AfD-Angriffe auf Fridays for Future: Klimakids gehören nicht zum „Volk“
Die AfD arbeitet sich besonders an Fridays for Future ab – denn die Klimabewegung stellt ihr Volkskonzept infrage.
S eit über einem Jahr streiken die Schüler*innen von Fridays for Future gegen das als mangelhaft empfundene Handeln in der Klimapolitik. Doch am anderen Ende des klimapolitischen Spektrums, bei der AfD, sieht man die Gefahren ganz woanders.
Hier erscheint als die wahre Bedrohung, dass die Politik bereits eine Verschwörungspolitik betreibe. Für den AfD-Bundestagsabgeordneten Karsten Hilse dient Klimapolitik vornehmlich zwei Zielen: „Erstens das Volk noch effektiver auszuplündern und zweitens die Gesellschaft in eine ökosozialistische Diktatur zu transformieren“. Dabei sieht Hilse die Klimastreiks als Teil einer „professionell durchgezogenen Kampagne“, in der Politik und Streikende auf derselben Seite stehen.
Gerade an Fridays for Future (FFF) scheint sich die AfD besonders aufzureiben. Aber wieso? Die AfD erklärt den Aktivismus dieser Bewegung in drei möglichen Formen. Zunächst könne FFF, so MdB Andreas Bleck, nur gegen die eigenen Interessen demonstrieren: „Während viele Kinder freitags gegen die deutsche Automobilindustrie demonstrieren, müssen viele Väter, die bei Mercedes-Benz, BMW oder Volkswagen gearbeitet haben, montags stempeln gehen.“
Weiter geht die AfD dazu über, hinter den Schüler*innen deren Eltern und, eigentlich, den Staat zu vermuten. Der AfD-Hausphilosoph Marc Jongen vermutet bei Greta Thunberg gar ein „extremistisches Elternhaus“. Ihr Vater sei „nicht zufällig ein Drehbuchschreiber und Manager“. Im Zweifelsfall zeigt sich die AfD auch bereit, das Engagement von FFF anhand von Kriterien geistiger Gesundheit anzugreifen. So wird Greta Thunberg im Bundestag als „krankes Kind“ und als „zeichenhaft“ für „eine infantile Politik“ beschrieben.
Timm Kühn wurde in Berlin geboren. Er studiert Politikwissenschaften an der Freien Universität. Er befasst sich insbesondere mit Demokratie, Populismus und Neoliberalismus.
Warum versucht die AfD um jeden Preis, FFF zu verleumden? Die Antwort liegt in der Volkskonzeption des rechtsextremen Populismus begründet – und wir sollten lernen, diese kritisch zu verstehen, wenn uns an der Demokratie etwas liegt.
Reines Volk vs. korrupte Elite
Denn Rechtspopulisten sehen einen tiefen Antagonismus, der die Bevölkerung in ein moralisch reines, homogenes Volk und in eine parasitäre und korrupte Elite spaltet. Außerdem bestehe eine unheilige Allianz zwischen Eliten und gesellschaftlichen Minderheiten. Das wahre Volk befinde sich im Zangengriff zwischen Elite und Minderheiten, drangsaliert und ausgebeutet von allen Seiten.
Doch wer ist dieses wahre Volk? Jedenfalls kann es nicht identisch mit der Menge der im Staat lebenden Menschen sein, denn die das Volk ausbeutenden Eliten und Minderheiten können unmöglich zum Volk dazugehören. Mit dem französischen Philosophen Claude Lefort gilt also, dass das wahre Volk erst geschaffen werden muss, indem es aus der breiten Bevölkerung extrahiert wird.
Außerdem baut der Rechtspopulismus auf der Vorstellung von einem einheitlichen Volk und einem kollektiven Volkswillen auf. Doch genau diese Einheitlichkeit ist es, die in der pluralistischen Gesellschaft nirgendwo auszumachen ist. Denn schließlich ist es der Kern der Demokratie, dass die unterschiedlichen Überzeugungen verschiedener Gruppen als legitim anerkannt werden.
Irgendwie müssen die Rechtspopulisten nun aber erklären, wohin die eigentliche Einheitlichkeit des Volkes verschwunden ist. Dies bezeichnet der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller als die Suche nach der „Erklärung des Unerklärlichen“: Wenn die Rechtspopulisten die Stimme des wahren Volkes sind, warum steht das Volk dann nicht geeint hinter der rechtspopulistischen Partei?
Die Antwort kann für die Rechtspopulisten wieder nur bei den Eliten liegen. So zeigt sich für die AfD gerade am Beispiel der Klimapolitik, wie Wissenschaften, NGOs, Medien und die „ganz große Koalition von der Linkspartei bis zur CSU“ (Markus Frohnmaier, MdB) einen in den Worten von Karsten Hilse „ökoindustriellen Komplex“ bilden, der permanent versucht, den wahren Volkswillen zu korrumpieren und zu partikularisieren.
Diese Vorstellung hat Folgen: So muss jeder Bürger, der sich gegen die rechtspopulistische Partei äußert, als Kollaborateur der Eliten und Verräter des Volkswillens angesehen werden. Denn es gibt kein wahres und ethnisch reines Volk, weshalb die Volkszugehörigkeit in der Praxis blitzschnell zur politischen Kategorie wird. Wer sich gegen die Rechtspopulisten auflehnt, fliegt aus dem Volk raus.
Dies erklärt, warum die AfD so krampfhaft versucht, FFF zu diskreditieren: Denn hier handelt es sich um eine Gruppe von Akteuren, die als mehrheitlich deutsch gelten muss und auch noch aus Kindern besteht, was eine Zuordnung zu den globalen Eliten äußerst unglaubwürdig macht. Nach jeder herkömmlichen Definition sollte FFF also zum Volk gehören, doch da die Schüleraktivist*innen der AfD widersprechen, können sie keinen Teil des rechtspopulistischen Volks darstellen, das sich vornehmlich entlang politischer Überzeugung rekrutiert.
Hier ist das entscheidende antidemokratische Moment zu finden: Für die AfD kann es keine legitimen politischen Kontrahenten geben, weil jeder Ausdruck von Pluralismus als Teil einer elitären Verschwörung angesehen wird, aus der nur die AfD selbst einen Ausweg darstellen kann: als einzige Akteurin, die die Verschwörung überhaupt erkennt.
Was bedeutet das alles? Erstens, dass wir den rechtsextremen Populismus endlich ernst nehmen müssen. Weder moralische Totschlagargumente noch No-Platforming werden die AfD verschwinden lassen. Wir müssen lernen, ihre innere Logik zu verstehen, um diesen gedanklichen Teufelskreis aufzulösen. Darüber hinaus kann es aber auch kein Zurück zu einem populismusfreien Status quo geben. Es gilt, den Rechtspopulismus als Symptom einer tiefer liegenden Problematik zu begreifen – als Teil eines weltweiten „Backlashs“ gegen die neoliberale Globalisierung und den Kapitalismus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen