Abschied von Angela Merkel: Widerspruchsgeist erlernen
Die damals 37-jährige Angela Merkel gab 1991 dem Journalisten Günter Gaus ein Interview. Sie trat damals schon anders auf als alle anderen Politiker.
Z umindest eine Kanzlerfrage ist derzeit sicher: Bundeskanzlerin Merkel ist Geschichte. Es war eine lange Geschichte. Deshalb nun ein Rückblick etwas anderer Art. Ein Rückblick auf ihre Anfänge. Dazu soll ein TV-Interview mit der jungen Angela Merkel – in Auszügen – wiedergegeben werden.
Dies mag ein etwas ungewöhnliches Vorgehen für eine Kolumne sein. Es schuldet sich einer Frage: Welche Figur ist diese Angela Merkel? Das ist nicht die Frage nach ihrer Politik, sondern die Frage nach der Art ihres Auftretens – dieses Auftreten, das so verschieden ist von dem sonstiger Politiker.
Das Gespräch ist von 1991 und hat der berühmte Günter Gaus mit der damals 37-jährigen Merkel geführt. Man sieht eine ernste junge Frau mit kurzem Haar und strengem Blick. Alles an ihr ist Konzentration. Merkel war zu dem Zeitpunkt Frauenministerin und stand kurz davor, Stellvertreterin von Helmut Kohl in jener CDU zu werden, der sie erst seit einem Jahr angehörte. Gaus verriet schon im Eingangsstatement, worauf das Gespräch hinauslaufen würde: Merkel – eine eigenständige Ostdeutsche.
Gaus: So wie Sie sich als Politikerin öffentlich geben, hat man den Eindruck, Sie sind noch auf der Suche nach einem eigenen inhaltlichen Standort. Darauf die Polit-Anfängerin: Mir ist es nicht wichtig, eine wichtige Politikerin zu sein. Und: Wenn ich auf unbekanntem Terrain bin, versuche ich Grund unter den Füßen zu bekommen. Und: Ich will die Dinge, die ich mache, ordentlich machen. Gaus: Das klingt schön. Sind Sie sich bewusst, wenn etwas schön klingt? Sie (zögert): Nein.
Was macht das mit Ihrem Selbstwertgefühl, wenn Sie nun Kohls Stellvertreterin werden? Merkel: Da ist schon eine große Beklemmung. Ich kenne mich in der CDU noch nicht sehr gut aus. (Es bleibt unklar, ob dieses Eingeständnis von mangelnder Souveränität selber souverän ist.) Und fügt dann hinzu: Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Funktion ausfüllen werde. Ich sehe auch die Möglichkeit eines Scheiterns. Aber es muss unbedingt jemand aus dem Osten machen. (Zur Erinnerung: Wir sind zwei Jahre nach dem Mauerfall.)
Osten, Frau, Protestantin
Gaus: Osten, Frau und Protestantin – eine ideale Kombination. Merkel: Das ist mir relativ egal, ob das mit der Frau gerade gut passt. Aber wichtig ist, dass das jemand aus dem Osten macht. (Später wird einer ihrer zentralen Sätze im Wahlkampf sein: Sie kennen mich – aber hier ist sie noch die Frau, die aus der Fremde kommt. Aus einer anderen Welt, aus einem anderen System, aus einer anderen Zeit.)
Zu ihrer Familie erfährt man, dass der Vater der künftigen CDU-Kanzlerin protestantischer Pfarrer mit Neigung zum Sozialismus und der Großvater SED-Mitglied war. Etwas, was sie für die Nachkriegsperiode als durchaus respektable Haltung bezeichnet. Zur damals akuten Frage der „Vergangenheitsbewältigung“, also des Umgangs mit der ehemaligen DDR, wirft sie – auch der CDU – vor, kein Interesse für das wahrhafte Leben im Osten zu haben. Es war ja, fügt sie hinzu, auch schön. Und meint die Spaziergänge, die Familienfeiern und die Urlaube. Das war das richtige Leben.
Zu ihrem Verhältnis zum Regime der DDR – etwa ihre Mitgliedschaft bei der FDJ, der Freien Deutschen Jugend – meint sie: Ich habe bestimmte Formen der Anpassung genützt. Ich war gerne in der FDJ. Das will ich zugeben. Ansonsten aber war es 70 Prozent Opportunismus. Ich halte Anpassung für eine lebensnotwendige Sache und nicht für einen Makel. Und Anpassung ist auch, selbstverständlich, Teil meines Lebens gewesen. Und ist es auch heute noch. (Dann ein Lächeln – unsicher und triumphierend zugleich.)
Autoritäre Bedürfnis
Und die Bürgerbewegung in der DDR? Ich habe ein tiefes Misstrauen gegen basisdemokratische Gruppierungen. Vielleicht habe ich ein autoritäres Verhalten in mir.
Gaus: Sie haben ein autoritäres Bedürfnis? Sie: Ja.
Gaus: Ist Aufmüpfigkeit, Widerspruchsgeist nicht Teil Ihres Wesens? Sie: Mit zunehmendem Alter erlerne ich ihn besser. Gaus: Kann es also sein, dass Sie in fünf Jahren für Kohl nicht mehr so bequem sein werden wie jetzt?
(Sie zögert) Hm – das kann ich nicht ausschließen.
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