AfD blockiert Landtag in Thüringen: Ein Tiefpunkt im politischen Umgang

Die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags ist dank der AfD eine Farce. Rufe nach einem Verbotsverfahren werden laut.

Alterspräsident des Thüringer Landtags Jürgen Treutler (AfD)

Alterspräsident des Thüringer Landtags Jürgen Treutler (AfD)

Erfurt taz | Am Anfang seiner Rede als Alterspräsident im Thüringer Landtag sagte Jürgen Treutler (AfD) mit Blick auf die hohe Wahlbeteiligung: „Von einer Krise der Demokratie kann insoweit gar keine Rede sein.“ Dann nahm er einen großen Schluck Wasser und setzte die konstituierende Sitzung fort, die zu einer Zäsur der Politik in Thüringen werden sollte.

Es hatte sich angebahnt, dass diese ersten Sitzungen des Landtags keine Formsache werden würden. Für gewöhnlich konstituiert sich das Parlament mit dem Zusammentreten der neugewählten Abgeordneten, dann stimmen sie darüber ab, wer als Land­tags­prä­si­den­t:in zukünftig die Geschäfte leiten soll. Doch dazu kam es am vergangenen Donnerstag gar nicht. Über vier Stunden und mit sechs Unterbrechungen stritten die Abgeordneten vor allem über Geschäftsordnungsanträge und das Verhalten des Alterspräsidenten Jürgen Treutler.

Der eigentliche Konflikt geriet dabei fast in den Hintergrund. Die AfD beanspruchte für sich das Recht, dass der:­die Land­tags­prä­si­den­t:in aus ihren Reihen kommen müsste, weil sie die größte Fraktion stellt. So stehe es in der Geschäftsordnung. Die anderen Parteien im Parlament interpretierten die Regeln des Landtags anders. Und um die Unklarheiten auszuräumen, wollten sie die Geschäftsordnung vor der Wahl ändern.

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Genau das versuchte Jürgen Treutler offenbar in der ersten Sitzung zu verhindern. Dabei bekam er immer wieder Rückendeckung durch seine Fraktionsmitglieder. Der parlamentarische Geschäftsführer Torben Braga ging immer wieder zu Treutler, um mit ihm am Sitzungstisch in die Papiere zu schauen. Auf der anderen Seite des Plenarsaals steckten die führenden Mitglieder der übrigen Fraktionen ihre Köpfe zusammen. Durch die AfD hat durch ihr Agieren vor allem eins geschafft: Die anderen im Parlament sind zusammengerückt.

„Wir Demokratinnen und Demokraten müssen uns wehren“

Janine Merz, die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, antwortete etwa auf taz-Anfrage: Der Tag habe gezeigt, „dass sich die demokratischen Parteien nicht von einer radikalen Minderheit in Geiselhaft nehmen lassen.“ Ähnlich sagte der CDU-Geschäftsführer Andreas Bühl: „Wir haben alle gut zusammengestanden, um die Verfassung und die demokratischen Prinzipien zu verteidigen.“ Der Tag sei aber nicht unbedingt als Blaupause für die restliche Legislatur zu sehen.

Aber wenn die Geschäftsordnung vorsieht, dass die AfD als stärkste Fraktion di­e:den Land­tags­prä­si­den­t:in stellt, sollte sie das dann nicht auch dürfen? Warum muss man die Regeln so kurzfristig ändern? Es gehe um den Schutz parlamentarischer Verfahren, weil die AfD keine Partei sei wie jede andere, erklärt der Fraktionsvorsitzende der Linken, Christian Schaft. Sie missachte die Verfassung und versuche, demokratische Abläufe zu blockieren. „Die Mütter und Väter der Verfassung und Geschäftsordnung haben sich sicherlich nicht träumen lassen, wie versucht wird, die Demokratie auszuhöhlen“, sagt er.

Die Fraktionsvorsitzende des BSW in Thüringen, Katja Wolf, zeigte sich nach der Sitzung vor allem geschockt: „Der heutige Tag markiert einen neuen Tiefpunkt des politischen Umgangs.“ Der Alterspräsident habe das freie Mandat beschnitten, das sei „bisher in dieser Form undenkbar in einem deutschen Parlament“ gewesen.

Der Erfurter Professor für politische Theorie, André Brodocz, kommentierte im Deutschlandfunk: „Die AfD hat auf eine zutiefst beispiellose Art und Weise die Prinzipien unserer parlamentarischen Demokratie missachtet“.

In der Folge wurden auch wieder Stimmen nach einem AfD-Verbotsverfahren laut. Der Auftritt dort „folgte ein weiteres Mal dem Drehbuch der Verächtlichmachung der Parlamentarischen Demokratie und ihrer Institutionen“, sagte etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz am Freitag der taz.

„Es bedarf dringend eines Verbotsverfahrens beim Bundesverfassungsgericht, wie es das Grundgesetz in Artikel 21 vorsieht“, sagt Wanderwitz. Seit Monaten tritt er öffentlich für ein AfD-Verbotsverfahren ein. Mit Un­ter­stüt­ze­r:in­nen im Bundestag will er einen entsprechenden Antrag einbringen. Dafür bräuchte es 37 Abgeordnete. „Die haben wir zusammen“, hatte Wanderwitz der taz bereits im Juni gesagt. Nun seien sie „auf der Zielgeraden“, erklärte Wanderwitz am Freitag. „Wir Demokratinnen und Demokraten müssen uns wehren.“

Ob Jürgen Treutler die Rechte der Fraktionen, einzelner Abgeordneter und des Parlaments verletzt hat, das entscheidet am Freitag der Thüringer Verfassungsgerichtshof in Weimar. Zum Redaktionsschluss lag die Entscheidung noch nicht vor. Die CDU hatte am Donnerstag einen entsprechenden Antrag eingereicht und damit das erste Zusammentreffen des Landtags nach vier Stunden unterbrochen.

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