Ärztin Kristina Hänel bei „Anne Will“: Wieviel Information darf's sein?
Bei Anne Will diskutieren vier Frauen und ein Mann über den Paragrafen 219a – und natürlich geht es schnell um mehr als um vermeintliche „Werbung“.
Eines hat Anne Will in dieser Woche schon mal richtig gemacht: Von den fünf Gästen, die am Sonntagabend in der ARD-Talkshow über Schwangerschaftsabbrüche und die Information darüber diskutieren, ist die Mehrzahl weiblich. Nur ein Mann redet mit: Für ihn sei das keine leichte Situation, gibt der Bundestagsabgeordnete und 26-jährige Shootingstar der CDU, Philipp Amthor, gleich zu Anfang zu bedenken. Mitleid erregt das in den kommenden 60 Minuten im Studio kaum – und das liegt nicht unbedingt daran, dass in anderen Sendungen oft genug das Testosteron überwiegt.
Es geht um Paragraf 219a Strafgesetzbuch, der „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche verbietet – und auch bestraft, wenn Ärzt*innen öffentlich darüber informieren, dass sie diese durchführen. Wegen dieses Gesetzes wurde die Ärztin Kristina Hänel, ebenfalls zu Gast bei Anne Will, 2017 verurteilt. Nun will die Bundesregierung eine Ausnahme einführen: Ärzt*innen sollen künftig auf ihren Webseiten schreiben dürfen, dass sie Abbrüche vornehmen. Für alle weiteren Informationen – die Methoden oder die Risiken zum Beispiel – müssen sie auf staatliche Seiten verlinken.
Ein Kompromiss, der „nur der Koalition hilft“, erklärt Teresa Bücker, Chefredakteurin des Onlinemagazins Edition F. Denn während die SPD den Paragrafen gerne ganz abgeschafft hätte, wollte die Union ihn am liebsten gar nicht anfassen. „Warum tragen Sie das mit?“, fragt die Moderatorin Giffey, und später: „Warum so umständlich?“ „Wir sind nun mal in einer Koalition“, sagt die Ministerin ein ums andere mal. Giffey bemüht sich redlich, den Kompromiss zu verteidigen. Es sei ja jetzt ganz klar geregelt, dass Ärzt*innen auf die Informationen verweisen dürften. „Mit einem Klick“ komme man da von der Seite der Ärztin oder des Arztes hin. Und beim Hilfetelefon könne man auch anrufen, rund um die Uhr, sieben Tage die Woche.
„Ich dürfte dann aber nicht bei Anne Will sitzen oder einen Artikel in einer Fachzeitschrift schreiben“, argumentiert die Ärztin Kristina Hänel. Wenn sie mehr sage oder schreibe als die bloße Auskunft, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführe, gehe es wieder los mit der Rechtsunsicherheit. Ihr gehe es zuallererst darum, dass den Frauen geholfen werde und sie ihrer ärztlichen Pflicht nachkommen könne, ihre Patientinnen zu informieren.
Jens Spahn und die „seelischen Folgen“ von Abbrüchen
Der Staat müsse sicherstellen, dass es ein ausreichendes Angebot an ärztlichen Einrichtungen zum Schwangerschaftsabbruch gebe, erklärt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), ehemalige Justizministerin. In der aktuellen gesellschaftlichen Stimmungslage, mit Einschüchterung vor Arztpraxen und Kliniken und Stigmatisierung, sei das nicht gewährleistet. Um 40 Prozent, heißt es in einem Einspieler, sei die Zahl von Ärzt*innen, die Abtreibungen durchführen, seit 2003 gesunken – auf rund 1.200 deutschlandweit. Diese Versorgungslücken müsse man schließen, sagt Giffey – und will damit schnell wieder ablenken von einem Thema, das ihr sichtlich unangenehm ist: Eine Studie zu den „seelischen Folgen“ von Schwangerschaftsabbrüchen, die das CDU-geführte Bundesgesundheitsministerium durchführen lassen will.
Aus fachpolitischer Sicht halte sie von solchen Studien nichts, sagt Giffey. Es gebe Studien, die zeigten, dass man einen „solchen Kausalzusammenhang nicht ziehen kann“. Die Frauen zitieren verschiedene bereits existierende Studien; 95 Prozent der Frauen sind drei Jahre nach dem Abbruch zufrieden mit ihrer Entscheidung. Psychische Probleme entstehen oft vor allem aus der gesellschaftlichen Stigmatisierung. Die Antwort Amthors auf die Frage, was er von einer Studie wie der geplanten halte: „Ich kenne ja die Ergebnisse noch gar nicht.“
Plastik-Föten fürs Volk
Niemand wolle Frauen diskriminieren, sagt der CDUler, „sondern wir wollen auch für das ungeborene Leben einstehen“. Der „bekennende Abtreibungsgegner“, wie Will ihn vorstellt, engagiert sich im Verein „Durchblick“, der unter anderem Plastik-Föten verteilt, um Stimmung gegen Schwangerschaftsabbrüche zu machen. Amthor selbst war Teil einer Kampagne zum Erhalt des Paragrafen 219a. Motto: „Fürs Leben, nicht fürs Töten werben“. Er sei natürlich für das Selbstbestimmungsrecht der Frau – im Rahmen der gesetzlichen Regelung. In Deutschland sind Abtreibungen rechtswidrig, unter bestimmten Bedingungen aber straffrei. Es zieht sich durch den Abend, was sich seit Monaten durch die gesamte Debatte zum Paragrafen 219a zieht: Es geht sofort ums große Ganze, nicht nur um den Unterschied zwischen Information und Werbung, sondern, Zitat Amthor, „die Frage, wann das menschliche Leben beginnt“.
Unions-Abgeordnete, erklärt Teresa Bücker, warnten überspitzt vor großen Werbeplakaten. Das wie auf der Kompromissvorschlag der Regierung zeuge von Misstrauen gegenüber Ärzt*innen ebenso wie gegenüber Frauen. „Herr Amthor, wenn Sie schwanger wären, würde ich Ihnen zutrauen, diese Entscheidung ganz alleine zu treffen“, sagt Bücker. Der wiederum warnt davor, den „eigentlich ziemlich guten Konsens“ zum Schwangerschaftsabbruch – rechtswidrig, aber straffrei – wieder aufzuschnüren. Was das mit der Information auf der Webseite einer Ärztin zu tun hat, erklärt er nicht.
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