Abstimmung über Pestizid-Zulassung: EU-Staaten stoppen Glyphosat nicht
Eine EU-Abstimmung fand keine ausreichende Mehrheit gegen eine Zulassung des Pestizids. Berlin enthält sich – entgegen dem Koalitionsvertrag.

Österreich und Luxemburg stimmten gegen den Vorschlag der EU-Kommission. Frankreich hatte sich für Änderungen ausgesprochen. Nach Ansicht der Regierung in Paris müsse Glyphosat verboten werden, sobald es Alternativen gebe, sagte Landwirtschaftsminister Marc Fesneau. Die EU-Kommission hatte jedoch nur vergleichsweise milde Bedingungen für die erneute Nutzung formuliert.
Glyphosat, das unter anderem vom deutschen Chemiekonzern Bayer vertrieben wird, ist der weltweit meistverkaufte Herbizidwirkstoff. Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation bewertete ihn 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ – mit Glyphosat gefütterte Säugetiere hatten Tumore entwickelt. In den USA verurteilten daraufhin mehrere Gerichte Bayer zu hohen Schadenersatzzahlungen an KlägerInnen, die ihre Krebserkrankung auf den Unkrautvernichter zurückführen. Der Konzern beruft sich dagegen auf verschiedene Zulassungsbehörden, die Glyphosat als sicher einstufen. Das Gift tötet so gut wie alle nicht gentechnisch veränderten Pflanzen und damit auch Nahrung für Vögel und Insekten. Deshalb gilt es Umweltschützern als Gefahr für die Artenvielfalt.
Nun soll ein Berufungsausschuss der EU-Länder im November über den Vorschlag der Europäischen Kommission entscheiden. Dann braucht es wieder eine qualifizierte Mehrheit von 55 Prozent der EU-Mitgliedstaaten, auf die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung entfallen, um die Zulassung zu genehmigen – oder um sie endgültig abzulehnen. Wenn sich die EU-Staaten nicht einig werden, behält die Kommission das letzte Wort. Sie muss dann bis zum 14. Dezember entscheiden. Am 15. Dezember läuft die aktuell gültige Genehmigung für Glyphosat aus.
Bayer hofft weiter auf genügend Unterstützung
Bayer erklärte, der Konzern bleibe zuversichtlich, „dass im nächsten Schritt des Genehmigungsprozesses genügend weitere Mitgliedsstaaten die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Erneuerung der Genehmigung von Glyphosat unterstützen werden“. Das Unternehmen sei weiter von der Sicherheit des Mittels überzeugt. Die Grünen im Europäischen Parlament werteten die Abstimmung dagegen als Etappensieg auf dem Weg zu einem Verbot.
Ihr agrarpolitischer Sprecher, Martin Häusling, räumte jedoch im Gespräch mit der taz ein, dass es im Berufungsausschuss wohl ebenfalls keine qualifizierte Mehrheit gegen die Zulassung geben werde. Die EU-Kommission werde dann die Erlaubnis allein in Kraft setzen.
Über die deutsche Enthaltung sagte er: „Ich bedauere das“. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) habe sich klar gegen den Vorschlag der EU-Kommission ausgesprochen, aber der Koalitionspartner FDP habe quergeschossen. Wenn sich die Regierung nicht einig ist, muss sie sich nach ihrer Geschäftsordnung enthalten.
Grünen-Abgeordneter: „FDP geht mir gewaltig auf den Senkel“
„Wir haben es klar in den Koalitionsvertrag geschrieben“, ergänzte Häusling, der selbst an den damaligen Verhandlungen zwischen den Ampelparteien beteiligt war. „Da gibt es eigentlich keine Diskussion.“ Im Vertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es: „Wir nehmen Glyphosat bis 2023 vom Markt.“ Nun sagt der Abgeordnete: „Die FDP geht mir langsam gewaltig auf den Senkel. Es reicht mir langsam.“
Olaf Bandt, Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), kritisierte nicht nur die FDP, sondern auch die Sozialdemokraten: „Wir sind über das Schweigen der SPD zu diesem wichtigen Verbraucherschutz- und Umweltthema enttäuscht.“ Die Umweltorganisation WWF teilte über das deutsche Abstimmungsverhalten mit: „Das ist eine Enthaltung gegen den Koalitionsvertrag, gegen die Menschen und gegen die Natur.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links