Affäre um AfD-Berater Tom Rohrböck: Alles andere als normal
Die AfD wirbt mit der Wiederherstellung der „Normalität“. Eine Affäre um Strippenzieher Tom Rohrböck kommt da ungelegen und sorgt intern für Streit.
„Sichere Grenzen“ werden mit einer blonden Frau bebildert, die ihren Gartenzaun streicht. „Saubere Straßen“ mit einer Nahaufnahme von klickenden Handschellen eines festgenommenen Mannes untermalt. Bei einer Familienfeier kuschelt ein Kleinkind mit einem Opa. Das Coronavirus existiert auf diesen Bildern nicht. Am Ende heißt es: „Normal ist das, was wir alle wieder brauchen. Klingt gut, oder?“
Alles andere als normal ist hingegen die derzeitige Realität der AfD. Denn die Skandale innerhalb der rechten Partei reißen nicht ab. Kleine Kostprobe nur aus dieser Woche: Die vorgeblich gemäßigte Berliner Landesvorsitzende Kristin Brinker hat einem geschichtsrevisionistischen Magazin ein Interview gegebenen – der Interviewer hatte wohl Bezüge zur NPD, wie der Tagesspiegel berichtete. Und der NRW-Landesvize und aussichtsreiche Bundestagskandidat Matthias Helferich hat in einem Facebook-Chat laut WDR-Recherche ein Bild von sich mit „das freundliche Gesicht des NS“ kommentiert.
Am verheerendsten aber dürften derzeit die innerparteilichen Verwerfungen um das Netzwerk des Polit-Strippenziehers Tom Rohrböck sein, der vor ein paar Wochen durch Recherchen von NDR, WDR und Zeit als „Phantom“ oder „Schattenmann“ der AfD bekannt wurde.
AfD Bayern ficht Liste an
Demnach sei Rohrböck zwar kein Mitglied, aber bestens in der AfD vernetzt und als „Königsmacher“ und mächtiger Strippenzieher im Hintergrund einflussreich. Es soll sogar Abgeordneten Geldangebote gemacht haben, die allerdings niemand angenommen haben will. Die Zeit berichtet, dass Rohrböck konkrete politische Anweisungen gegeben haben soll und strategische Manöver angestellt habe.
Ob jemand hinter Rohrböck steht und wenn ja, wer, bleibt vorerst schleierhaft. Recht gut belegt ist, dass Rohrböck seit der Anfangszeit beim Aufbau der AfD sowohl finanziell als auch beratend geholfen haben soll – offenbar mit der Zielsetzung, in Deutschland eine dauerhaft starke rechte Partei nach dem Vorbild der österreichischen FPÖ zu schaffen. Der Rechercheverbund berichtet zudem, dass Rohrböck in Gesprächen mit AfD-Abgeordneten mehrfach den Namen des konservativen Milliardärs August von Finck erwähnt haben soll, Belege dafür fehlten allerdings.
Rohrböck verfüge demnach über Kontakte zu etwa der Hälfte der Bundestagsabgeordneten, wie AfD-Spitzenkandidatin und Bundessprecherin Alice Weidel vor laufender Kamera schätzte. Auch hat sie selbst eingeräumt, zwei Jahre lang mit dem Mann in Kontakt gestanden zu haben – und im November 2017, kurz nach ihrer Wahl zur Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, auf Rohrböcks Kosten und unter falschem Namen in einem Luxus-Hotel in Bayern eingecheckt zu haben. Einfluss auf ihre politische Arbeit habe Rohrböck allerdings nicht genommen, behauptet Weidel. Sie wolle nun außerdem dazu beitragen, den Einfluss Rohrböcks aufzuklären.
Die bayerische Basis versucht derzeit sogar, die Liste für die im September anstehende Bundestagswahl anzufechten, weil diese mit der Bundestagsabgeordneten Corinna Miazga von exakt jener Kandidatin angeführt wird, die maßgeblich von Rohrböck protegiert worden sein soll.
Wildwest-Steckbriefe Rohrböcks kursierten
Die bayerische Landeswahlleitung will sich dazu nicht konkret äußern. Entsprechende Vorwürfe gehörten zum Tagesgeschäft, allgemein würde dann ein Vorprüfungsverfahren eingeleitet, sagt der stellvertretende Landeswahlleiter Karsten Köhne zur taz. Ob ein solches Verfahren im konkreten Fall bereits liefe, dazu könne er nichts sagen. Die SZ berichtet, dass entsprechende Anfechtungen von AfD-Mitgliedern formal bei der Landeswahlleitung eingereicht worden seien.
Anlass für die Anfechtung ist, dass Rohrböck Miazga 2019 zur Kandidatur für den Landesvorsitz der AfD Bayern ermuntert haben soll, wie aus Chatprotokollen hervorgehen soll. Einem Gegenkandidaten soll er hingegen geschrieben haben, dass dieser „in eine Falle“ laufe und nicht mehr als 30 Prozent bekommen werde. Der Gegenkandidat zog auf dem Parteitag Minuten vor der Wahl zurück, Miazga wurde schließlich gewählt.
Auch sie hat bestätigt, dass Rohrböck sie mehrfach in Luxus-Hotels eingeladen hat, bestreitet aber, dass er ihr zu politischer Bedeutung verholfen habe. Auch bei der Vorstandswahl in Baden-Württemberg 2020 soll Rohrböck sich eingemischt haben.
Die mögliche Einflussnahme blieb auch innerhalb der AfD nicht ohne Folgen. Abgeordnete begannen, über die Rolle Rohrböcks zu sprechen. Im März 2020 kursierten in der Bundestagsfraktion zudem Zettel, die wie Wildwest-Steckbriefe mit Foto von Rohrböck aufgemacht waren („Wanted? Tom Rohrböck, Politische Beratung der CDU & AfD sucht weitere MdB und MdL – machen Sie Karriere, aber richtig!“). Ein bayerischer AfD-Abgeordneter soll die Steckbriefe verteilt haben, um auf die mögliche Einflussnahme aufmerksam zu machen.
Bundesvorstand richtet Untersuchungskommission ein
Peter Felser, Teil der bayerischen Landesgruppe in der AfD im Bundestag sowie stellvertretender Vorsitzender der Fraktion, sagt, dass auch er damals diesen Steckbrief wahrgenommen habe. Auch wisse er von den aktuellen Anfechtungen der bayerischen Landesliste. „Wenn ein Außenstehender Einfluss nimmt, geht das natürlich gar nicht“, sagt Felser, es müsse im Fall Rohrböck allerdings erst bewiesen werden, dass tatsächlich Gelder geflossen seien. Felser selbst will nicht mit Rohrböck in Berührung gekommen sein, er halte auch die Zahl von 40 mit Rohrböck vernetzten Abgeordneten für zu hoch gegriffen, sagt er.
Der Bundesvorstand der AfD findet das alles jedenfalls auch nicht mehr normal und gibt zumindest nach außen hin vor, die Berateraffäre aufklären zu wollen. Zu diesem Zweck wurde eine Untersuchungskommission ins Leben gerufen.
Die aus Bundesvorstandsmitgliedern und Mitarbeiter*innen der Bundesgeschäftstelle bestehende Kommission will alle Landtags- und Bundestagsmitglieder der AfD anschreiben, um sie nach Kontakten zu Rohrböck zu befragen. Ebenso sollen künftig Compliance-Regeln gelten, heißt es von Bundesschatzmeister Carsten Hütter auf taz-Anfrage. In den Regeln sollen demnach Verhaltensrichtlinien für Abgeordnete festgelegt werden – etwa, dass Mandatsträger*innen etwaige Zuwendungen offen legen.
Hütter selbst will keinen Kontakt zu Rohrböck gehabt haben, geht aber von bis zu 30 Abgeordneten aus, die mit Rohrböck vernetzt seien. Er sagt: „Es gab sehr viele Mitglieder, die aufgrund der Berichte irritiert waren.“ Er werde sich dafür einsetzen, „möglichst transparent aufzuklären, was dort passiert ist.“ Für ihn gebe es allerdings noch keine Belege für finanzielle Zuwendungen oder Vorteile. Angesprochen auf belegte Aufenthalte im Luxus-Hotel entgegnete Hütter: „Das sind Ausnahmen, die auch von einer gewissen Naivität in einer jungen Partei zeugen.“
Tino Chrupalla, der im Osten verankerte Spitzenkandidat neben Alice Weidel, gibt sich bisher zugeknöpft. Er sagte der taz: „Für Antworten ist es noch zu früh.“ Die Untersuchungskommission sei gerade erst eingerichtet worden und werde allen Fragen nachgehen, die sich im Zusammenhang mit der Affäre stellten.
Übrigens: Rohrböck soll ebenso versucht haben, Verbindungen zu anderen Parteien neben der AfD aufzubauen. Er scheiterte demnach bei der Linken und den Piraten. Guten Kontakt soll Rohrböck hingegen zu einer anderen rechten Partei haben: Er soll Beziehungen zu NPD-Funktionären pflegen, etwa dem Bundesvorsitzenden Frank Franz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?