Aktuelle Nachrichten zu Afghanistan: Virtueller G7-Gipfel am Dienstag
Großbritanniens Premier beruft die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten zu einem Sondergipfel ein. Die GIZ zahlt eine „Bleibeprämie“ an Ortskräfte.
GIZ zahlt „Bleibeprämie“ an afghanische Ortskräfte
Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bietet afghanischen Ortskräften, die im Land bleiben wollen, eine finanzielle Unterstützung an. Es handle sich um ein Jahresgehalt zur Überbrückung der schwierigen Lage, sagte am Sonntag ein Sprecher des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Zunächst hatte der Spiegel darüber berichtet.
Höchste Priorität habe die Sicherheit der afghanischen Ortskräfte und ihrer Familien, betonte der Ministeriumssprecher. Jede Ortskraft, die evakuiert werden möchte, könne sich und ihre Familie auf den entsprechenden Listen registrieren lassen.
Die Sicherheitslage in Afghanistan habe sich drastisch verschlechtert und bleibe sehr dynamisch, erklärte der Sprecher weiter. Die staatliche Entwicklungszusammenarbeit sei daher ausgesetzt. In dieser Situation würden alle Ortskräfte der GIZ unbürokratisch unterstützt – finanziell und nicht-finanziell. Dazu zählten auch Hilfen bei Unterbringung und Ausreise. Das Angebot der finanziellen Unterstützung sei „ausdrücklich durch die afghanischen Beschäftigten begrüßt“ worden. Das BMZ ist Hauptauftraggeber für die GIZ.
US-Regierung bestätigt Gefahr möglicher IS-Anschläge
Die US-Regierung hat Medienberichte über die Gefahr eines Anschlags der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) am Flughafen Kabul oder in der Umgebung bestätigt. „Die Bedrohung ist real, sie ist akut, sie ist anhaltend“, sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, am Sonntag im Sender CNN. „Wir arbeiten intensiv mit unseren Geheimdiensten zusammen, um herauszufinden, woher ein Angriff kommen könnte.“ Man nehme die Warnungen „absolut todernst“. Die Taliban und der regional aktive Zweig des IS sind verfeindet und haben in der Vergangenheit gegeneinander gekämpft.
G7-Sondergipfel am Dienstag
Der angekündigte Sondergipfel der G7-Staaten zur brisanten Lage in Afghanistan soll an diesem Dienstag stattfinden. „Ich werde die Staats- und Regierungschefs der G7 am Dienstag zu dringenden Gesprächen über die Lage in Afghanistan einberufen“, twitterte der britische Premierminister Boris Johnson am Sonntag. Großbritannien hat derzeit den Vorsitz in der Runde der führenden westlichen Industrienationen inne. Neben Deutschland und Großbritannien gehören auch Frankreich, Italien, Kanada, Japan und die USA dazu.
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Angesichts der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan wollen die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten in der kommenden Woche bei einer Videokonferenz über das weitere Vorgehen beraten. Es sei entscheidend, dass die internationale Gemeinschaft zusammenarbeite, um sichere Evakuierungen zu gewährleisten und eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, schrieb Johnson.
Afghanin bringt Baby auf Landebahn in Ramstein zur Welt
Eine Afghanin auf der Flucht vor den Taliban hat auf der Landebahn der US-Luftwaffenbasis Ramstein ein Baby zur Welt gebracht. Die Frau befand sich in einer Maschine aus Nahost nach Deutschland, als ihre Wehen einsetzten, wie ein Sprecher des Stützpunktes am Sonntag sagte. Zudem gab es Komplikationen wegen niedrigen Blutdrucks – daher habe der Pilot die Flughöhe gesenkt, so den Luftdruck in der Maschine erhöht und damit geholfen, der werdenden Mutter das Leben zu retten.
Sie gebar ihr Baby demnach am Samstagnachmittag kurz nach der Landung noch im Flugzeug, mit der Hilfe von herbeigeeilten Sanitätern. Mutter und Kind seien wohlauf.
Taliban: „Arbeitsbeziehung“ mit Amerikanern am Flughafen
Die militant-islamistischen Taliban haben eigenen Angaben zufolge eine „Arbeitsbeziehung“ mit den USA bezüglich der Sicherheitsvorkehrungen am Flughafen in Kabul. Das sagte ein Mitglied der Kulturkommission der Taliban, Abdul Kahar Balchi, dem TV-Sender Al-Dschasira am Sonntag. Demnach seien die Posten außerhalb des Flughafengeländes, wo sich seit Tagen Tausende verzweifelte Menschen drängen, unter Kontrolle der Islamisten, jene innerhalb kontrollierten die US-Streitkräfte. „Sie stehen in ständigem Kontakt miteinander“, sagte der Sprecher weiter.
Es sei sehr „bedauerlich“, dass die Menschen nun derart zum Flughafen eilen, sagte er. Die Angst vor den Taliban und möglichen Repressionen sei unbegründet, weil die Islamisten eine Generalamnestie erlassen hätten, auch für die Sicherheitskräfte. Allerdings hieß es jüngst in einem für die UN erstellten Bericht, dass die Taliban gezielt auf der Suche nach bestimmten Personen seien, vor allem jenen, die wichtige Positionen im Militär, der Polizei oder anderen Ermittlungsbehörden hatten. Sie drohten offen auch mit Repressalien gegen deren Familien.
Balchi sagte weiter, die Taliban hätten nicht vorgehabt, Kabul zu betreten. Sie hatten vielmehr geplant, davor eine politische Lösung zu finden und eine Regierung auch mit anderen Kräften aufzustellen. Er sagte zudem, alle Menschen seien von dem Tempo der Entwicklungen überrascht gewesen.
Den Menschen geht das Bargeld aus
Nach der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan geht den Menschen zunehmend das Bargeld aus. Einwohner Kabuls berichteten der Deutschen Presse-Agentur, die Geldautomaten in der Stadt seien praktisch leer. Banken und auch der Geldwechslermarkt seien seit einer Woche geschlossen. „Alle in der Stadt beschweren sich mittlerweile, dass sie kein Geld abheben können“, sagte ein Bewohner.
Ein Mann sagte dem lokalen TV-Sender ToloNews, seine Bank habe zudem eine Obergrenze für Abhebungen eingeführt. Wenn denn ein Geldautomat doch noch befüllt sei, könne man nur 10.000 Afghani (rund 100 Euro) abheben. Viele drücke die Sorge, dass sie angesichts der aktuellen Krise überhaupt nicht mehr an ihr Geld kommen.
Auf der Facebook-Seite des Finanzministeriums hieß es in der Nacht zu Sonntag, die Zentralbank, private Banken und andere Finanzinstutionen nähmen bald wieder ihren Betrieb auf. Gleichzeitig wurde das „technische Personal“ des Ministeriums aufgerufen, zur Arbeit zurückzukehren.
Sieben Tote bei Massenpanik am Kabuler Flughafen
Bei einer Massenpanik am internationalen Flughafen von Kabul sind nach Angaben des britischen Militärs sieben afghanische Zivilisten getötet worden. „Die Bedingungen am Boden bleiben äußerst schwierig“, teilte das britische Verteidigungsministerium am Sonntag mit. Es hat schon zuvor Massenpaniken gegeben, weil Menschen versuchen, wegen der Übernahme Afghanistans durch die Taliban zu fliehen.
Die Bundeswehr hat mittlerweile mehr als 2.130 Menschen aus Kabul evakuiert. Insgesamt seien bislang 2.134 schutzbedürftige Personen von der Bundeswehr aus Afghanistan ausgeflogen worden, twitterte das Einsatzführungskommando der Bundeswehr am späten Samstagabend.
Zuvor war eine in Kabul gestartete Militärmaschine vom Typ A400M mit 20 Menschen an Bord in der usbekischen Hauptstadt Taschkent gelandet. Mehrere Militärtransporter der Bundeswehr pendeln zwischen Kabul und Taschkent, von wo aus die Evakuierten ihren Weiterflug nach Deutschland antreten sollen.
Die Regierung von US-Präsident Joe Biden erwägt, kommerzielle Fluggesellschaften in den USA dazu aufzurufen, ihre Flugzeuge für den Transport von afghanischen Flüchtlingen nach dem Ausflug aus Afghanistan bereitzustellen. Das US-Verkehrskommando teilte am Samstag mit, es habe die Fluggesellschaften am Freitag benachrichtigt, dass das Programm aktiviert werden könnte.
EU-Kommission ruft zur Aufnahme von Geflüchteten auf
Dabei würden die Fluggesellschaften Flüchtlinge von Stationen außerhalb Afghanistans in andere Länder fliegen oder vom internationalen Flughafen Dulles in Virginia zu US-Militärstützpunkten bringen.
Die EU-Kommission hat alle EU-Länder aufgerufen, über das Umsiedlungsprogramm des UN-Flüchtlingshilfswerks mehr Menschen aus Afghanistan aufzunehmen. „Neben den früheren Diplomaten vor Ort und den Ortskräften mit ihren Familien gibt es noch weitere Gruppen, die dringend der Hilfe bedürfen, wie beispielsweise Menschenrechtsaktivisten und Journalisten“, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson der Welt am Sonntag. „Es geht auch darum, Mädchen und Frauen zu beschützen.“ Sie rufe alle EU-Länder auf, „ihre Quoten für Umsiedlungen von Flüchtlingen innerhalb des UNHCR-Programms zu erhöhen“.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte am Samstag bereits bei einem Besuch in Spanien einen ähnlichen Appell an alle Staaten gerichtet, die an der Afghanistanmission beteiligt waren. Sie stellte finanzielle Hilfe für EU-Mitglieder in Aussicht, die Flüchtlinge aufnehmen.
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz ist gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan in seinem Land. Dazu werde es in seiner Amtszeit nicht kommen, sagt er dem TV-Sender Puls 24. Österreich habe bereits früher einen unverhältnismäßig großen Beitrag zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan geleistet. In einer Statistik des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR werden Österreich mehr als 40.000 afghanische Flüchtlinge zugerechnet. Das ist die zweithöchste Zahl in Europa nach Deutschland mit 148.000.
Kurz fordert laut vorab veröffentlichten Interview-Auszügen, dass die aus Afghanistan fliehenden Menschen in der Region bleiben sollten. So hätten Turkmenistan und Usbekistan bislang nur ganz wenige aufgenommen.
Deutsche Kriegswaffen in Händen der Taliban?
Die Bundesregierung hat seit Beginn des internationalen Militäreinsatzes in Afghanistan vor knapp 20 Jahren den Export von Kriegswaffen und anderen Rüstungsgütern für mehr als 400 Millionen Euro in das Land genehmigt. Der weitaus größte Teil wurde an die Streitkräfte der Nato-Verbündeten, an Botschaften oder an die Vereinten Nationen geliefert, darunter Panzer, gepanzerte Fahrzeuge sowie Handfeuerwaffen wie Gewehre und Maschinenpistolen.
An afghanische Sicherheitskräfte ging nur ein geringer Teil. Das geht aus den jährlichen Rüstungsexportberichten der Regierung und einer aktuellen Aufstellung des Bundeswirtschaftsministeriums hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Völlig unklar ist, in welchem Umfang deutsche Rüstungsgüter in die Hände der Taliban gefallen sind.
Die Linken-Außenpolitikerin Dagdelen forderte die Bundesregierung zu Konsequenzen auf. „Eine Lehre aus dem Fiasko in Afghanistan muss sein, die Waffenexporte in den Vorderen und Mittleren Osten sofort zu stoppen“, sagte sie. Nur so könne verhindert werden, dass Waffen in die Hände von Islamisten gerieten.
Welt am Sonntag: Humanitäre Helfer setzen Arbeit fort
Die meisten humanitären Helfer in Afghanistan setzen laut Welt am Sonntag ihre Arbeit fort. Alle Organisationen der Vereinten Nationen (UN) – wie das Flüchtlingswerk UNHCR und die Welthungerhilfe – bleiben mit der großen Mehrheit ihrer 300 ausländischen und rund 3.000 einheimischen Mitarbeiter vor Ort, wie das Blatt unter Berufung auf das UN-Informationsbüro in Genf berichtet.
Das UN-Büro in Kabul habe die Einschätzung geäußert, dass die meisten der über 150 nichtstaatlichen Hilfsorganisationen mit mehreren Tausend Mitarbeitern ebenfalls weiter in Afghanistan tätig sein werden. „In vielen Provinzen wurden wir von den Taliban gebeten, dass wir bleiben und unsere nachweislich erfolgreiche Arbeit für Kinder fortsetzen“, wird das Kinderhilfswerk Unicef zitiert.
Mit Material von dpa, afp, ap und reuters
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