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ARD-Dokudrama über Mord an LübckeDie falschen Fragen

Der Film über den Mord an Walter Lübcke ordnet rassistische Ideologien nicht ein. Stattdessen versucht er Rechtsextremismus emotional zu erfassen.

Der Täter (Robin Sondermann, rechts) übt mit Markus H. (Konstantin Lindhorst) am Schießstand Foto: HR/Daniel Dornhoefer

True Crime ist Trend: Die Rekonstruktion von wahren Verbrechen und das Ergründen der Täterpsyche faszinieren die Zuschauer:innen. Die Verfilmung des rechtsextremistischen Mordes an CDU-Politiker Walter Lübcke in „Schuss in der Nacht – Die Ermordung Walter Lübckes“, einer Mischung aus Dokumentations- und Spielfilm, passt also gut in den Zeitgeist – doch macht dabei Fehler.

Der Film eröffnet in „Tatort“-Ästhetik, was nicht nur an Ex-„Tat­ort“-Kommissar Joachim Król als Ermittler Norbert ­Bar­tels liegt. Die angespannten Gesichter der Ermittler:in­nen, die sich auf der Scheibe des Verhör­raums spiegeln. Die erste Aussage: „Wenn er reden will, lassen wir ihn reden.“ Tiefes Atmen. Und schon hier geht etwas schief. Das Drehbuch basiert auf dem ersten Geständnis des Täters. Und das zieht sich durch den Film.

Es mag sein, dass die Ermittlerin Petra Lischke (Katja Bürkle) nicht allein ist mit der Frage: „Vier Jahre vom Tatentschluss bis zum Mord. Wie motivierst du dich da immer wieder?“ Doch ist das die Frage, die zentral sein sollte? Als ihr Kollege Bartels antwortet: „Der hat das nicht allein durchgezogen“, entsteht Hoffnung, dass das Sichtfeld in den restlichen 82 Minuten geweitet werden könnte.

Der Mordfall Walter Lübcke gilt als Zäsur. Es gab über 200 rechtsextremistisch motivierte Morde seit 1990 in Deutschland, doch keiner wurde an einem parlamentarischen Politiker verübt. In dem Film fallen weitere Zahlen: 2018 hatte der Verfassungsschutz „24.000 Kunden“, 2019 waren bundesweit 32.000 Rechtsextremist:innen bekannt. Was kann dagegen getan werden? Elfmal taucht der Name des Täters in den verschlossenen NSU-Akten auf. Warum? Fragen, die zentral sein sollten.

Close-Ups vom Täter

Doch deutlich präsenter als die Suche nach Antworten auf diese Fragen sind die unzähligen Close-ups des verschwitzten und nachdenklichen Gesichts von Robin Sondermann, der den Täter im Spielfilmteil verkörpert. Er bewegt die Zuschauenden immer wieder zurück zu der Frage, wie ein Mensch nur auf diese Ideen kommt: einen CDU-Politiker zu erschießen.

Auf der Spielfilmebene spazieren die Zuschauer:innen mit dem Täter am Tatort, wo er die Mordnacht für die Ermittler:innen nachstellt. Sie begleiten ihn zum Schießtraining. Sie hören seiner rassistischen Ideologie und seinen „Tag X“-Szenarien ebenso unkommentiert zu wie seinen Klagen über Depressionen.

Auf der Dokumentationsebene gehen sie zu seinem Schützenverein und lassen sich erzählen, dass der Täter „ein ganz normaler Durchschnittsdeutscher“ gewesen sei. Sie besuchen einen selbsternannten „Kreuzritter“, der sich als harmloser Alter inszeniert. Wer ohne Vorkenntnisse in die Szene geht, verlässt sie mit einem mulmigen Gefühl. Anstatt rassistische Ideologien einzuordnen, versucht der Film Rechtsextremismus emotional zu erfassen.

Solchen Szenen werden echte Interviews mit Bekannten Walter Lübckes, Politiker:innen, Lokaljournalist:innen und Geflüchteten entgegengesetzt. Doch die Erzählung des Täters gibt den Ton an, die eigentlich relevanten Aussagen dienen als Reaktion, anstatt für sich zu stehen. Wie wenn endlich Betroffene antisemitischer und rassistischer Gewalt zu Wort kommen, doch darauf von Rechtsextremisten und Rassisten erstellte Videos folgen, in denen beispielsweise zu sehen ist, wie Schwarze Menschen erschossen werden.

Das Dokudrama

Schuss in der Nacht – Die Ermordung Walter Lübckes“, Fr., 4.12., 22.15 Uhr, ARD

Besser wird es zu einem späteren Zeitpunkt. Walter Lübckes berühmtes Zitat wird verhandelt: „Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte einstehen, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“ Zeug:innen kehren an den Ort des Geschehens zurück und schildern gemeinsam den Abend, der als Tatmotiv seines Mörders gilt.

An dieser Stelle des Film wird klar, dass Lübcke den Hass vieler Rechtsextremisten auf sich zog, dass die Verbreitung des Videos von dem Abend nur diesen in die Hände spielt. Die Zeug:innen sprechen über fehlende Courage, über Scham und über die Richtigkeit der Worte von Walter Lübcke.

Starke Szenen, die den Gesamteindruck des Filmes nicht rumreißen können. Denn die relevanten Fragen bleiben unbeantwortet. Das Versagen der Ermittlungsbehörden, die ungeklärten Verbindungen zum NSU oder allgemeinen Grundlagen rechtsextremistischer Ideologie hätten den Film leiten sollen, nicht der Täter selbst.

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3 Kommentare

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  • So was passiert, wenn Verantwortliche Prioritäten setzen: Quote vor Konflikt.

  • "Das Versagen der Ermittlungsbehörden, die ungeklärten Verbindungen zum NSU oder allgemeinen Grundlagen rechtsextremistischer Ideologie hätten den Film leiten sollen, nicht der Täter selbst."



    Ich habe den Film noch nicht gesehen aber der Artikel liest sich nach der üblichen Frage des Aufarbeiten der Rechtsterrorismus der vergangenen Jahre im Allgemeinen. Das ist notwendig. Allein dieser Film erzählt von einem Attentat und es ist möglich, ein einzelnes Attentat zu beleuchten und den kompletten Hintergrund nicht in der, wie hier geforderten, Tiefe und Breite einzubeziehen.



    Die Bildsprache, die Close-ups, das alles sind Stilmittel der Regie, das ist ebenso Geschmacksache der Zuschauer. Der gewünschte/gesuchte rote Faden durch die Story mag auch jeder anders verorten. Die Frage die gestellt werde muß lautet: Was will der Film bezwecken? Das, dieses eine Attentat darstellen, mit Motivation des Täters oder die Geschichte des Rechtsterrorismus mit allen ermittlungsbehördlichen Pannen der vergangenen 20 Jahre? Bei 90 Minuten müssen da schon Schwerpunkte gesetzt werden um nicht alles nur oberflächlich zu streifen.

    • @Pia Mansfeld:

      Das mag oft stimmen. Dieser Film setzt sich jedoch, nach der einordnung durch die autorin hier, seiner schwerpunktsetzung nach überhaupt nicht vom bestimmenden diskurs ab, sondern reiht sich ein in so ein pathologisierendes, mystifizierendes Wabern, das ökonomisch besser verwertbar ist und für die Zuschauenden leichter zu verdauen.

      Es geht schon bei der Auswahl des Krimi-Gegenstands los mit dem Knacks in der Optik: so laut aufgeschriehen wie beim Mord an Lübcke hat die bundesdeutsche Öffentlichkeit kaum bei der Mehrzahl an Todesopfern rechter Gewalt: migrantifizierte, wohnungslose Menschen und Punker. Selbst die NSU-Opfer oder die Namen und Gesichter aus Hanau und Halle sind gesichtslos im Wahrnehmungsvergleich mit Lübcke.

      Finde es unangebracht, hier mit Stilistik-Gründen als Rechtfertigung zu kommen. Wahrscheinlicher sind ökonomische und rassistische Gründe selbst: Biodeutsches Opfer = mehr Zuschauende. Dissonante Täterpsyche - spannender als seine jahrelang etablierte stabile, rassistische Ideologie. Der Film will sich gelohnt haben und macht es sich bei dem Thema dafür so einfach wie es sich die "Einzelfall"-Rhetorik macht, knüpft nur an sie an.

      So eine Kunst brauch ich als Linker nicht, wenn ich schon so eine Deutungshoheit in Presse und Politikinterpretationen habe. Das vertieft die Wahrnehmungsverweigerung des Strukturproblems "Rassismus" und "Faschisierung in weiten Teilen der Gesellschaft".