren Rinnsteine Papier, Plastikabfälle, verrottete Lebensmittel. Vor allem an den Flussufern sammelt sich das Zeug, das mit dem Wasser direkt in die Adria treibt.

Zum Müllproblem kommen auf dem Land die dort vorherrschenden agrarischen Strukturen dazu. Ziegen- und Kuhmist, landwirtschaftliche Abfälle, alles wird einfach irgendwo abgeworfen. Eine Reise übers Land kann ein großes Abenteuer sein. Mal endet eine Asphaltstraße plötzlich im Nichts, und weiter geht es über Steinwüsten und Geröll.

Ein anderes Mal winken am Straßenrand junge Männer Autos heran, um für ein paar Lek das Auto zu waschen. Während man wartet, trinkt man einen starken Espresso in einer kühlen und dunklen Cafeteria. Auf der Rückreise sollte man unbedingt ein Tütchen kleiner, glibbriger Fische kaufen und später braten. Die Fische sind frisch geangelt. Die Sonne, unter der sie am Straßenrand angeboten werden, kann ihnen nichts anhaben.

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