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Aberkennung der GemeinnützigkeitAttac möchte Klärung in Karlsruhe

Die NGO Attac will vor dem Verfassungsgericht gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit klagen. Sie fürchtet, dass die Zivilgesellschaft schrumpft.

Verunsichert: Attac-Aktivistin Foto: dpa

BERLIN taz | Attac will vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um die Anerkennung seiner Arbeit als gemeinnützig durchzusetzen. Das globalisierungskritische Netzwerk will damit auch verhindern, dass weitere Organisatio­nen in den Sog der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom Februar geraten und mit ihrer Gemeinnützigkeit auch die Grundlagen für ihre Arbeit verlieren. Das Gemeinnützigkeitsrecht drohe „zu einem Instrument zu verkommen, mit dem Regierung und politische Parteien versuchen, unliebsame Organisationen an die Kandare zu nehmen“, sagt Alfred Eibl vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis.

Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass Attac nicht gemeinnützig ist. Das bedeutet unter anderem, dass Spenden nicht steuerlich absetzbar sind und es schwer ist, an öffentliche Mittel oder Stiftungsgelder zu kommen. Die Begründung des Bundesfinanzhofs: Die Beeinflussung der öffentlichen Meinung und der politischen Willensbildung dürfen von den Finanzämtern nicht als gemeinnützige Ziele gewertet werden. Diese Einschätzung muss vom Hessischen Finanzgericht noch in ein Urteil umgesetzt werden. Dann kann Attac vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Über welchen Weg genau das erfolgen soll, wollen VertreterInnen der Organisation in den kommenden Wochen mit JuristInnen beraten, sagt Eibl.

Unabhängig von der Klage fordert Attac, dass der Bundestag die gesetzliche Grundlage des Gemeinnützigkeitsrechts, die Abgabenordnung, erweitert. Außerdem müsse der Satzungszweck „Förderung des demokratischen Staatswesens“ – wie der Umweltschutz – als gemeinnütziger Zweck anerkannt werden.

Bei der Entscheidung des Bundesfinanzhofs gehe es nicht nur um Attac, sagt Eibl. „Wir sehen bereits einen Dominoeffekt.“ Die Kampagnenorganisation Campact zum Beispiel stellt keine Spendenbescheinigungen mehr aus. Sie fürchtet, den Status der Gemeinnützigkeit ebenfalls entzogen zu bekommen.

Der drohende Verlust der Gemeinnützigkeit mache Organisationen „mundtot“, fürchtet Eibl. Einige würden sich bereits nicht mehr an Aktionen und Kampagnen mit allgemeinpolitischem Charakter beteiligen. Namen und Beispiele wollte er nicht nennen.

Einige NGOs beteiligen sich bereits nicht mehr an Aktionen und Kampagnen

In vielen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) herrscht große Unruhe, sagt auch Anne Dänner von „Mehr Demokratie“. „Wir haben keine akuten Sorgen“, sagt sie. „Aber wir schauen uns das sehr genau an.“ Unabhängig von der eigenen Betroffenheit gehe es um eine Grundsatzfrage für die Gesellschaft.

Am Dienstag berieten in Berlin VertreterInnen der rund 80 Organisationen in der „Allianz für Rechtssicherheit und für politische Willensbildung“ über die Entscheidung des Bundesfinanzhofs. In den vergangenen 30 Jahren sei auch durch die Arbeit vieler NGOs ein neuer Typus von Zivilgesellschaft entstanden, sagt Tim Weber von „Mehr Demokratie“: „Wenn jetzt die finanziellen Spielräume für diese Organisationen schrumpfen, schrumpft auch die Zivilgesellschaft.“

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33 Kommentare

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  • Die Konsequenz wäre dass sich attac neu aufstellt. Warum auch nicht?

    Jene die Politik machen wollen gehen in die Politik. Sven Gigold von den Grünen hat es erfolgreich vorgemacht.



    Und passende Parteien sind vorhanden!

    Jene die jenseits des politischen Geschäfts aktiv sein wollen bleibe.

    Verteilt über mehrere Parteien und einer finanziell geförderte Rest-Attace könnte das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden.

  • heute-show vom 8. März 2019 zu Attac und Umwelthilfe:

    www.youtube.com/watch?v=mlTqqH20Bto

    Heute Attac, morgen die Umwelthilfe und übermorgen der Rest - nur die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und der DFB bleiben gemeinnützig!

  • Die Süddeutsche schreibt zm Thema: „Mit dem aktuellen Urteil schärfen die Richter nun aber die Grenze zwischen gemeinnützigen Vereinen und Parteien: In der Konsequenz bedeutet das, dass jeder Verein auch auf nicht ausdrücklich als gemeinnützig anerkannten Themenfeldern aktiv sein kann, dann aber auf steuerliche Förderung verzichten muss. Oder er stellt sich als Partei zur Wahl und unterwirft sich den Regeln des Parteiengesetzes.“ www.sueddeutsche.d...inanzhof-1.4345637

    Die Trennung zwischen Gruppen, die Politik betreiben und Gruppen, doe gemeinnützig arbeiten erscheint mir einleuchtend.

    Ich vermisse in den taz Artikel eine Beschreibung der Arbeit von Attac, aus der hervorgeht, wo die Schwerpunkte sind.

  • Als der erste Bericht über die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Attac erschienen ist und die Emotionen hoch schlugen, habe ich bereits gepostet, daß wir in einem Rechtsstaat leben. Die staatlichen Institutionen können nicht machen, was sie wollen. Es steht hier in D. jedem Menschen und jeder NGO der Rechtsweg offen, und genauso wird es jetzt passieren. Mein Motto lautet auch hier: sachlich bleiben und den evtl. Ideologien keinen Raum geben.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ich bezweifle, ob das Sich-Ausliefern an das Urteil des BVerG der richtige Weg ist. Schließlich singen die dortigen Richter das gleiche Loblied des NeoLib wie die übrigen "Eliten".

    Gerne wiederhole ich, was ich bereits vor Wochen schrieb: wenn ich die Lesart meines Gegners kenne, kann ich mich dem anpassen. Gerade in Zeiten, in denen die DARSTELLUNG alles und der Inhalt fast nichts ist.

    Neue Märtyrer brauchen Freigeister und Querdenker nicht. Die wichtigen Aufgaben im Hier und Jetzt brauchen gebündelte Kräfte der Widerständigen. Glückauf!

  • Mann, Sieber! vom 19.3. hat bereits alles gesagt. www.zdf.de/comedy/...aerz-2019-100.html Es gibt eine Kampagne gegen Umwelthilfe und Attac aus schwarzen Think-Tanks. Die ungläubige Attac-Führung war etwas zu schwerfällig, worin unterscheiden sich Atlantik-Brücke und Bertelsmann-Stiftung? Doch nur in der Ausrichtung im Sinne der Mächtigen. Attac hat sich in eine Ecke drängen lassen, zu viele 'Klassenkämpfer' sehren nach Parteipolitikern aus, reden der Linkkspartei, der Ex-SED nach dem Mund. Die Attac-Leitung hätte früher die eigene Unabhängigkeit deutlich machen müssen, hätte sich als Gutachter und Bildungsinstitut positionieren müssen. Doch man hielt sich für unangreifbar, fühlte sich über den Dingen. jetzt gilt es die Scherben zusammen zu kehren. Attac braucht einen Neuanfang.

    • @mdarge:

      Sorry - Steh ich grad auf‘m Schlauch?



      …n Bier zuviel? - ich schnalls nich.



      Mit Verlaub - bitte mal für Tumbe wie mich - zu Mitschreiben.



      Dank im Voraus.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Lowandorder:

        Vielleicht ist es der nahende Vollmond?

        Davon ab: fishing for compliments wird nicht jedem abgenommen. Vielleicht lag es wirklich am Bier. Wobei: Kölsch und Bier?

        Darauf einen 'Kraneberger' Riesling! ;-)

  • "Unabhängig von der eigenen Betroffenheit gehe es um eine Grundsatzfrage für die Gesellschaft."



    "„Wenn jetzt die finanziellen Spielräume für diese Organisationen schrumpfen, schrumpft auch die Zivilgesellschaft.“"



    Bei mir schrillen die Alarmglocken, mit "„Aber wir schauen uns das sehr genau an.“" is da nixx mehr!



    Schließe mich den Wünschen @Rolf und @Nelly_M an.



    Und hoffe auf eine entsprechende Entscheidung der zukünftigen attac-Klage durch das BVerfG!

  • Für mich und viele andere Menschen erschließen sich die Kriterien nicht, nach denen das “Siegel der Gemeinnützigkeit“ in Deutschland vergeben wird. Auch durch die Recherchen zum Hannibal-Uniter-Netzwerk wurde bekannt, dass dieser rechte und militante Haufen um Uniter “e. V.“-Status besitzt und somit als gemeinnützig anerkannt ist.



    Ebenfalls als gemeinnützig anerkannt sind: Die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik, die die Rüstungslobby vertritt, die Initiative neue soziale Marktwirtschaft, die von den Arbeitgeberverbänden getragen wird und die Stiftung Familienunternehmen, welche im Interesse ihrer Mitglieder eine Kampagne gegen Erbschaftssteuer für Unternehmen gefahren hat.



    Das es bei dem Entzug der Gemeinnützigkeit darum geht (staats- bzw. system-) kritische Organisationen klein zu halten und (wenn möglich) mundtot zu machen liegt auf der Hand.

    • @Thomas Brunst:

      e.V. (also am Amtsgericht eingetragen) hat mit Gemeinnützigkeit (gemäß §52 AO) nichts zu tun!

      Es gibt e.V.s die sind nicht gemeinnützig, es gibt gemeinnützige Vereine, die sind nicht eingetragen.

      Ich war im Vorstand eines Sportvereins, der sich nach Jahren der Gemeinnützigkeit ohne Eintragung hat eintragen lassen.

      (Grund dafür waren Förderrichtlinien des Freistaates Bayern, die anders interpretiert wurden als früher)

      • @R R:

        Danke für den Hinweis/ die Erklärung. Tatsache ist aber, dass “Uniter e. V.“ als gemeinnützig anerkannt ist: “(...) Laut Tagesspiegel erreichte Uniter beim Finanzamt Stuttgart die Anerkennung als gemeinnützig unter Verweis auf seine Satzung, die etwa die „Förderung von Fort- und Berufsbildung“ aufzählt. (…)" (taz, 06.03.19)

    • @Thomas Brunst:

      Ahhh

      Der Status als eingetragener Verein (eV) und die Gemeinnützigkeit sind zwei absolut unabhängige Konzepte.

      Es gibt eingetragene Vereine, die sind nicht gemeinnützig. Es gibt gemeinnützige Vereine, die sind nicht eingetragen!

      Warum ich das weiß: ich war im Vorstand eines Sportvereins (gemeinnützig), der sich hat eintragen lassen.

      • @R R:

        Sorry - für den Doppelpost

    • @Thomas Brunst:

      Klingt für mich irgendwie nach Verschwörungstheorie.

      • 9G
        96177 (Profil gelöscht)
        @Tabus überall:

        nee, das ist Verschwörungspraxis!

      • @Tabus überall:

        Soso, Verschwörungstheorie… d a s Totschlagargument, wenn's eng wird… für wen 🔍 schreiben S i e?

        • @Frau Kirschgrün:

          Oha, das kann man aber ohne weiteres umdrehen.

        • @Frau Kirschgrün:

          Na ja, die von Herrn Brunst genannten anderen Organisationen machen anscheinend etwas anders und sind daher derzeit vom Entzug der Gemeinnützigkeit nicht betroffen. Das Recht ist für die Wachen da. Immer wenn man etwas falsch macht, ist der böse Staat schuld. Da macht man es sich aus meiner Sicht etwas einfach.



          Ps. Die Frage, für wen ich schreibe, klingt übrigens schon wieder nach Verschwörungstheorie. Der Gedanke, dass es Menschen gibt, die für niemanden schreiben und trotzdem Ihre Meinung nicht teilen, kommt Ihnen nicht?

          • @Tabus überall:

            Dass das "Hannibal-Uniter-Netzwerk" gemeinnützig ist, scheint Sie nicht zu stören. Na dann.

            • @Frau Kirschgrün:

              Wo hab ich das denn geschrieben? Hier geht es in erster Linie um Attac, also einen Einzelfall, dem die Gemeinnützigkeit entzogen werden soll. Ich gehe zunächst mal davon aus, dass der Bundesfinanzhof so eine Entscheidung nicht aus Jux und Dollerei trifft, sondern sachliche Argumente zugrunde gelegt hat. Und dieser Sachverhalt hat nichts mit irgendwelchen anderen Organisationen zu tun, egal welchen. Mich stört lediglich die immer gleiche Unterstellung der angeblichen Ungleichbehandlung. Wenn es Gründe gibt, uniter e. V. die Gemeinnützigkeit zu entziehen, sollte man es tun.

            • @Frau Kirschgrün:

              Als was darf Uniter e. V. bezeichnet werden? Als “gemeinnützige Wehrsportgruppe“ oder gar als “gemeinnützige Söldnervermittlung“?

      • @Tabus überall:

        Eher Verschwörungspraxis...

    • @Thomas Brunst:

      Genau so isses. Das alles lässt seeeehr tief blicken in die Abgründe unseres ach so tollen Rechtstaatses.

  • Allgemeinpolitische Arbeit gehört in Parteien, dafür sind sie da. Sonst könnte man gleich die politisch-konzeptionelle Arbeit komplett auf gemeinnützige Vereine auslagern, die über anonyme Spenden und öffentliche Zuschüsse finanziert werden, und die Parteien kleben dann nur noch das Logo auf die Konzepte, Drucken Plakate und stellen Wahllisten auf. Gerade deswegen haben gemeinnützige Organisationen kein allgemeinpolitisches Mandat, damit sie nicht als Spendenwaschanlage für Parteien wie früher die staatspolitische Vereinigung fungieren können!



    Zudem finde ich es befremdlich, wenn allgemeinpolitisch tätige Organisationen sich als Verkörperung des Gemeinwohls sehen - da müssten sie ja eigentlich die Abschaffung der Wahlen fordern, wenn es außerhalb ihrer Organisation kein Gemeinwohl mehr gibt! Und zudem ist auch befremdlich, wenn man soviel Wert auf steuersparende Spenden legt, wo man sonst in jeder Steuerabzugsmöglichkeit einen Anschlag auf die soziale Gerechtigkeit sieht und Steuern nie hoch genug sein können.

    • @rawjr:

      Pssst!

      NGOs als Geld-Waschmaschinen und Steuersparmodelle zu bezeichnen, ist schon mutig. Aber seien Sie unbesorgt, zwei Dinge sind sicher: der Tod und die Steuer.

    • @rawjr:

      Steuern sollen bitte immer die anderen - also nicht meine gesellschaftlich Gruppe - zahlen.

    • @rawjr:

      Endlich erkennt das mal jemand richtig.

  • Ich würde ja gerne mehr über die hier entscheidenden Richter am Bundesfinanzhof und deren Hintergrund und damit deren politischenStandort erfahren.

    • @rolff:

      Schon klar, wenn eine gerichtliche Entscheidung nicht ins Weltbild passt, dann müssen die Richter wohl parteilich gewesen sein.

      Ein Blick in die entsprechende Kommentierung in die Abgabenordnung hätte gezeigt, dass der BFH schon sehr lange so entscheidet.

    • @rolff:

      Kann ich nur unterstützen! Und eine zeitliche Übersicht wär auch toll, wann also Schäuble mit seinem Angriff auf die Gemeinnützigkeit begann und welche Parteien/Behörden wann und wie tätig wurden....

  • Erstens, eine nahezu deckungsgleiche Entscheidung hat der BFH bereits im Jahr 1984 getroffen. Insoweit dürfte niemand bei Attac überrascht gewesen sein. Die Entscheidung Attac hat allenfalls ein etwas verschüttet gegangenes Problembewusstsein geschärft (nach dem Motto: ach ja, da war doch was).

    Zweitens, gegen welches Grundrecht sollte verstoßen worden sein?