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Abschiebehaft in GlückstadtDas Schlimmste die Ungewissheit

Hinter den verschärften Abschiebungsmaßnahmen stehen Menschen – zum Beispiel Ibrahim, der im Abschiebeknast Glückstadt sitzt. Ein Besuch.

Auf dem Flur dürfen sich die Häftlinge bewegen: Abschiebeknast Glückstadt Foto: Ulrich Perrey/dpa

Hamburg taz | Ein Besuch in der Abschiebehafteinrichtung Glückstadt (AHE) in Schleswig-Holstein bedeutet Warten. Es heißt Ausweise abgeben an der Pforte. Es heißt, sich Türen aufschließen lassen von Wärter:innen, die viele Schlüssel am Gürtel tragen und hinter einem wieder abschließen: auf, zu, auf, zu. Es heißt, Handys in den Spind, abgetastet werden, Schuhe ausziehen.

Die Wärterin knetet sie mit behandschuhten Händen durch, aber viel, viel weniger gründlich als der Wärter die Turnschuhe des Übersetzers. Der Übersetzer steht in Socken da, sein Gesicht wirkt abwesend. Er versteht Fragen nicht mehr.

Erst als er seine Schuhe wieder hat, kommt er zurück. „Das erinnert mich an das, was ich durchgemacht hab“, sagt der junge Mann, der vor einigen Jahren aus Syrien über Bulgarien nach Deutschland gekommen ist und seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. Er hat keinen sicheren Aufenthalt.

Die Abschiebehafteinrichtung Glückstadt ist eine ehemalige Militärkaserne, Baujahr 1936, und liegt am Rand der Stadt. Seit 2021 nutzen Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern den Komplex als Abschiebeknast. Eröffnet wurde er unter dem Motto „Wohnen minus Freiheit“. Er ist ausgelegt für 60 Menschen. Weil sich zu wenig Personal fand, gibt es derzeit nur 42 Plätze.

Ein Dublin-Fall

Ibrahim Erdam hat einen von ihnen. Der 24-Jährige, weiches Gesicht, ruhige Art, ist heute der einzige Inhaftierte, der an einem der Tische im Besuchsraum sitzt. Als die Tür aufgeht steht er auf und lächelt. Wie es ihm geht? Sei schwer zu übersetzen, sagt der Übersetzer, sowas wie: „Naja.“ Ibrahim fragt zurück: „Wie fühlt sich das an, wenn deine Freiheit weggenommen wird?“

Seit dem 16. April sitzt Ibrahim in Abschiebehaft. Er kommt aus einer kurdischen Familie, ist in Syrien geboren, aber in der Türkei aufgewachsen. Nach Deutschland kam er in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Jetzt ist er ein Dublin-Fall und soll nach Finnland abgeschoben werden, wo er auf der Flucht über Griechenland im vergangenen Jahr registriert wurde. Seit 2003 regelt die Dublin-Verordnung, dass das EU-Land für ein Verfahren zuständig ist, in dem eine Person zuerst Asyl beantragt hat.

Die Geschichte von Ibrahim ist nicht außergewöhnlich. Es gibt zehntausende Menschen in Deutschland, die aktuell in Dublin-Verfahren stecken. Ein Teil von ihnen ist in Abschiebehaft, wie viele genau, dazu gibt es keine Zahlen.

Ibrahim ist aber auch ein besonderer Fall. Bevor er nach Glückstadt kam, war er im kürzlich als Pilot-Projekt eröffneten Hamburger Dublin-Zentrum untergebracht. Er ist einer von drei Menschen, wegen derer das Hamburger Sozialgericht an Ostern entschieden hatte, dass Menschen dort rechtswidrig Leistungen gestrichen wurden.

Ohne Vorwarnung eingepackt

Geklagt hatte die Gesellschaft für Freiheitsrechte. Hamburg hat Berufung eingelegt und will an der Praxis festhalten. Die ist Teil der Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes vor allem für Dublin-Fälle, das die Ampel-Regierung im Herbst 2024 als Reaktion auf den Anschlag in Solingen beschlossen hat.

Auswirkungen auf Ibrahims Situation hatte die Entscheidung des Hamburger Gerichts nicht. Bei einem Termin in der Ausländerbehörde wurde er ohne Vorwarnung eingepackt und nach Glückstadt gebracht – obwohl er sich zuvor an alle Regen gehalten habe, berichten seine Un­ter­stüt­ze­r:in­nen von der Gruppe Soliasyl.

Er habe sich täglich in der Unterkunft gemeldet, sei zu allen Terminen in der Ausländerbehörde erschienen – bis auf einmal, wo er sich aber krankgemeldet habe. Dass jemand wie Ibrahim in Abschiebehaft kommt, sei ungewöhnlich, sagen seine Unterstützer:innen.

Eine gesetzliche Verpflichtung, jemanden Abschiebungshaft zu nehmen, gibt es nicht. Die Menschen in Abschiebehaft sind dort nicht, weil sie Straftat begangen haben. Kommunen können die Haft anordnen, müssen sie aber nicht. Eine der wichtigsten Voraussetzungen ist „Fluchtgefahr“.

Wecken um sieben

Ob diese erkannt werde oder nicht, sei sehr uneinheitlich, sagt der Anwalt Peter Fahlbusch. Es sei auch vom Bauchgefühl und der politischen Haltung der Be­hör­den­mit­ar­bei­te­r:in­nen und Rich­te­r:in­nen abhängig. Fahlbusch geht davon aus, dass rund die Hälfte der Menschen in Abschiebehaft unrechtmäßig eingesperrt sind. Nach einer Entscheidung des Europäischen Menschenrechtshofs aus 2021 müssen die Haftbedingungen sich von normaler Strafhaft unterscheiden.

In der AHE Glückstadt sind Menschen etwa nicht in ihren Zimmern eingesperrt. Sie können aber auch nicht von innen abschließen und werden jeden Morgen um sieben Uhr geweckt. Frei bewegen können sie sich auf einem kleinen Flur, es gibt eine Küche und einen Computerraum. Abseits eines einstündigen Hofgangs am Tag, der wegen Personalmangels oft ausfällt, können sie das Gebäude nicht verlassen.

Im Besuchsraum der AHE Glückstadt brummt der Snackautomat. Wenn er leiser wird, fängt Ibrahim an zu flüstern, mit Seitenblick auf die zwei Wärter an der Tür. „Alle hier haben eine kaputte Stimmung“, sagt er. Die Inhaftierten würden nicht viel miteinander sprechen. Einige kämen gar nicht aus ihren Zimmern. „Man traut sich nicht, eine Beziehung anzufangen, weil die Person morgen weg sein könnte“, sagt Ibrahim.

Bei einer Abschiebung würden alle in ihren Zimmern eingeschlossen, nur eine Tür bleibe auf: die der Person, die abgeschoben wird. Das Schlimmste sei die Ungewissheit, sagt Ibrahim. „Sie sagen ein Datum, aber machen was anderes.“ Vor wenigen Tagen sei eine Person abgeschoben worden, der vorher gesagt worden sei, dass sie noch 30 Tage hat.

Sie singen, schreien und schlagen gegen die Wand

Er selbst könne seine Gedanken kontrollieren, aber merke, dass es vielen anderen nicht so gehe, sagt Ibrahim. Nachts höre er sie singen, schreien und gegen die Wand schlagen. Vor einigen Tagen habe jemand versucht, sich umzubringen. Er habe den Krankenwagen, der die Person abgeholt hat, vom Fenster aus gesehen. Mittlerweile sei die Person wieder da. Die Haftleitung hat sich bis Redaktionsschluss nicht dazu geäußert.

Es wäre nicht der erste Fall dieser Art in der AHE Glückstadt. Anfang vergangenen Jahres brannte es kurz nacheinander zwei Mal in Zellen von Inhaftierten. Der taz sagte ein junger Mann, der nach Marokko abgeschoben werden sollte, damals, dass er seine Matratze angezündet habe, weil er sich umbringen wollte. Trotzdem leugnete der damalige Haftleiter den Suizidversuch.

Ibrahim wurde gesagt, dass er am 5. Mai nach Finnland abgeschoben wird. Ob das stimmt, weiß er nicht. Was sollen Menschen draußen erfahren? „Ich kann nicht mehr so leben. Ihr sollt mich entweder hier rauslassen oder mich einfach abschieben.“

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9 Kommentare

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  • Ich finde es fürchterlich, dass selbst hier in der taz noch in den Kommentaren nachgefragt wird, ob das mit dem "an alle Regeln gehalten" denn so stimmen kann, dass man diesen Menschen unterstellt, wegen Sozialleistungen in Deutschland zu sein, dass man einfach mal davon ausgeht, der Autor verschweige wichtige Hintergrundinformationen über die Motivation der Häftlinge.



    Wer im Knast sitzt, muss ja was verbrochen haben, sonst würde er nicht im Knast sitzen.



    Was im Artikel beschrieben wurde ist einfach nur unmenschlich. Ganz egal, wie es dazu kam.



    Menschen einzusperren und im Unklaren über ihre Zukunft zu lassen ist Folter.



    Das widerspricht jeder Vorstellung davon, wie ein Rechtsstaat zu sein hat.



    Wenn die Dublin-Regeln sich aufgrund der anderen Dublin-Staaten nicht durchsetzen lassen, dann gehören die Dublin-Regeln insgesamt nicht nur auf den Prüfstand, sondern abgeschafft.



    Der Mann soll nach Finnland, dann gebt ihm eine Fahrkarte und gut ist. Das ist nicht nur menschlicher, sondern auch billiger als diese Katastrophe.



    Btw: Wie schafft man es auf dem Weg von Syrien nach Deutschland versehentlich in Finnland einzureisen? Wehrt Finnland sich vielleicht deswegen?

    • @Herma Huhn:

      Das widerspricht jeder Vorstellung davon, wie ein Rechtsstaat zu sein hat.

      Nein das Gegenteil ist der Fall. Oder ist es nur ein Rechtsstaat, wenn er so handelt wie es Ihnen gefällt?

      Menschen einzusperren und im Unklaren über ihre Zukunft zu lassen ist Folter.



      Also ist auch jede U-Haft Folter?

      • @weather2018:

        Ja ist es, wenn sie ohne Regeln verhängt wird.



        Es gibt fest definierte Gründe, wann Untersuchungshaft verhängt werden darf. Untersuchungshaft darf niemals länger dauern als die zu erwartende Strafe (eine Abschiebung, würde man sie als Strafe ansehen, dauert weniger als 24 Stunden). ein Verfahren gegen U-Häftlinge muss schneller durchgeführt werden, um die Freiheit nicht länger als notwendig einzuschränken. Zudem muss Untersuchungshaft verhältnismäßig sein, also zur Schwere der vorgeworfenen Straftat passen.



        Kein Anwalt würde zudem zulassen, dass die eigenen Mandanten nicht über den Zeitplan ihrer Verhandlung in Kenntnis gesetzt werden. Hinzu kommt hier, dass auch alle Mitgefangenen jederzeit ohne Vorwarnung aus dem Haus entfernt werden können. Jede Form von sozialer Sicherheit und Selbstwirksamkeit wird hier ausgeschaltet.



        Das ist weitaus quälender als eine regelkonforme Untersuchungshaft.



        Zur Klarstellung: Mir geht es nicht darum, ob der Mann abgeschoben wird oder nicht. Dafür kenne ich den Fall zu wenig. Es geht um die Art und Weise, wie diese Nicht-Abschiebung hier durchgezogen wird.

  • Also die Abschiebehaft soll nicht durchgeführt werden, wenn sich das Ziel mit anderen Mitteln erreichen lässt, sagt das Gesetz.



    Nur steht das nicht im Artikel, ob der junge Mann sich grundsätzlich weigert, nach Finnland auszuweisen.



    Die Haft soll als Ultima Ratio verwendet werden, da fehlen aber die Informationen, ob das dort korrekt gemacht wird oder nicht. Und Italien, Griechenland und Ungarn nehmen einfach niemanden zurück, diese Fälle landen da dann auch nicht. Das hier betrifft dann Staaten wie Schweden, Finnland, Niederlande, Belgien, Frankreich etc., und ausgeklammert sind kranke, besonders schwache Menschen.



    Ich würde mir wünschen, dass die Haft von den Bedingungen verbessert wird bzw sehr genau geprüft wird, ob ein Mensch nicht anders motiviert werden kann, auszureisen.

  • "… obwohl er sich zuvor an alle Regen gehalten habe..." hat er anscheinend wohl nicht, denn dann wäre er ja jetzt in Finnland, so wie es die Regeln vorsehen. Zumindest lässt uns der Autor darüber leider im Unklaren, ob es denn Gründe gibt, nach denen er sich rechtmäßig in Deutschland aufgehalten hat. So viel Zeit sollte eigentlich sein, um die Argumentation schlüssig zu halten.

  • Darf man fragen, warum Ibrahim nicht freiwillig ausgereist ist? Finnisch ist genauso schwer wie deutsch, und im Demokratieindex steht Finnland vor D, oder?

    • @Sandra Becker:

      Lt. "World Happiness Report 2024: Das sind die glücklichsten Länder" steht Finnland sogar auf Platz 1.

      Interessant für Ibrahim als junger Mensch: "Finnland belegt im Ländervergleich zum siebten Mal in Folge Platz eins, während Deutschland auf Platz 24 landet, nachdem es im Vorjahr noch auf Platz 16 lag. Im Hinblick auf die jüngere Bevölkerung (unter 30 Jahren) liegt Deutschland auf dem wenig schmeichelhaften 47. Platz, ..."

    • @Sandra Becker:

      Freunde in Hamburg vielleicht? Ein soziales Netzwerk, das ihn unterstützt. Ein wenig Vertrautheit in der Heimatlosigkeit?



      Das ist ein Mensch! Genau wie Sie und ich.

    • @Sandra Becker:

      Weniger Leistungen vom Staat?