Aktiv gegen die Klimakrise: Was heißt hier erfolgreich?
Gegen den Klimawandel gibt es mehr als eine Strategie. Mitzi Jonelle Tan spricht in Paris vor 20.000 Leuten, Veronica Cabe in philippinischen Dörfern vor 15.
W enn Mitzi Jonelle Tan auf Welttournee gegen die Klimakrise geht, sind ihre Koffer oft drei Wochen vor der Abreise gepackt. Zu jeder Reise legt sie ein Tabellendokument an. „Treffen mit König Charles III.“ steht dort oder „Veranstaltung in Princeton“, dazu Notizen, an welchem Tag sie bei welchen Freund:innen übernachtet, mit wem sie isst und wann sie welches Outfit trägt. „Erfolg braucht Vorbereitung“, sagt Tan. Schließlich verfolgen knapp 18.000 Menschen ihre Auftritte auf Instagram.
Mitzi Jonelle Tan, 25, ist eine der international sichtbarsten Klimaaktivist:innen Südostasiens. Vor fünf Jahren gründete sie den philippinischen Arm von Fridays for Future. Allein in den letzten zwölf Monaten sprach sie mehrmals in New York, London und Berlin, forderte ein Ende des Klimaimperialismus, posierte vor den Pyramiden in Ägypten, besuchte Lützerath und die Weltklimakonferenz, streikte mit Greta Thunberg und beriet das Natural History Museum in London zu seiner Klimastrategie.
Tans Heimat, die Philippinen, ist einer der vom Klimawandel am stärksten bedrohten Staaten der Welt. Knapp 20 Taifune treffen das Land jedes Jahr, es besteht aus 7.000 Inseln, hat 36.000 Kilometer Küste. Auch deswegen sind die Philippinen ein guter Ort, um der Frage nachzugehen, was erfolgreichen Klimaaktivismus ausmacht.
Wenn Fridays for Future am 15. September wieder zum globalen Klimastreik aufruft, dann ist das ein Moment, um zu konstatieren, wie sehr sie in einigen Ländern in den letzten fünf Jahren die Debatte geprägt haben – aber auch, wie weit sie immer noch von ihren Zielen entfernt sind. Angesichts der physikalischen Realität der Klimakrise und der politischen Verschleppung einer echten Transformation scheint die Bewegung hilflos. Kleinere, radikalere Gruppen wie in Deutschland die Letzte Generation dominieren den Diskurs und lösen Reaktionen von Kopfschütteln bis zu Gewaltausbrüchen aus. Die Klimabewegung steckt in einer strategischen Sackgasse.
Wie wird Aktivismus wirksam?
Auf der ganzen Welt fragen sich Menschen, die gegen die Klimakrise arbeiten: Welcher Aktivismus wirkt? Wo sollte er ansetzen, um effektiv zu sein? Bei den Entscheider:innen? Bei der breiten Bevölkerung? Gibt es so etwas wie die eine richtige Strategie?
Sucht man nach Antworten auf diese Fragen, sollte man auf den Philippinen nicht nur Mitzi Jonelle Tan zuhören, sondern auch einer anderen Vollzeitaktivistin, die, wenn man oberflächlich hinschaut, wie ihr Gegenteil wirkt.
Veronica Cabe folgen auf der Plattform X, wie sich Twitter heute nennt, 94 Menschen. Einer ihrer letzten Posts, das verwackelte Video eines Kohlekraftwerks bei Nacht, hat nach einem Monat zwei Likes.
Wärend Tan um die Welt reist, lebt Cabe in einem kleinen Haus voller Aktivist:innen in der Provinz Bataan, vier Stunden von Manila entfernt. Sie schläft in einem geteilten Schlafzimmer mit Stockbetten und Matratzen. Tagsüber fährt sie in die umliegenden Arbeiter- und Fischerorte und versucht, sie für den Widerstand gegen den Kohleboom in der Region zu mobilisieren. Sechs Kohlenmeiler laufen derzeit in ihrer Provinz, fünf weitere sind in Planung. Cabe ist 50 Jahre, seit 29 Jahren kämpft sie gegen die Kohle.
Auch wenn Tan und Cabe auf ähnliche Ziele hinarbeiten, sind die Bühnen, die sie für ihr Engagement wählen, grundverschieden. Die eine spricht vor dem Eiffelturm in Paris vor 20.000 Menschen, die andere auf philippinischen Dorfplätzen vor 15 Leuten auf Plastikstühlen. Was kann man von ihnen über erfolgreichen Klimaaktivismus lernen?
Mitzi Jonelle Tan über ihre Vortrage in New York, London und Berlin
Ende März steht Mitzi Jonelle Tan im Weltsaal des Bundesaußenministeriums in Berlin, man kann sich die Aufzeichnung der Rede auf Youtube ansehen. Vor ihr hat sich die grüne Wirtschafts- und Politikelite Europas versammelt, jährlich trifft man sich zum Berlin Energy Transition Dialogue. Tan gehört neben Außenministerin Annalena Baerbock und dem Präsidenten von Kenia, William Ruto, zu den Keynote-Speakern.
Tans weißes Kostümoberteil erinnert ein wenig an eine Rüstung, auf ihren Schultern prangen die Slogans „Social Justice“ und „Climate Justice“. Sie steht vor einem schimmernden Edelstahlpult, vor ihr in der ersten Reihe sitzt Robert Habeck neben Sultan Al Jaber, Präsident der diesjährigen Klimakonferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Vorsitzender des zwölftgrößten Ölkonzerns der Welt.
Die Philippinen seien das Land, das in den letzten 20 Jahren die meisten Extremwetterereignisse getroffen hat, sagt Tan. Sie fordert einen Schuldenerlass für stark klimabetroffene Länder, als Reparation für Jahrhunderte des Kolonialismus. Die Schulden fühlten sich an „wie ein Autounfall, bei dem ihr in uns reingefahren seid, aber wir euch jetzt Geld für die Reparatur unseres Autos schulden“, sagt Tan. Eine Formulierung, für die sie auf einer Demo Zwischenapplaus bekommen hätte. Hier klatscht niemand.
Greta Thunberg aus Schweden, Vanessa Nakate aus Uganda, Luisa Neubauer aus Deutschland – Mitzi Jonelle Tan gehört mit zu einer Generation von internationalen Klimaaktivist:innen, die sich über fehlende Aufmerksamkeit von Politiker:innen und Wirtschaftsbossen nicht beklagen kann. Aber hört man ihnen wirklich zu? Oder sind sie nur ein netter Programmpunkt im Business as usual der Konferenzwelt?
„Einige laden mich ein, weil sie sich greenwashen wollen“, sagt Tan. „Schaut her, wir hören dem Globalen Süden zu. Was mich daran so wütend macht: Die Klimaaktivist:innen aus dem eigenen Land, die sie direkt kritisieren würden, laden sie nicht ein.“ Deswegen versucht sie sich vorher mit Menschen vor Ort zu connecten. In Berlin spricht sie über die Milliardeninvestitionen der Bundesregierung in fossile Gasinfrastruktur. Und manche Einladungen von Unternehmen beantworte sie einfach nicht.
Ihre Reisen erfüllen einen Zweck, sagt Tan. „Die Zentren der Macht liegen immer noch im Globalen Norden.“
10.000 Kilometer von Berlin entfernt steigt Veronica Cabe auf den Philippinen auf einer staubigen Landstraße aus dem Bus. Es ist ein heißer Sommertag, vor ihr liegt ein enger Weg, überschattet von Bäumen und Bananenstauden. Cabe biegt auf einen Hof ab. Unter einem Wellblechdach auf Bambuspfeilern warten bereits rund 15 Menschen auf sie. Das Treffen heute ist seit Wochen geplant. Die Männer und Frauen hier sind Fischer, Bauern, Kioskbesitzer. Einige sind arbeitslos. Rechtlich besitzt keiner von ihnen das Land, auf dem sie seit Jahrzehnten leben.
Cabe nennt sich Community-Organizerin. Sie ist heute hier, weil sie mit ihnen über das laute Brummen sprechen will, das seit sieben Jahren, Tag und Nacht, die Geräuschkulisse des Dorfes bildet. Geht man an Büschen und Bäumen vorbei rund 100 Meter hinter das Haus, bekommt das Brummen eine Gestalt: ein riesiges Kohlekraftwerk, inklusive angrenzendem Kohledepot.
Der Kohlestaub ist allgegenwärtig
Cabe fährt mit ihrem Finger über eine Plastikplane und zeigt den Staub, der sich dabei sammelt. Seit Jahren klagen die Anwohner:innen über Atemwegsbeschwerden, Hautausschläge und Ernteeinbußen durch die Luftverschmutzung des Kraftwerks.
Ein 30-seitiger Bericht des Gesundheitsministeriums bestätigte 2019 den allgegenwärtigen Kohlestaub und fasste die eindeutige, internationale Studienlage zur Schädlichkeit von Kohlekraftwerken für unmittelbare Anwohner:innen zusammen. Direkte Konsequenzen folgten daraus jedoch keine. Überhaupt könnte man meinen, dass Cabes Engagement vor Ort bisher wenig erreicht hat. Seit 29 Jahren ist sie aktiv, doch auf den Phillippinen boomt die Kohle weiter. Auch an der Situation der Anwohner*innen in Lamao hat sich, 9 Jahre nachdem sie begonnen hat mit ihnen zu arbeiten, wenig geändert. Man könnte das Ausdauer nennen. Oder das verblendete Festhalten an Ansätzen, die nicht funktionieren.
Was treibt Sie an, Frau Cabe?
„Wut“, sagt sie. Es gibt einen Tag, der Cabe mit mehr Wut zurückließ als jeder andere. Am 26. September 2009 fällt in Manila innerhalb von 24 Stunden der Regen eines Monats. Bis zu sechs Meter hohe Fluten schwappen durch die Straßen.
Veronica Cabes Familie lebt damals in einem chronisch von Überflutungen bedrohten Stadtteil. Ihre Eltern, ihre Schwester und deren Kinder wollen gerade zu Mittag essen, als das Wasser in ihr Haus eindringt. Sie retten sich in den zweiten Stock, doch das Wasser steigt rasend schnell weiter. Ihr Vater nimmt einen Hammer und schlägt ein Loch in die Holzwand des Hauses. Durch das Loch klettert die Familie hinaus in den schweren Regen und aufs Dach.
Cabe erfährt all das live per SMS. Sie selbst ist in einem Büro in Sicherheit. Verzweifelt kontaktiert sie Freund:innen in NGOs, Politiker unter ihren Kontakten. Doch kein Durchkommen. Sie kann nichts für sie tun.
Der Taifun „Ondoy“ geht als einer der schwersten in die Geschichte von Manila ein. Der Sturm tötet knapp 700 Menschen und verwüstet 80 Prozent der Hauptstadt. Die Zahl der besonders zerstörerischen Supertaifune hat sich auf den Philippinen in den letzten Jahren vervielfacht. Grund dafür ist vor allem eine erhöhte Temperatur der Meeresoberfläche.
Mitzi Jonelle Tan ist gerade mal 12 Jahre alt, als der Taifun „Ondoy“ kommt. Sie lebt in einem höher gelegenen Stadtteil, die Wassermassen fluten bei ihr zu Hause das Erdgeschoss. In den Wochen darauf träumt Tan davon, in ihrem eigenen Schlafzimmer zu ertrinken. Anders als Cabe ist Tan in einer Mittelschichtfamilie aufgewachsen, ihr Vater Geschäftsmann, ihre Mutter Hausfrau. Sie weiß, wie sie auftreten muss, damit die Entscheider im Globalen Norden ihr zuhören. Aber auch sie will raus aus ihrer Blase, will wie Veronica Cabe an der Seite marginalisierter Menschen kämpfen.
Ein Fischerdorf in der Stadtgemeinde Rosario, zwei Stunden südlich von Manila. Es ist kurz vor Mitternacht, und in der Dunkelheit weicht Mitzi Jonelle Tan trittsicher Schlammpfützen und Plastiktüten aus, um sich einen Weg zum nächtlichen Fischmarkt zu bahnen. Hinter ihr ein Dutzend Studierende in Flipflops mit Umhängetaschen vor der Brust. Immer wieder schaut Tan sich nach ihnen um. Viele von ihnen kommen aus der Mittelschicht, sie sind das erste Mal in einem solchen Umfeld.
Tan und ihre Gruppe nennen diese Besuche Immersionen – also Eintauchen. Mit ihnen wollen sie die Kämpfe verschiedener Milieus verbinden, die der urbanen Studierenden und die der ruralen Fischer. Tan wird heute das erste Mal die Nacht in einem Fischerdorf verbringen.
Auf dem Markt ziehen oberkörperfreie Männer im Scheinwerferlicht mit riesigen Metallhaken Plastikbottiche voll Fisch über den Asphalt. Ein Mann wartet im warmen Wasser auf anlandende Fischerboote, ein anderer Mann schläft auf der Motorhaube eines Jeeps. Auf der Kaimauer sitzen ein Dutzend weitere und warten auf Arbeit.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Selbstbewusst stellt Tan den Fischern Fragen. In den letzten Jahren sei ihr Fang um 80 Prozent zurückgegangen, sagt einer. Die Ursache sehen die Fischer vor allem in riesigen Spezialschiffen, die den Meeresboden aufgraben, um Material für Landgewinnungsprojekte entlang der Küste zu sammeln. Dort sollen neue Casinos, Malls und ein Flughafen entstehen. Das Wort Klimakrise erwähnt er nicht.
Während sie sprechen, umkreist ein vierköpfiges Filmteam aus den USA Mitzi Jonelle Tan. Eine New Yorker Jungregisseurin begleitet sie diesen Sommer für einen Dokumentarfilm.
Tans Onlineauftritt hat sich in den letzten sieben Jahren stark verändert. Noch 2016 schrieb sie in einem Blogeintrag, ihr Traum sei es, Model zu werden, und postete auf Instagram Werbung für Fashionlabels. Zur Highschool ging sie in einer katholischen Mädchenschule, zu ihren Mitschülerinnen gehörten Töchter von Familien, die ganze Provinzen zu ihrem Landbesitz zählen. Heute sieht man Tan auf Instagram im pinken Kleid für das Ende des Imperialismus demonstrieren.
Tan sagt, entscheidend für ihre Transformation war die Begegnung mit indigenen Aktivist:innen. Sie hatten ein Protestcamp an ihrer Hochschule aufgeschlagen. Einer ihrer Anführer erzählte Tan seine Geschichte: von Vertreibung, von Schüssen während des Unterrichts, von der Drohung des damaligen philippinischen Präsidenten Duterte, Bomben auf ihre Schulen zu werfen.
„Ich habe damals verstanden, dass Aktivist sein für viele Menschen keine Entscheidung ist, sondern ein Werkzeug zum Überleben“, sagt Tan heute. Während sie selbst zögerte, bevor sie auf ihre erste Demonstration ging, blieb den indigenen Menschen keine Wahl. „Das war der Moment, wo ich entschieden habe, dass ich Aktivistin werde“, sagt Tan. Ihre Erfahrung als Fashionbloggerin, auch ihre Erfahrung als Jugendleiterin in der Kirche – all das nutzt sie heute dafür, dass ihr Aktivismus erfolgreicher wird.
Die 3,5-Prozent-Regel für Erfolg
3,5 Prozent der Bevölkerung müssen Teil einer Bewegung werden, damit sich politisch ernsthaft etwas bewegt – auf diese Zahl beziehen sich Protestgruppen wie etwa Extinction Rebellion. Die Zahl stammt aus dem Buch „Why Civil Resistance Works“, das internationale Proteste zwischen 1900 und 2006 untersuchte.
Die Klimabewegung ist von dieser Zahl noch weit entfernt. Die US-amerikanische Protestforscherin Dana Fisher meint: Ohne einen externen Schock, eine Katastrophe, die die Gefahr der Klimakrise offensichtlich macht, werden sie nicht erreicht. Doch selbst wenn so ein Schock ein politisches Möglichkeitsfenster öffnen sollte, bräuchte es auch die nötigen Mobilisierungsstrukturen, um die entstehende Angst in kollektives Handeln zu kanalisieren. Wie mobilisiert man Wut?
Im Kohleort Lamao zieht Veronica Cabe ihren Plastikstuhl zur Seite und stellt sich in den Stuhlkreis der 15 Anwohner:innen. Es ist heiß unter dem Wellblechdach, zwei Hunde liegen seitlings auf dem Boden. Cabe ist heute hier, weil sie für den Besuch einer Anhörung mobilisieren will, auf die sie seit sechs Jahren hinarbeitet. Sie könnte endlich wirklich etwas verändern für die Menschen von Lamao.
Veronica Cabe zur Frage, warum sie keinen Schreibtischjob bei einer NGO machen will
2017 entdeckten Cabe und ihre Verbündeten eine Besonderheit in der Finanzierung des Kohlekraftwerks. Den Kredit stellte zwar eine philippinische Bank – doch an der hatte sich zuvor die International Financial Corporation, kurz IFC, mit insgesamt 228 Millionen Dollar beteiligt.
Als Tochterfirma der Weltbank wird die IFC mit öffentlichem Geld der Staatengemeinschaft finanziert. Die Nachhaltigkeitsstrategie des IFC verpflichtet Geldempfänger zu Prüfungen ihrer sozial-ökologischen Wirkungen, inklusive Konsultationen von möglicherweise betroffenen Communitys. In Lamao gab es keine solchen Gespräche.
Also reichte die Community gemeinsam mit einem breiten Bündnis 2017 Beschwerde beim IFC ein. Nun, sechs Jahre später, werden die Menschen von Lamao zum ersten Mal direkt angehört.
Kurz bevor Cabe mit der Arbeit an der Beschwerde begann, töteten zwei maskierte Motorradfahrer eine enge Freundin von ihr, die lautstark gegen das Kohlekraftwerk mobilisiert hatte. Sie war Großmutter von über einem Dutzend Enkeln.
Dass Cabe mit 50 noch Vollzeitaktivistin ist, ist ungewöhnlich. Als sie in der Unizeit anfing, engagierten sich viele ihrer Freund:innen auch. Doch nach und nach verabschiedeten sie sich – in besser bezahlte Jobs ins Ausland oder nach Manila. Doch Cabe blieb. Vor sieben Jahren versuchte das Büro einer internationalen NGO in Manila, ihr eine Stelle als Campaignerin anzubieten. Cabe überlegte kurz, aber: „Aus einem klimatisierten Büro heraus kann ich nicht wirklich mit den Menschen kämpfen.“ Sie lehnte ab. Und machte weiter direkt bei den Betroffenen. „Hier frage mich nie, für wen ich diesen Kampf eigentlich führe“, sagt sie.
Den Erfolg von Klimabewegungen messen
Wie sollte man den Erfolg einer Klimagerechtigkeitsbewegung messen? Die eine relevante Maßeinheit: Treibhausgase. Kommt es hier zu einer dauerhaften Reduktion? Die zweite: das Geld. Wie viel davon zahlt der Globale Norden an den Globalen Süden zur Begleichung seiner ökologischen Schulden?
Mitzi Jonelle Tans Reisen sind immer auch Fundraising. Das Bewegungshaus ihrer Organisation, die kleinen Aufwandsentschädigungen für die Vollzeitaktivist:innen: all das finanzieren derzeit ausländische Geldgeber. Und auch Veronica Cabes Beschwerde zu dem Kohlekraftwerk könnte Geld nach Lamao bringen.
Es ist bereits nach Mitternacht, als die Studierenden von Mitzi Jonelle Tans Gruppe am Fischmarkt erste Zeichen der Erschöpfung zeigen. Der Anführer des Fischerdorfes führt durch die riesige Markthalle vorbei an Thunfischkadavern, Sauerstoffpumpen und abgetrennten Fischköpfen. Die Vorstellung von fließendem Wasser und klimatisierten Zimmern scheint plötzlich sehr reizvoll. „Ich weiß, das ist unglaublich privilegiert, aber ich bin einfach nicht gemacht für dieses Umfeld“, sagt eine Bekannte von Tan, die sie beim Tauchunterricht kennengelernt und spontan eingeladen hat.
Für die Studierenden sind zwei Zimmer mit Holzplatten vorbereitet, auf denen sie versuchen zu schlafen. Es ist heiß, die Luft steht, sie schwitzen. Plötzlich brechen laute Schreie einer Frau die Stille der Nacht. Ein Kind beginnt zu weinen. Eine wütende Männerstimme ertönt. Ratlos schauen sich die Studierenden an. Die Schreie werden immer lauter. Am nächsten Morgen ist die Aktivist:innengruppe um eine Person geschrumpft. Ihre Eltern hatten sie in der Nacht abgeholt. Tan wiederholt einen Satz immer wieder: „Es ist hart, aber das ist die Realität.“
Während sie später auf einem umgedrehten Eimer sitzt und Fische ausnimmt, sagt sie: „Dort, wo die Unterdrückung am größten ist, ist der Widerstand am stärksten.“
Aber stimmt das? In Tans Feststellung steckt auch ein Stück Wunschdenken, dass Betroffene sich organisieren. Gleichzeitig sind es konkrete Erfahrungen wie die der Fischer, die ihre Einnahmequelle verlieren, und die der Kinder, die Kohlestaub einatmen, die die Dramatik der Lage verbildlichen. Besonders wenn es gelingt, dass die Verursacher der Klimakrise in Berlin und New York auch von ihnen hören.
Die Chancen, dass die Anwohner:innen des Kohlekraftwerks in Lamao durch ihre Beschwerde gegen die Weltbanktochter entschädigt werden könnten, stehen nicht schlecht. Veronica Cabe hat 29 Jahre lang durchgehalten, nun könnte ein später Erfolg bevorstehen. Erkennt die Tochterfirma der Weltbank die Verletzung der eigenen Standards an, könnte das bedeuten, dass die Emissionen regelmäßig überprüft werden, die Menschen hier Zugang zu guter Gesundheitsversorgung bekommen und den Fischern, die nicht mehr vor dem Kraftwerk fischen können, alternative Arbeit angeboten wird. „Wir wollen, dass der IFC und die Kraftwerksbetreiber Verantwortung für ihren Müll übernehmen“, sagt Cabe.
Was ist Erfolg für Veronica Cabe, was für Mitzi Jonelle Tan?
Tan reagiert auf die Frage fast genervt. Ja, es gab eine globale Kampagne mit Fridays for Future, mit der sie eine große Bank dazu brachte, ihre Strategie zur Finanzierung von Kohleprojekten zu überarbeiten. Ein Treffen mit König Charles III., mit dem sie einer wenig beachteten Öltanker-Havarie vor den Philippinen Aufmerksamkeit verschaffen konnte. Ein Foto mit Popstar Billie Eilish, das bei der Suche nach zwei vermissten Umweltaktivisten half.
„Meine größten Erfolge sind andere“, sagt sie. Wenn ein streikender Arbeiter ihr sagt, wie sie ihm Hoffnung gebe. Oder eine Followerin ihr schreibt, wie sie ohne Tans Instagrambeiträge vielleicht ihren Aktivismus aufgegeben hätte.
Veronica Cabe wird sagen, dass ihre stolzesten Momente die sind, wenn andere Verantwortung übernehmen. Dann sei es Zeit für sie, weiterzuziehen, zum nächsten Stuhlkreis, ins nächste Dorf. Weil sich neue Anführer:innen auftun.
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