Actionfilm „The First Purge“: Nur eine Gewaltorgie
„The First Purge“ spiegelt aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und afroamerikanische Geschichte. Der Film verklärt dabei jedoch Gangstertypen.
Was würden Sie tun, wenn für zwölf Stunden der Rechtsstaat eine Pause einlegt, wenn für zwölf Stunden all das erlaubt ist, was ansonsten verboten ist, wenn für eine Nacht Raub, Vergewaltigung, Mord legal wären? Das ist die Prämisse der erstaunlich erfolgreichen Filmreihe „The Purge“, die von Autor und Regisseur James DeMonaco 2013 ins Leben gerufen wurde und nun in die vierte Runde geht.
Im Kern sind die „Purge“-Filme zwar vor allem rohe, billig produzierte Genrestücke, die als Thriller oder Actionfilme funktionieren, was sie aber wirklich interessant macht, sind die ideologischen, die gesellschaftskritischen Ansätze, die zunehmend Eingang in die Reihe finden.
War der erste „The Purge“ noch auf das Haus einer Familie reduziert, die sich in der Nacht der Säuberung vor mörderischen Eindringlingen zur Wehr setzte und dabei mit ihren eigenen moralischen Vorstellungen konfrontiert wurde, erweiterte sich der Blick in der Fortsetzung „The Purge: Anarchy“ auf die Straßen der US-amerikanischen Metropole Los Angeles. Schon dieser Schauplatz, geprägt von extremen Gegensätzen, dem Luxus im Umkreis der Filmindustrie Hollywoods und den meist von Schwarzen und Latinos bewohnten ärmeren Vierteln, deutete an, in welche Richtung es nun ging.
Der angebliche Konflikt der 99 Prozent gegen die kleine, reiche Elite, der damals, 2014, zunehmend die Diskussionen um die Krise des Kapitalismus bestimmte, spiegelte sich in den Subtexten des Films: Die Reichen kauften sich Arme, auf die sie Jagd machten, während die Armen sich in anarchistischen Gruppen zusammenfanden, um gegen die Ungerechtigkeiten des Systems zu kämpfen. „The Purge: Election Year“ kam im Juli 2016 in die Kinos, ein paar Monate vor der Wahl Donald Trumps, die damals noch wie eine aberwitzige Möglichkeit erschien, die sich kein Hollywoodautor ausdenken könnte.
„The First Purge“. Regie: Gerard McMurray. Y‘lan Noel, Lex Scott Davis u.a. USA 2018, 97 Min.
Im Film gewann dann auch eine weibliche Kandidatin die Wahl, die mit dem erklärten Ziel antrat, die Nächte der Säuberung zu beenden. Vielleicht auch dadurch, dass der Verlauf der Geschichte ein anderer war, ist der neue „Purge“-Film nun keine Fortsetzung, sondern ein Prequel: „The First Purge“ erzählt von den Anfängen der Idee, mittels einer Nacht der Gewalt Druck aus dem Kessel zu lassen, den wütenden, unzufriedenen Menschen eine Nacht lang Gelegenheit zu geben, ihre Wut und Aggression auszuleben, um sich danach wieder ein Jahr den Strukturen des Systems zu unterwerfen.
Initiiert wird diese Idee von der Regierungspartei in diesem Paralleluniversum, den sogenannten New Founding Fathers of America, die sich eine Erneuerung der uramerikanischen Werte auf die Fahne geschrieben haben. Eines ihrer politischen Ziele ist das Senken der Verbrechensrate auf unter ein Prozent, was leichter gesagt als getan ist.
Um die Gewalt zu kanalisieren, wird ein soziologisches Experiment gewagt: Auf Staten Island, einem der fünf Stadtviertel New Yorks, wird die erste Purge-Nacht durchgeführt, bei der herausgefunden werden soll, wie sich die Menschen verhalten, wenn die Gesetze aufgehoben sind.
Schon diese Ausgangslage hört sich reichlich schwammig an, und dieser Eindruck setzt sich fort. Hauptfigur, Held, wenn man so will, ist Dmitri (Y’lan Noel), ein Gang-Boss, dessen Revier ein besonders berüchtigter Bezirk Staten Islands ist, ein sogenanntes Project, in dem ausschließlich Schwarze und Latinos leben.
Oft kolportierte Verschwörungstheorie
Während Dmitri einen der klassischen, klischeehaften Lebenswege für einen Mann aus den Projects gewählt hat und sich der Gewalt und dem Dealen verschrieben hat, ist seine ehemalige Freundin Nya (Lex Scott Davis) den anderen Weg gegangen und engagiert sich in der Kirche. Zwischen ihnen steht Nyas Bruder Isaiah (Joivan Wade), der aus Verzweiflung über die miserablen Lebensbedingungen die Gelegenheit der Purge-Nacht beim Schopf ergreifen will. Denn die Organisatoren wollen nicht einfach darauf vertrauen, dass die Bewohner Staten Islands sich der Gewalt hingeben, sie zahlen jedem Bürger, der auf der Insel bleibt, 5.000 Dollar – und wer sich aktiv an den Säuberungen beteiligt, bekommt zusätzlich einen Bonus.
Zunehmend entwickelt sich die Handlung des Drehbuchautors James DeMonaco, der die Regie diesmal Gerard McMurray überlassen hat, nun in eine Reflexion jüngerer afroamerikanischer Geschichte beziehungsweise genauer: in die Variation einer oft kolportierten Verschwörungstheorie.
Seit den 80er Jahren, seit vor allem in den schwarzen Großstadtvierteln die Crack-Epidemie begann, die Familien zerstörte und der Anlass für Reagans War on Drugs war, der in den folgenden Jahrzehnten zu einem unfassbaren Anstieg der Gefängnisinsassen führte, und zwar gerade der schwarzen, hält sich der Mythos, dass das FBI aktiv an der Verbreitung von Crack beteiligt war, mit dem Ziel, die schwarze Bevölkerung Amerikas kleinzuhalten. Einmal mehr soll es also the man sein, sollen es die Weißen sein, die an den Schalthebeln der Macht sitzen und für das Leid der Schwarzen und anderer Minderheiten verantwortlich sind.
Zwar ist fraglos nicht von der Hand zu weisen, dass die USA von einem institutionellen Rassismus durchzogen sind, der nur langsam thematisiert wird und an dem sich auch unter dem ersten schwarzen Präsidenten Barack Obama nur wenig änderte, doch die Ursachen der Probleme sind vielfältiger als eine breit angelegte, konzertierte Verschwörung der weißen Mehrheit gegen die Minderheiten.
Robin-Hood-Figur
In genau diese Richtung zielt aber „The First Purge“, der – wenn man es so nennen will – den Farbwechsel der „Purge“-Filme konsequent fortsetzt: Waren es im ersten „Purge“ noch Weiße, die bedroht wurden, änderte sich das Blatt zunehmend und führt nun dazu, dass sämtliche Sympathieträger schwarz sind, die Antagonisten dagegen ausschließlich Weiße: Als Söldner und in Ku-Klux-Klan-Roben fallen diese über Staten Island her und nutzen die Purge-Nacht, um ihren Rassismus auszuleben.
Dass gegen diese Gewalt nur martialische Gegenwehr helfen kann, scheint auf der Hand zu liegen, was allerdings dazu führt, dass der Film seine einst noch ambivalente Haltung gegenüber Gewalt nun endgültig aufgibt: Wenn da der Gangster Dmitri sein Waffenarsenal plündert und mit schweren Maschinengewehren gegen eine Armee der Rassisten vorgeht, wird aus ihm eine Art Robin-Hood-Figur.
Die Verklärung von Gangstertypen ist selbstverständlich kein originäres Element schwarzer Kultur, wirkt aber gerade im Fall eines Films wie „The First Purge“, der vorgibt, unter dem Mantel einer Genreerzählung aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen zu spiegeln, besonders problematisch.
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