piwik no script img

Abgeschoben aus der PsychiatrieVor der Klinik wartet die Polizei

Osnabrück hat Lame K. abgeschoben – aus einer Klinik, in der der 34-Jährige wegen Suizidgefahr Hilfe gesucht hatte. Die Stadt sieht sich im Recht.

Unter Einsatz drastischer Mittel, sagen AktivistInnen: Die Polizei bringt Lame K. vom Klinikgelände Foto: No Lager Osnabrück

Osnabrück taz | Es war eine Geste bitterer Empörung: Am vergangenen Donnerstagabend zog in Osnabrück eine Demo von „No Lager“, einer antirassistischen Gruppe mit Fokus auf Migration und Asyl, vor die Ausländerbehörde. Es ging um die Abschiebung von Lame K.* nach Gambia. Zwei Tage zuvor war der 34-Jährige aus der Osnabrücker Ameos-Klinik geholt worden, in der er wegen Suizidgefährdung Hilfe gesucht hatte. K. lebt seit 2017 in Osnabrück, nach einem gescheiterten Asylantrag in Duldung.

Videos und Fotos von No Lager zeigen Szenen der Gewalt: Bei dem Polizeieinsatz fixieren Uniformierte K. am Boden, er trägt Handschellen. „Kill me!“ ruft er immer wieder. Solidarische AktivistInnen werden von Polizisten angebrüllt, zurückgestoßen, eingekesselt und niedergerungen.

„Am Ende waren rund 30 Polizisten vor Ort“, beschreibt No-Lager-Aktivist Carl Dütting* den verstörenden Vorfall. „Von uns ging keine Eskalation aus. Dennoch wurden einige von uns unter dem Vorwurf des Widersetzens gegen Vollstreckungsbeamte, also einer Straftat, festgenommen. Auf der Wache wurden wir auf eine Zelle verbracht und anschließend einer erkennungsdienstlichen Maßnahme unterzogen.“

Halfen Klinikmitarbeitende?

Die Klinik hat die Abschiebung unterstützt. Ein Video zeigt eine Mitarbeiterin, die den Rollstuhl bringt, in dem K. zum Fahrzeug geschoben wird. Krankenhauspersonal, erklärt No Lager, habe Protestierende auch mit Worten fernzuhalten versucht. „Abschiebungen aus Schutzräumen wie Krankenhäusern erschüttern das Vertrauen in medizinische und therapeutische Einrichtungen massiv“, schreibt Muzaffer Öztürkyilmaz, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen.

Er hatte ja schon vorher zwei Abschiebeversuche erlebt. Beide sind an Krankheitsgründen gescheitert, beide waren nicht gewaltfrei

Claire Deery, Rechtsanwältin, über ihren Mandanten Lame K.

Nur Tage vor dem Polizeieinsatz war K. vom Landgericht aus einer rechtswidrigen Abschiebungshaft entlassen worden: Die Gefahr, dass der 34-Jährige sich den Behörden entziehe, bestehe nicht, fand das Gericht. Die drohende Abschiebung habe „starke Ängste“ bei K. ausgelöst, erklärt der Niedersächsische Flüchtlingsrat. Die Maßnahme hätte „unter diesen Umständen niemals statt­finden dürfen“. Die Härte gegen No Lager bezeichnet der Flüchtlingsrat als „völlig unverhältnismäßig“ und „Kriminalisierung“.

„Unsere Mitarbeitenden begleiteten die betroffene Person zur psycho-sozialen Unterstützung während der Abholung durch die Polizei“, antwortet Kliniksprecherin Verena Mack auf Anfrage der taz. Mitarbeitende der Klinik hätten nicht versucht, ZeugInnen des Geschehens fernzuhalten. Vielmehr hätten diese sich „immer weiter genähert, unsere Mitarbeitenden lautstark und teilweise bis aufs Übelste beschimpft“, so Mack.

Seit dem Jahr 2018 sei K. verpflichtet gewesen, Rückreisepapiere zu beschaffen, so Simon Vonstein, Sprecher der Stadt Osnabrück. „Daran wurde er durch die Ausländerbehörde insgesamt 26 Mal erinnert.“ Er habe sich „mehrmals Abschiebeversuchen entzogen“. Ein Folgeantrag auf Asyl sei vergangenes Jahr gescheitert. „Psychische Erkrankungen hat er beim Stellen dieses Antrages nicht geltend gemacht.“

Am 21. Januar habe die Ausländerbehörde K. dann aufgefordert, sich auf seine Ausreise eine Woche später vorzubereiten. K. ging ins Klinikum – gegen die Abschiebung half das nicht. „Die Entlassungspapiere des Ameos-Klinikums“, so Vonstein, „beinhalten keine Hinweise, dass gesundheitlich etwas dagegen spricht.“

„Krank,nicht nur psychisch“

„Das alles ist sehr frustrierend, sehr undurchsichtig“, sagt K.s Anwältin Claire Deery. „Mein Mandant hat sich den Behörden gegenüber immer vorbildlich verhalten, deswegen wurde er ja auch aus der Haft entlassen. Er hatte eine Verlobte hier in der BRD, war nicht gewalttätig. Aber er war krank, nicht nur psychisch. Dass man ihn so aus einer Klinik herausholt, ist schlimm.“

Die Klinik hätte K. als nicht reisefähig einstufen können, so Deery. „Sie hat meinen Mandanten ausgerechnet in dem Moment entlassen, als bei ihr die Polizei vor der Tür stand.“ Vor seinem Klinikaufenthalt sei K. von einem Facharzt behandelt worden. Darüber gebe es einen Arztbrief. Das Klinikum habe ihn gekannt, auch die Ausländerbehörde. „Diese Sicht wurde ignoriert.“

Deery beschreibt ihren Mandanten als traumatisiert: „Er hatte ja schon vorher zwei Abschiebeversuche erlebt. Beide sind an Krankheitsgründen gescheitert, beide waren nicht gewaltfrei.“ Der dritte nun gelang. Für eine Rückkehr K.s kann Deery nichts tun. „Aber natürlich gibt es noch Fragen, zumal datenschutzrechtliche. Da brauchen wir Antworten.“

Jetzt lebt K. wieder in Gambia, einem Land, aus dessen Armut und Gewalt er einst floh: über Libyen, wo er monatelang Opfer erpresserischen Kidnappings wurde, mit Folter und Hunger.

Seine Abschiebung beschreibt er gegenüber der taz als „absolut inhuman“.Erst habe man ihm im Krankenhaus eine Behandlung seiner Posttraumatischen Belastungsstörung zugesagt. Später habe ein Arzt gesagt, er könne nicht „aus politischen Gründen“ hier sein. „Ich habe gesagt, meine Krankheit hat nichts mit Politik zu tun“, so K. – nicht viel später kam die Polizei.

Ein Arzt und drei Polizisten hätten ihn nach Gambia gebracht, so K. Kein Arzt habe ihn abgeholt, was ihm zugesagt worden sei. Am Flughafen seien ihm seine Papiere abgenommen worden. Er habe keinen festen Schlafplatz, erzählt er, und von Alpträumen, Kriminalität, Chancenlosigkeit. Davon, dass er sich Gerechtigkeit wünscht – und eine Rückkehr nach Deutschland.

Was die Zukunft für ihn bereithält? „Nichts“, schreibt K. „Ich habe keine Hoffnung. Ich kann hier jede Minute sterben.“

*Name ist der Redaktion bekannt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

8 Kommentare

 / 
  • Hat der Merz gar vergessen ein Kamerateam hinzuschicken ?

    Wäre doch ein wunderbares Fanal der gelungenen Politik der C*-Parteien gewesen...

  • "Seit dem Jahr 2018 sei K. verpflichtet gewesen, Rückreisepapiere zu beschaffen, so Simon Vonstein, Sprecher der Stadt Osnabrück. „Daran wurde er durch die Ausländerbehörde insgesamt 26 Mal erinnert.“"

    "„Mein Mandant hat sich den Behörden gegenüber immer vorbildlich verhalten, deswegen wurde er ja auch aus der Haft entlassen."

    Es ist hilfreich für die Meinungsbildung, dass die taz beide Darstellungen abdruckt.

  • Die wirtschaftliche Lage, hohe Arbeitslosigkeit und Dürre sind für viele Menschen Gründe, Gambia zu verlassen. So bitter das sein mag, aber nichts davon ist ein Asylgrund.

    • @Sandra Becker:

      Richtig! Aber warum exportiert Deutschland (EU) Getreide und andere Agrarprodukte nach Gambia und zerstört die dortige Landwirtschaft? Ok, es sind auch andere Länder daran beteiligt, aber Deutschland macht sich hier MITschuldig!

      • @Frank Burghart:

        Wäre er ohne die Getreidelieferungen nicht gekommen? So bedenklich und falsch ich die Praxis des subventionierten Agrardumpings finde, so unwahrscheinlich erscheint mir der direkte Zusammenhang in diesem Fall.

        • @vieldenker:

          Den direkten Zusammenhang hat hier niemand behauptet.



          Die Getreidelieferungen sind lediglich ein Beispiel der Ursachen für die Armut und damit Not, die zur Migration führt. Die europäische Landwirtschaft ist mit ihrer Überproduktion ein Beispiel, die Fischerei ein weiteres.

          www.sueddeutsche.d...rfischen-1.3687643

          Hinzu kommt die Rohstoffplünderung durch multinationale Konzerne.

          Unser Wohlstand verursacht Kollateralschäden.

        • @vieldenker:

          Und es gibt kein Freihandelsabkommen zwischen Gambia und der EU - also keine Hindernisse auf der gambischen Seite, notfalls Zölle zu erheben. Aber so etwas ist immer eine Balance zwischen dem Nutzen für die eigenen Nicht-Bauern und der eigenen Bauernschaft.

        • @vieldenker:

          Der Einwand, der wirtschaftlichen & politischen Einflussnahme, in andere Staaten und der daraus folgenden Entwicklungen und Konsequenzen für die dortige Bevölkerung, ist durchaus in die Aspekte der Migration - berechtigterweise - mit einzubeziehen.