Absturz in Schleswig-Holstein: SPD weggepustet

Die SPD erlebt eine herbe Niederlage in Schleswig-Holstein. Ihr Kandidat Losse-Müller verwechselte Regierungserfahrung mit Verankerung im Land.

Anhänger der SPD reagieren auf der SPD-Wahlparty

Maue Stimmung: Enttäuschung bei den SPD-Anhängern in Kiel nach der ersten Prognose Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

KIEL/BERLIN taz | Ralf Stegners Mundwinkel hängen am Sonntagabend noch ein bisschen tiefer als sonst. „Das ist ein Debakel für die SPD Schleswig-Holstein“, erklärt der frühere SPD-Landeschef. „Das erste Mal seit 40 Jahren unter dem Bundestrend.“ Mit nur noch rund 16 Prozent hat sich der Absturz seit der vorherigen Wahl dramatisch beschleunigt, als die SPD mit 27 Prozent wenigstens noch in Schlagdistanz zur CDU lag. Nun liegen sie laut Hochrechnungen sogar deutlich hinter den Grünen, mit denen sie eigentlich regieren wollten.

Dass der SPD für weitere fünf Jahre nur die Oppositionsbank bleibt, hat auch mit dem Mann zu tun, der angetreten war, um CDU-Mann Daniel Günther als Ministerpräsident abzulösen: Thomas Losse-Müller, langjähriger Grüner und erst vor anderthalb Jahren zur SPD übergelaufen. Dabei schien alles auf eine andere Kandidatin zuzulaufen: Serpil Midyatlı hatte sich über Jahre zur Spitzengenossin aufgebaut.

Die Unternehmerin hatte ein sozialdemokratisches Aufstiegsmärchen geschrieben. 2019 wurde sie Landeschefin, vor einem Jahr beerbte sie ihren Mentor Stegner als Fraktionsvorsitzende. Doch dann verzichtete sie überraschend auf die Spitzenkandidatur und hob stattdessen Losse-Müller auf den Schild.

Losse-Müller: mit Themen nicht durchgedrungen

Der gibt sich am Abend zerknirscht, räumt ein, dass die SPD mit ihren Themen nicht durchdrang und Ministerpräsident Günther seine öffentliche Sympathie voll ausgespielt habe. Dies sei von Anfang an eine „große Herausforderung“ gewesen, so Losse-Müller.

In Berlin räumt auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert im halbleeren Willy-Brandt-Haus ein, dass seine Partei „unter die Räder geraten sei“. Eilig schob er dies aber auf eine „strategische Sackgasse“ auf Landesebene, bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen kommende sehe die Sache weitaus besser aus.

Auch SPD-Chefin Saskia Esken versucht, Zuversicht zu verbreiten. Ja, das Ergebnis sei bitter und eine herbe Enttäuschung. Aber die SPD ließe sich 2022 durch solche Rückschläge nicht mehr verunsichern. „Deshalb ist die Botschaft: Mund abputzen, weitermachen.“ Bei der Wahl in NRW sehe es anders aus: Sie sei sicher, dass dort SPD-Kandidat Thomas Kutschaty der nächste Ministerpräsident werde. Die Chancen stehen tatsächlich nicht so schlecht.

Eine erklärungsbedürftige Nominierung

Auch in Schleswig-Holstein sollte anfangs ein Coup gelingen, der allerdings bei näherem Hinsehen erklärungsbedürftig war: Ohne Amt und Mandat sollte der 1973 geborene Losse-Müller, weißer Akademiker aus Eckernförde mit wohltemperiertem Auftreten, den extrem beliebten Ministerpräsidenten mit exakt denselben Attributen herausfordern, mit dessen Amtsführung sogar 70 Prozent der SPD-Wäh­le­r:in­nen zufrieden waren? Statt der quirligen Kieler Arbeitertochter mit türkischen Wurzeln, die sich Tag für Tag im Landeshaus in der Abteilung Attacke profilieren konnte?

Es sei die „Kombination aus Inhalt und Person“, die Losse-Müller zum idealen Kandidaten gemacht habe, behauptete Midyatlı im taz Salon. Der Kandidat selbst tönte im taz-Interview: „Klimawandel, Demografie, Digitalisierung – das sind Themen, für die ich im Land bekannt bin.“ In Bezug auf den Politikbetrieb mag der frühere Staatskanzleichef damit richtig liegen. Doch im Land hat sich das nicht herumgesprochen. Auch kurz vor der Wahl rang er noch darum, auf der Straße erkannt zu werden. Zuletzt wünschten ihn sich gerade mal elf Prozent der Befragten als Ministerpräsident.

Der Klimawandel ist zwar auch nach Umfragen das Topthema im Land – aber vor Ort wird der Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen häufig abgelehnt. Und das von Losse-Müller ebenfalls ausgerufene Großthema „sozialer Zusammenhalt“ mit dem SPD-Wahlkampfschlager kostenfreie Kita hätte die langjährige Sozialpolitikerin Midyatlı glaubwürdiger ausbuchstabieren können.

SPD verteidigt ihren Spitzenkandidaten

Fast trotzig bekräftigte Midyatlı am Sonntag dennoch, Losse-Müller sei „der absolut richtige Kandidat“ gewesen. „Es ist schwierig, mit landespolitischen Themen einen Wandel anzustoßen, wenn Corona und Krieg alles überlagern“, glaubt auch Stegner. Dass die Nord-SPD hinterm Bundestrend zurückblieb, habe nicht an Losse-Müller gelegen: „Wir hatten bestimmt nicht den falschen Kandidaten. Er hatte zu wenig Zeit, sich bekannt zu machen.“ Losse-Müller solle nun die Gelegenheit erhalten, dem Ministerpräsidenten im Landtag Paroli zu bieten. „Er kann das.“

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