Aktiver Nichtraucherschutz: Auf der Kippe

In Kanada stehen die Warnhinweise zur Gesundheit jetzt schon auf jeder einzelnen Zigarette. Gut so, findet unsere Autorin.

Ein bis über den Rand hinweg überfüllter Aschenbecher

Guten Appetit! Foto: Givaga/Panthermedia/imago

Jeder Tag war eine Qual. Jahrelang. Bis es endlich vorbei war, musste ich eine Bronchitis, eine Abmahnung, unzählige „Aussprachen“ und feige Kol­le­g:in­nen überstehen. Aber der Reihe nach.

Ich arbeitete in einem anderen Medienhaus, hatte ein kleines Kind und war nach der Babypause – ja, so hieß die Elternzeit damals – in ein anderes Ressort versetzt worden. Das neue Büro war ein flacher Großraum, zehn Schreibtische dicht nebeneinander, kaum Platz für ein Bücherregal – und noch weniger für schlechte Luft. Aber die war da, jeden Tag. In Form von Tabakqualm und mieser Stimmung. In dem Raum wurde gepafft ohne Ende, die Ressortleiterin und zwei weitere Kol­le­g:in­nen rauchten Kette: Eine angezündet, einmal gezogen, dann, zack, das Ding abgelegt im Aschenbecher neben dem Bildschirm. Sobald die alte weggeschmurgelt war, wurde die nächste angesteckt.

Das zeigte enorme Wirkung: Gestank und Nikotin hingen nicht nur in der Luft, sie saßen auch in den Wänden, in den Stuhlpolstern, in den Papierstapeln auf den Schreibtischen. Lüften war unmöglich, das Haus stand an einer Kreuzung, die direkt zur Autobahn führte. Die Laune drin war so aggressiv wie das Hupen draußen. Wieso ließen sich das alle gefallen? Immerhin waren wir sieben Nicht­rau­che­r:in­nen gegen drei Raucher:innen. Und die Hausordnung sagte ganz klar: Rauchen vor der Tür.

Sämtliche Rau­che­r:in­nen in der Redaktion hielten sich daran. Bis auf meine Chefin. Die lebte nach dem Motto: Ich habe schon immer im Büro geraucht, ich lasse mir das auch jetzt nicht verbieten. Es war Mitte der 90er Jahre in Berlin, im Westteil der Stadt hatte das Arbeitsgericht schon 1988 geurteilt, dass Ar­beit­neh­me­r:in­nen ein Recht auf „tabakfreie Atemluft“ haben. Heute ist es unvorstellbar, dass in Büros geraucht wird, selbst in Einzelbüros von Rau­che­r:in­nen ist Rauchen mittlerweile verboten. Zu Recht: Rauchen schädigt nicht nur die Tabaksüchtigen – jedes Jahr sterben hierzulande dem Statistischen Bundesamt zufolge 143.000 Menschen an den Folgen des Nikotinkonsums –, sondern auch ihr Umfeld. Das Deutsche Krebsforschungszentrum beziffert die jährlichen nichtrauchenden Toten infolge von Passivrauchen auf mehr als 3.300. Kinder sind besonders betroffen, wenn in ihrer Nähe gequalmt wird. Sie haben ein höheres Risiko für einen plötzlichen Kindstod, akute Atem­wegs­erkrankungen, Hörprobleme, Asthma.

Eine Bronchitis und eine Abmahnung

Ich schleppte mich allabendlich mit Kopfschmerzen nach Hause, bekam bald eine Bronchitis und forderte nach Gesundung darum, doch bitte das Rauchverbot einzuhalten. Nutzte nichts, die Chefin qualmte weiter wie ein Zellulosewerk, die beiden anderen Süchtigen machten mit: Wenn die Chefin das darf, kann das für uns ja nicht verboten sein.

Verließ die Chefin mal kurz das Büro, wurde vor sich hin gemeckert, was das Zeug hielt: Mann, stinkt das hier! Ist echt nicht zum Aushalten! Mir ist schon wieder so schlecht vom Qualm! Nur ein Kollege und ich begehrten offen gegen die Qualmerei auf. Wir versuchten es erst mit Bitten, dann mit Forderungen – erfolglos. Ich rannte zum Betriebsrat und schaltete die Chef­redaktion ein, kein Ergebnis.

Erst die Geschäftsführung griff durch – die Chefin rauchte seitdem vor dem Haus. Und rächte sich mit einer Abmahnung.

„Gift in jedem Zug“

Heute stehen auf Zigarettenschachteln Sätze wie: „Rauchen kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen“, „Rauchen verursacht tödlichen Lungenkrebs“, „Schützen Sie Kinder – lassen Sie sie nicht Ihren Tabakrauch einatmen!“ Dazu gibt es Bilder von amputierten Oberschenkeln, vom Raucherkrebs gezeichneten Köpfen, zu kleinen und zu dünnen Kindern von Müttern, die in der Schwangerschaft das Rauchen nicht lassen konnten. All das gibt es auch in Kanada. Aber da geht noch mehr, findet die kanadische Regierung – und verschärft die Kennzeichnungsregeln. Ab 1. August müssen auch auf jedem Glimmstängel Warnhinweise gedruckt sein: „Gift in jedem Zug“, „Tabakrauch schadet Kindern“, „Zigaretten lösen Krebs aus“. Es ist sicher nur eine Frage der Zeit, bis auch in Europa jede einzelne Zigarette als Gift gekennzeichnet sein muss. Der Weg zur tabakärmeren Gesellschaft ist längst beschritten.

Schon in den 1980er Jahren führten Fluggesellschaften weltweit schrittweise ein Rauchverbot ein, nachdem sich Fluggäste und das Personal beschwert hatten. Seit 2007 darf in den Zügen der Deutschen Bahn nicht mehr geraucht werden, seit 2008 auch in Gaststätten nicht. In den Büros muss man schon länger vor die Tür treten, wenn man eine durchziehen will.

Die Zahl der Rau­che­r:in­nen sinkt stetig, aktuell sind einer Umfrage des Statista Global Consumer Survey zufolge mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland Nichtraucher:innen. Selbst jene, die regelmäßig zum Rauchen auf den Balkon gehen, wünschen sich mehrheitlich rauchfreie Wohnungen, Büros, Kneipen, Klubs.

Rauchfreie Räume sind eine super Sache. Und haben einen Nachteil: Wenn die Kollegin zum Kollegin sagt: „Lass mal eine schmochen gehen“, dann ahnt man, da könnte was getuschelt, was ausgehandelt, so richtig schön gelästert werden. Ein Büro ohne Gossip? Unvorstellbar. So eine Raucherfreundschaft hat schon was für sich – und ist mit zwei Zügen geschmiedet.

Aber eine Frage bleibt: Wie ist das in Kanada bei den Selbstgedrehten?

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Ressortleiterin taz.de / Regie. Zuvor Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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