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Aktionismus nach Magdeburg-TerrorBesser erst mal nachdenken

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Kurz nach dem Attentat prescht die Innenministerin mit neuen Sicherheitsplänen vor. FDP und Union sollen als Blockierer dastehen. Ist das schlau?

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will schnell punkten mit der Forderung nach neuen Sicherheitsgesetzen Foto: Heiko Rebsch/dpa

N ach dem islamistischen Anschlag von Solingen dauerte es fünf Tage, bis die Bundesregierung ein Sicherheitspaket präsentierte. Diesmal, nach dem Angriff in Magdeburg, preschte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bereits nach zwei Tagen mit der Forderung nach neuen Sicherheitsgesetzen vor. Die Vorschläge – ein neues Bundespolizeigesetz und biometrische Gesichtserkennung – hatten zwar nichts mit dem Anschlag von Magdeburg zu tun und hätten ihn vor allem nicht verhindern können. Doch das war ihr offensichtlich egal. Sie hat die beiden Themen wohl nur deshalb ausgewählt, weil hier FDP und CDU/CSU als Blockierer hingestellt werden konnten.

Dass es noch keine rechtspolitischen Forderungen gibt, die auf den konkreten Anschlag eingehen, überrascht nicht. Denn noch fällt es schwer, die Tat richtig einzuordnen. Ein rechtsextremistischer Islamhasser mit Migrationshintergrund, der einen islamistischen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt imitiert, das gab es noch nie.

Deshalb sollte man die Behörden nicht vorschnell schelten, weil sie viele Hinweise übersehen oder falsch eingeschätzt hätten. Gewaltdrohungen gibt es leider viel zu viele, insbesondere in den Weiten des Internets. Sie werden natürlich ernster genommen, wenn sie aus Kreisen kommen, die bereits für Anschläge und Attentate bekannt sind.

So ist schon unklar, welche Behörden für Fälle wie Taleb al-Abdulmohsen zuständig wären. Ist er ein psychisch Kranker, der sich in einen Wahn hineinsteigerte? Ist er ein Querulant, der sich mit allen und jedem anlegte? Oder ist er ein politischer Extremist und Terrorist, der bei aller Verschraubtheit planmäßig einen Anschlag mit wohlbedachter Bildsprache vorbereitete? Und wo sollten die Warnsignale über eine so vielschichtige Person gebündelt und ausgewertet werden? Beim Verfassungsschutz gibt es keine Abteilung für gewaltbereite saudische Islamhasser.

Im Nachhinein sieht vieles oft linear aus. Doch der Blick vom Ende her führt in die Irre. Wenn man vorher wüsste, wer einen Anschlag begeht, könnte man sich um die Person effizient und legitim kümmern. Aber wenn man all die Geiferer, Hetzer, Gewaltbefürworter sieht, dann ahnt man, dass die allermeisten bei verbalen Drohungen bleiben. Es wäre also nicht nur unverhältnismäßig, alle vorsorglich einzusperren, es wäre gar nicht zu schaffen. Ob es auch bei solch diffusen Personen wie al-Abdulmohsen bessere Prognosen geben kann, das ist die große Frage, die sich nun stellt.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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17 Kommentare

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  • Die Antwort lautet: Nein

    Für einen kurzfristigen Vorteil in der öffentlichen Wahrnehmung wird wissentlich ein falsches Narrativ transportiert.

  • Es ist wirklich jedes Mal das Gleiche: Ich würde vermuten, das diese Gesetzesvorlagen als Entwurf eh schon in der Schublade lagen und um dann rausgeholt und präsentiert zu werden, wenn etwas Schlimmes passiert.

    Das Problem dabei ist ja-es passiert immer irgendwas. Es gab nie in der Geschichte der Menschheit eine durchgängig friedliche Zeit über eine längere Periode und auch noch nie eine terrorfreie Zeit in der Geschichte der BRD.

    Vor 8 Jahren gab es mal einen Artikel in einer großen deutschen Zeitung, der die Terrorangst der Menschen in Europa kritisch hinterfragt hat. Im statistischen Vergleich (zu diesem Zeitpunkt), gab es mehr Terroranschläge in den1990er Jahren in Europa, als in den 2010er und 00er Jahren.

    Statistiken sind etwas feines: So besagt ja auch die amtliche Kriminalstatistik, das 1993 die Höchstzahl an Mord und Totschlag in Deutschland begangen wurde



    ( mehr als doppelt so hoch, wie in den letzten beiden Jahrzehnten).



    Generell waren die 1990er wohl das unsicherste Jahrzehnt in der jüngeren Geschichte der BRD, was Gewaltkriminalität angeht.

    Wenn man aber die Bevölkerung fragt (beeinflusst durch Politik und Medien), dann war es "noch nie so schlimm wie heute".

    • @R. Mc'Novgorod:

      Der Wandel zeigt sich dennoch: Art und Zielgruppen der Anschläge, Profile der TäterInnen, Berichterstattung während Ermittlungen und Vorverurteilungen sowie fehlgeleitete Eskalation von "Rache".



      Quelle derstandard.de



      "Nachdem ein Mann auf einem deutschen Weihnachtsmarkt mehrere Personen getötet hat, sieht Peter Neumann eine neue Tätergruppe. Die Behörden seien darauf nicht vorbereitet. Die Politik fordert Konsequenzen"



      /



      Zum Experten:



      www.kcl.ac.uk/peop...ssor-peter-neumann

  • Das verhalten unserer Politiker ist ein Trauerspiel ohne gleichen. Jedes mal das gleiche: Auf dem Rücken der Toten Gesetze durchpeitschen, die man schon immer mal haben wollte. Oder einfach Handlungsfähigkeit vortäuschen.



    Aber dafür nur bestehenden Abläufe zu verbessern, kommt man ja nicht in die Zeitung.

  • Statt nach neuen Gesetzen zu schreien und 100 Untersuchungen einzuleiten, sollte man ganz simpel die Frage beantworten, warum die Zufahrt zum Weihnachtsmarkt nicht gesichert war. Möglichkeiten hätte es genug gegeben. Auch welche, die Rettungsfahrzeugen die Zufahrt ermöglichen.

    Rauszufinden, wer für dieses Versäumnis verantwortlich ist, kann eigentlich nicht schwer sein. Und es kann auch nicht schwer sein, diese Person oder Personen zur Rechenschaft zu ziehen.

    Jetzt irgendwelche politischen Süppchen zu kochen, ist einfach nur abstoßend.

  • Gemeingefährliche Placebopolitik.



    Welche neue gesetzliche Maßnahme hätte denn diesen Anschlag, den in Mannheim oder den auf dem Breitscheitplatz verhindert? Keine



    Umgekehrt hätte es in allen Fällen genügt, bestehende Gesetze anzuwenden.



    Aber statt Polizisten ordentlich auszurüsten und zu schulen, Poller vernünftig aufzustellen oder bekannten Problemmänner (Ja alles meine Geschlechtsgenossen!) besser zu überwachen, wieder Mal die billigste und gefährlichste Lösung: Sicherheitsimitation durch Gesetzesverschärfungen. Nur Gesetze sind erst mal nur Papier - was nicht angewandt wird ist wirkungslos und keinen der mehr oder weniger gestörten Täter hätte selbst die Drohung mit Rädern und Vierteilen abgeschreckt - eben weil mordlüstern deppert.



    Des weiteren ist es Tatsache, dass Anschlagsopfer zu werden die unwahrscheinlichste Todesursache in der BRD ist. Solange laut RKI ca 15000 Menschen jährlich durch Hygienefaulheit medizinischen Personals umkommen und das keinen Politiker, Foristen oder Wutbürger stört, solange sehe ich nicht ein, warum wir alle unter Generalverdacht gestellt werden sollen - insbesondere meine Töchter, da Schwerststraftäter zu 90 Prozent Männer sind.

  • Ich stimme zu, mein ceterum censeo seit langem: Wir haben kein Defizit an Normen, sondern ein Defizit in der Normanwendung. Was sich jetzt politisch-medial abspielt, haben wir schon hundertmal gesehen, die zugespitzte Formulierung von Franz-Josef Strauß aus dem Jahr 1986 dürften viele Internet-Nutzer kennen.

    Wie man jetzt lesen kann, war über den Täter von Magdeburg eigentlich im Vorfeld alles bekannt. Bedroht die Ärztekammer und bekommt dann eine Stelle in einer JVA. Was soll man da noch sagen.

  • Wunderbar kurz und auf den Punkt gebracht.

    Man hat einfach nicht mehr das Gefühl, die Politik kümmere sich ums Volk, sondern nutzt jedes Ereignis nur, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Politkapitalismus quasi.

  • "das gab es noch nie."



    Weil es dann eben offensichtlich zunächst wie eine Einzeltat, analog einem Amoklauf, erscheint.



    "Im Nachhinein sieht vieles oft linear aus."



    Das ist teilweise unserem Bedürfnis danach geschuldet, Logiken (manchmal zwanghaft) erkennen zu wollen.



    "Ob es auch bei solch diffusen Personen..."



    Das ist der Kern des Problems.



    Ein Versuch der Annäherung zum Komplex:



    www.protector.de/w...moktaeters-vorgeht



    Die zahlreichen "Selbstläufer" mit Vorverurteilung in den Medien machen jede Sachlichkeit in der Bewertung zunichte.



    Die Pauschalisierung u. Verbreitung von Halbwissen sowie Fake News werden zur Gefahr für Unbeteiligte/Unschuldige, vielleicht sogar für solche, die sowieso schon Opfer waren u. bleiben.



    Der Rechtsstaat hat einen klaren Auftrag, der sich an bestehenden Regeln ablesen lässt, die aber oft unberücksichtigt bleiben.



    Das übliche Prozedere jetzt umfasst auch hier die Frage: "Was wäre gewesen, wenn..."



    Und eine Antwort wird möglicherweise sein: ...wenn nicht einige auch weggeschaut hätten, vielleicht auch im privaten und sogar beruflichen Umfeld.



    "Dem hätte ich das nicht zugetraut", das könnte jetzt ggfs schon jemand dazu gesagt haben.

  • Der erste Artikel in der taz, der dem Vorfall gerecht wird.

  • Die Dame von Netzpolitik . org heute in der Tagesschau sprach das Offensichtliche aus: Was jetzt aus den Schubladen geholt wird, hat mit dem Fall jetzt gar nichts zu tun.



    Die Annahme, als SPD-Innenminister m/w/d immer den harten Hund geben zu müssen, darf durchaus hinterfragt werden. Auch Bürgers-Rechte sind ein Handlungsziel. Hingucken muss sein.

  • Operative Hektik ersetzt geistige Windstille……

  • " Sie hat die beiden Themen wohl nur deshalb ausgewählt, weil hier FDP und CDU/CSU als Blockierer hingestellt werden konnten."

    Ja sicher, 5 Menschen sind tot, darunter ein neunjähriges Kind, aber wer ein schnelles Handeln gegen potentielle Nachahmer fordert ist plötzlich ein schlechter Mensch, der nur der armen FDP und der armen CDU etwas auswischen will. CDU und FDP stehen nicht als Blockierer dar wenn es um den Schutz der Bürger vor rechter Gewalt geht, sie sind es tatsächlich. Da ist es egal, zu welchem Zeitpunkt neue Sicherheitspläne gegen rechte Gewalt vorgestellt werden, die rechten Parteien werden immer bremsen und blockieren.



    Jetzt darf man schon nicht einmal mehr nach einem rechten Anschlag als Innenministerin Sicherheitspläne entwickeln um Bürger zu schützen weil rechte Parteien dadurch schlecht dastehen könnten...darf man Leute den überhaupt noch vor rechter Gewalt schützen?

  • Vor Inbetriebnahme des Mundwerks Gehirn einschalten.

    Der Autor hat völlig recht, erst denken dann handeln.



    In diesem konkreten Fall hätte die Vorratsdatenspeicherung gar nichts gebracht. Vor dem Täter wurde mehrfach von mehreren Quellen gewarnt, trotzdem kam es zur Tat. Wenn Frau Facer jetzt einfach mal "vorbeugend" die Schuld bei FDP und CDU ablegen will, dann hat sie das Problem nicht verstanden. Das finde ich billig und Charakterlos. Alle müssen zusammenarbeiten um es in Zukunft besser zu machen, darauf kommt es an, nicht auf Schuldzuweisungen.

    • @Hans Dampf:

      Ich finde es ziemlich auffallend, dass die Union auf einmal gar nichts mehr von erweiterten Überwachungsmaßnahmen wissen will, für die sie seit fast 10 Jahren vehement agitiert.

      Das sollte man eher mal beleuchten.

      • @Ajuga:

        Ich glaube dass die CDU außer "schöner Worte" auch keine wirklich Lösung für dieses Problem hat.

  • Bundes- und Landesinnenministerinnen haben sich hier wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Es gab mehr als genug Warnungen in diesem Falle. Gehandelt wurde nicht.



    Vor diesem Hintergrund jetzt neue Forderungen zu stellen ist ein Hohn.



    In dem Fall empfehle ich Frau Faeser doch einfach ihren Rücktritt einzureichen.