piwik no script img

Ärger um Freien-Wähler-ChefHubert, wir haben ein Problem

Während CSU-Chef Markus Söder noch auf eine Regierungsbeteiligung im Bund hofft, rumort es in Bayerns Regierung gewaltig. Auslöser: sein Vize.

Hubert Aiwanger beim Politischen Frühschoppen in Abensberg, Bayern Foto: Matthias Balk/dpa

München taz | Hubert Aiwanger ist ein eifriger Twitter-Nutzer. Auch an normalen Arbeitstagen versäumt es der bayerische Vize-Ministerpräsident kaum, seine Follower mehrfach täglich über die Highlights aus seinem politischen Leben auf dem Laufenden zu halten. Besonders rund ging es am vergangenen Wochenende. Einen Tweet nach dem anderen hat Aiwanger da rausgehauen.

Mal waren es abfotografierte Wahlplakate mit seinem Konterfei, mal ein Foto von sich selbst mit Wahlhelfern im Wahllokal, mal der Tweet eines Kollegen und Bundestagskandidaten, der seinen eigenen Wahlzettel abfotografiert hatte. Manche dieser Tweets retweetete der bayerische Wirtschaftsminister dann auch wieder selbst. 30 Tweets und Retweets finden sich allein am Wahltag in der Timeline des Freie-Wähler-Chefs.

Einer ist jedoch nicht mehr darunter: derjenige, in dem Aiwanger noch am Nachmittag die Ergebnisse einer Nachwahlbefragung der Forschungsgruppe Wahlen rausposaunt und dazu aufgerufen hat, die letzten Stimmen jetzt doch bitte den Freien Wählern zu geben. Der Tweet war zwar nur kurz online, beschäftigt aber nicht nur den Bundeswahlleiter, sondern erhitzt auch die Gemüter in Bayerns Regierungskoalition.

Der Mann habe jetzt wirkliche Probleme, hieß es schon am Wahlabend in der CSU-Zentrale, seither wurden die Stimmen lauter. Und damit dürfte nicht nur der Umstand gemeint sein, dass der Bundeswahlleiter nun prüft, ob Aiwanger gegen das Bundeswahlgesetz verstoßen habe, was ihm eine Geldbuße von bis zu 50.000 Euro einbringen könnte.

Söder bestellt Aiwanger zum Rapport

CSU Generalsekretär Markus Blume nannte Aiwangers Verhalten „unerhört“, seine Kabinettskollegin Michaela Kaniber fand es „maximal unseriös“. Man müsse sich überlegen, so die christsoziale Landwirtschaftsministerin, „ob die Koalition noch bürgerlich getragen ist, wenn sich der Koalitionspartner der Stimmen der Querdenker und Rechtsextremen bedient“. Und Landtagspräsidentin Ilse Aigner forderte: „Hubert Aiwanger hat großen Schaden angerichtet und sollte sich öffentlich entschuldigen. Sein Schweigen dazu ist nicht hinnehmbar.“

Eine Entschuldigung fehlt bislang vom Chef der Freien Wähler. Den Tweet bezeichnete er am Montag lediglich als „Missgeschick“. Später fügte er noch an: „Es ist nicht unter meiner Würde, mich zu entschuldigen.“ Man müsse aber erst den Gesamtzusammenhang prüfen. Was immer das bedeuten mag. Und am Dienstag erklärte er das Verhältnis zwischen den Koalitionspartnern für weitgehend stabil. „Ich glaube, dass es schon mehr rumort hat.“ Aber auch bei den Freien Wählern macht sich dem Vernehmen nach Unmut breit – und der Wunsch, die Sache möglichst schnell und möglichst bald aus der Welt zu schaffen.

Das möchte auch Markus Söder – weshalb er Aiwanger nun zu „intensiven Gesprächen“ einbestellen will. Mit der Erklärung seines Stellvertreters, es sei ein Missgeschick gewesen, will sich der Ministerpräsident jedenfalls nicht mehr abfinden: „Apartheid, Impfen, Klagen – es häufen sich die sogenannten Missgeschicke.“

Söder ist ohnehin sauer wegen des guten Abschneidens der Freien Wähler bei den Bundestagswahlen, auch wenn die Partei bundesweit mit 2,4 Prozent deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde geblieben ist. Verschenkte Stimmen, findet der CSU-Chef, die eigentlich der Union gebührt und dieser letztlich die Wahlniederlage beschert hätten.

Der König und sein Hofnarr

Wenn Söder über Aiwanger und sein Verhältnis zu ihm sprach, dann klang das lange so, als halte sich da ein König seinen Hofnarren. Einen, der ihm auch mal Widerworte geben darf, was in der CSU ja eher nicht als opportun gilt. Aber eben auch einen, den niemand so ganz ernst nimmt. Da machte man sich dann halt mal lustig über den stark ausgeprägten Dialekt und die manchmal etwas tollpatschige Art des Niederbayern. Drollig fand man das noch, und Söder spielte damit, machte gern mal Scherze auf Aiwangers Kosten.

Doch durch Corona und Wahlkampf wurde das Verhältnis angespannter: Aiwanger begab sich auf einen zunehmend populistischeren Kurs und entfernte sich immer weiter von Söders „Team Vorsicht“. So wollte er selbst sich nicht impfen lassen oder in Karlsruhe gegen die Bundesnotbremse klagen. Der Tweet vom Sonntag war nun der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringen könnte.

Könnte. Denn sowohl Söder als auch die Freien Wähler können nicht wirklich ohne Aiwanger. Sollte Söder seinen Stellvertreter entlassen, dürfte ein Bruch der Koalition unvermeidbar sein. Ob die Grünen oder die SPD dann bereit wären, als Ersatz für die Freien Wähler, einen ansonsten ja recht handzahmen Partner, herzuhalten, ist mehr als fraglich. Und die Freien Wähler selbst, dürften wohl auch kaum den Aufstand gegen ihren unbequemen Chef proben. Die lange Zeit nur im Kommunalen verankerte Partei weiß, dass sie ihren Erfolg auf Landesebene nahezu ausschließlich Aiwanger zu verdanken hat. Die Freien Wähler sind hier noch mehr eine One-Man-Show als die CSU.

Seit dem Wahlabend fand sich in Aiwangers Timeline – Stand: Dienstagnachmittag – übrigens nur noch ein einziges Lebenszeichen. Es war ein Tweet seiner Partei, den er am Montag retweetet hatte: „Vielen Dank für Ihr Vertrauen!“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Auch wenn es nicht OK war von Aiwanger.



    Wie wäre es mit einer Entschuldigung von der CSU für inkompetente CSU-Politiker in Berlin? Was zB. Scheuer abliefert, ist schon peinlich. Maut-Debakel, marode Brücken, Straßen, bei Zugang zu schnellem Internet vorletzter in der EU! Dazu das Abkassieren bei Maskengeschäften von Nüßlein und Sauter.



    Den Stimmenverlust den Freien Wähler anzulasten ist schon ein starkes Stück vom Märchenkönig Söder. Es war eine Wähler-Watschen für Inkompetenz der CSU seit Jahren, sowie der Arroganz von Söder! Über 30% für die CSU in Bayern waren noch 20% zuviel.

    • @GB_3k:

      Ganz meine Meinung. Die Wahlschlappe der CDU/CSU hatte weniger mit Aiwanger zu tun, als mit der katastrophalen Politik der letzten Jahre. Herr Söder war nur zu arrogant um zu merken oder sich einzugestehen, dass es so ist. Abgesehen davon konnte er sich ausmalen, dass bei knapp 40% Ungeimpften, die er am liebsten völlig aus dem sozialen Leben ausgeschlossen hätte, dann doch der ein oder andere eine Partei wählt, die die Grundrechte nicht ganz so mit Füßen tritt wie die CDU/CSU. Und ganz ehrlich, Laschet war ja auch nicht gerade der Publikumsmagnet....

  • Verstehe jetzt nicht was denn der Aufreger sein soll. Der Her hat laut Artikel



    "...Ergebnisse einer Nachwahlbefragung der Forschungsgruppe Wahlen rausposaunt und dazu aufgerufen hat, die letzten Stimmen jetzt doch bitte den Freien Wählern zu geben."



    Die freien Wähler sind überall angetreten, selbst in meiner Gegend hingen Plakate mit dem Aiwanger Konterfei (aber zu wählen gab es den nicht) .

    • @Waldo:

      Die Ergebnisse dürfen nicht publik gemacht werden, um Beeinflussung von Wähler*innen zu verhindern.

      Denn wenn zB die Linke bundesweit um 14 Uhr mobil gemacht hätte "Wir brauchen euch für 5%!" (Und genau sowas wollte Aiwanger ja machen.) wäre das eine klare Beeinflussung, weil die Leute um 10 Uhr diesen Stand ja nicht hatten.

      Wahlgeheimnis und -gleichheit halt.

    • @Waldo:

      Das, was Aiwanger getan hat, ist in Deutschland schlicht und einfach verboten. Er sollte ein schmerzhaftes Bußgeld bekommen.

      • @benwolf:

        Korrekt!

        Genauso aber auch seine Quelle, denn die Frage ist, wie kommt Hr. Aiwanger denn überhaupt an so sensible Informationen?

        • @Co-Bold:

          Diese Daten liegen allen Parteien vor. Sie entstehen durch Umfragen direkt an den Wahlzentren ("was haben sie gerade gewählt?"), durch welches Institut müsste ich erst nachschlagen ;) Die Umfragen sind ausschießlich für die Parteien intern gedacht und recht ungenau - aber dennoch zumindest ein erster Richtwert, worauf sich die Parteien einstellen werden müssen.