Aktivist über Vermummungsverbot: „Protest muss anonym möglich sein“
In Hannover demonstrierte eine neue Initiative gegen das Vermummungsverbot. Einer der Aktivist*innen erzählt, warum.
taz: Herr Hansen, am vergangenen Freitag haben Sie und andere vermummt in Hannover demonstriert. Dürfen sich Demonstrant*innen dort jetzt vermummen?
Helmo Hansen: Das kann ich nicht beantworten. Aber wir gehen davon aus, dass das in Zukunft vermehrt passieren wird.
In Niedersachsen ist der Verstoß gegen das Vermummungsverbot aber eine Straftat.
Ja. Laut Absatz 3 des § 9 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes kann man aber von diesem Verbot befreit werden. Die Polizei hat uns im Vorfeld unserer Demonstration nahegelegt, so einen Antrag zu stellen. Das haben wir aber nicht getan.
Warum nicht?
Die Polizei kann auch ohne einen solchen Antrag Vermummung einfach nicht verfolgen. Es ging uns aber auch nicht darum, eine Kunstperformance zu machen, für die wir einmalig von dem Verbot befreit werden. Für uns ist das Vermummungsverbot grundsätzlich ein Skandal, weil es ein Mittel gegen emanzipatorische Bestrebungen ist und explizit gegen die linke Bewegung eingesetzt wird. Es ist uns ein ernsthaftes Anliegen, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst entscheiden können, wie sie die Gefährdungslage für sich einschätzen, um dann zu entscheiden, ob sie sich vermummen wollen, um ihre Identifizierung zu verhindern.
32, heißt eigentlich anders und ist Aktivist in der Antifaschistischen Initiative gegen das Vermummungsverbot. Er lebt in Hannover.
Anlass Ihrer Demonstration war, dass die Polizei nicht gegen Vermummte auf der NPD-Demo in Hannover vorgegangen ist. Wird mit zweierlei Maß gemessen?
Linke Demonstrationen wären nach unserer Erfahrung an dieser Stelle mit Repressionen überzogen worden – entweder wäre es gegen Einzelpersonen gegangen oder die ganze Demonstration wäre aufgelöst worden. Wir kennen das Beispiel der „Welcome to Hell“-Demo beim G20-Gipfel in Hamburg, wo die Demo mit 12.000 Menschen wegen einiger Hundert Vermummter angegriffen und zerschlagen wurde. Auf der anderen Seite sehen wir, dass Neonazis wie am vorvergangenen Samstag unbehelligt vermummt demonstrieren können. Aus unserer Sicht wird eindeutig mit zweierlei Maß gemessen und es wird deutlich, dass die Polizei kein neutraler, sondern ein politischer Akteur ist.
Ist die Polizei mit Blick auf die Vermummung bei Ihrer Demo denn eingeschritten?
Nein, sie hat sehr zurückhaltend reagiert. Außer der Anfrage zu dem Antrag im Vorfeld gab es keine Reaktion. Wir interpretieren das und auch die Aussagen der Polizei zu dem NPD-Aufmarsch so, dass sie von einer Strafverfolgung in Zukunft absehen wird.
Manche denken, wer sich vermummt, hat etwas zu verbergen. Warum wollen Sie sich vermummen dürfen?
Wir glauben, dass Vermummung für ganz viele Menschen die Teilhabe an Protesten überhaupt erst ermöglicht. Vielleicht haben wir etwas zu verbergen. Die wichtige Frage ist: vor wem? Repression hat viele Gesichter.
Das Vermummungsverbot wurde in Deutschland 1985 eingeführt und
.In den Bundesländern, in denen kein eigenes Versammlungsgesetz erlassen wurde, gilt das des Bundes.
Niedersachsen hat ein eigenes Versammlungsgesetz, in dem das Vermummungsverbot geregelt ist. Darin heißt es unter anderem: Es ist verboten „an einer Versammlung in einer Aufmachung teilzunehmen, die zur Verhinderung der Feststellung der Identität geeignet und bestimmt ist“.
Die zuständige Behörde kann das Verbot aufheben, „wenn dadurch die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht unmittelbar gefährdet wird“.
Seit dem neuen Polizeigesetz in Niedersachsen ist Vermummung nicht länger eine Ordnungswidrigkeit, sondern eine Straftat.
Auch Schleswig-Holstein hat ein eigenes Versammlungsgesetz, dort ist ein Verstoß gegen das Vermummungsverbot eine Ordnungswidrigkeit.
Haben Sie ein Beispiel?
Vor dem Hintergrund, dass Mitglieder aus Polizei und Militär Munition horten, dass Todeslisten angefertigt werden, gibt es ein Bedürfnis, sich gegenüber der Polizei zu vermummen. Dann gibt es natürlich den politischen Gegner, Neonazis, die eine Bedrohung für Menschen darstellen. Aber auch Repression von Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen. Ein Beispiel sind auch Geflüchtete, die nicht den Landkreis verlassen dürfen. Auch sie befürchten oft, mit Repressionen überzogen zu werden. Und da ist es aus unserer Sicht richtig, sich zu vermummen und an der politischen Meinungsäußerung teilzuhaben.
Wollen Sie aus Angst vor Repression nicht Ihren richtigen Namen nennen?
Einerseits glaube ich, dass jemand, der sich öffentlich links-politisch und kritisch zu bestehenden Gesetzen äußert, mit Repression zu rechnen hat. Also ja. Der andere Grund ist, dass ich konsequent in meiner Forderung bin: Protest muss anonym möglich sein, deshalb äußere ich mich dazu auch anonym.
Sie begründen die Forderung nach der Aufhebung des Vermummungsverbots auch mit der Stärkung linker Protestkultur. Was hat Vermummung mit linker Protestkultur zu tun?
Zum einen ermöglicht Vermummung es einigen überhaupt erst, auf die Straße zu gehen und Protest zu äußern. Der zweite Punkt ist, dass es durchaus eine Tradition gibt, sich zu vermummen, um erkennbar zu sein. Es gibt den Ausspruch der Zapatisten: Manchmal muss man sein Gesicht verbergen, um erkennbar zu sein. Es geht ja nicht darum, sich komplett in Schwarz zu hüllen. Unser Protest am Freitag war sehr bunt, zum Beispiel mit Regenbogen-Sturmhauben und Tiermasken.
Wenn das Vermummungsverbot aufgehoben würde, dürften sich auch Nazis künftig vermummen.
Uns geht es nicht darum, die rechtliche Frage von Naziaufmärschen zu klären. Wir sind der Überzeugung, dass Naziaufmärsche auf der Straße zivilgesellschaftlich verhindert werden müssen. Der Skandal ist, dass die Polizei mit einem massiven Aufgebot und mit Gewalt Naziaufmärsche durchsetzt.
Kann die Polizei Sie jetzt im Nachhinein wegen der Vermummung belangen?
Wir sind gespannt, ob da noch etwas kommt. Aber wir sind auch darauf vorbereitet, den Weg durch die Gerichte zu gehen. Wir hoffen aber natürlich, dass bei künftigen Anlässen so massiv von Vermummung Gebrauch gemacht wird, dass die Polizei nicht einschreitet. Das haben wir beispielsweise bei der Vorabend-Demo zum Bundesparteitag der AfD in Braunschweig gesehen, wo sich Menschen massiv über das Vermummungsverbot hinweggesetzt haben.
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