piwik no script img

500 Milliarden Euro für EuropaDas Geld wird nicht reichen

Wieso Italien und Spanien Hilfe brauchen und warum es dennoch keine Coronabonds gibt. Zehn Fragen und Antworten zur EU-Finanzpolitik.

Das Euro-Hilfsprogramm (winziger Auschnitt) Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Es ging ums Ganze: Wochenlang sah es aus, als sei Europa nicht fähig, sich in der Coronakrise solidarisch zu zeigen. Doch nun haben sich die Euro-Finanzminister geeinigt. 10 Fragen und Antworten erläutern die wichtigsten Punkte.

1. Wer hat sich durchgesetzt?

Der Kompromiss entspricht den deutschen Vorstellungen.

2. Um wie viel Geld geht es?

Offiziell heißt es, dass EU und Eurozone 500 Milliarden Euro mobilisieren wollen. Tatsächlich dürfte weniger Geld fließen.

3. Um welche Maßnahmen geht es konkret?

Wichtigster Baustein ist der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM). Dieser „Rettungsschirm“ wurde 2012 während der Eurokrise gegründet und stellt jetzt 200 Milliarden Euro zur Verfügung. Doch wahrscheinlich wird nicht das ganze Geld abgerufen, denn jedes Euroland darf nur ESM-Kredite in Höhe von maximal 2 Prozent der eigenen Wirtschaftsleistung aufnehmen. Für Italien wären dies 39 Milliarden Euro, für Spanien 28 Milliarden.

4. Welche Hilfen gibt es noch?

Die EU-Kommission wird ein Programm namens „Sure“ auflegen, das 100 Milliarden Euro umfasst. Dabei handelt es sich um Kredite, mit denen schwache EU-Länder dann ein Kurzarbeitergeld finanzieren können. Außerdem soll die Europäische Investitionsbank die Möglichkeit erhalten, Kredite über insgesamt 200 Milliarden an kleine und mittlere Unternehmen auszureichen.

5. Warum konnten sich die Finanzminister der Eurozone lange nicht einigen?

Vor allem die Niederlande bestanden hartnäckig darauf, dass die ESM-Kredite an Konditionen geknüpft werden. So sollten die hilfebedürftigen Länder ihren Arbeitsmarkt oder ihr Rentensystem reformieren. Spanien und Italien waren jedoch nicht bereit, sich wieder einer Art „Troika“ zu unterwerfen. Als Kompromiss wurde beschlossen, dass eine einzige Bedingung zu erfüllen ist: Die ESM-Kredite dürfen nur dazu verwendet werden, die direkten und indirekten Gesundheitskosten abzudecken, die durch die Corona-Epidemie entstehen.

6. Warum brauchen Italien oder Spanien überhaupt Hilfe?

Beide Staaten gehören zu den reichsten Industrieländern der Welt. Trotzdem können sie in die Pleite rutschen, weil die Finanzanleger panisch sind. Die Wirkungskette ist fatal: Banken und Versicherungen wollen keine neuen Kredite gewähren, weil Italien und Spanien schon relativ hohe Staatsschulden aufweisen. Bei Spanien entsprechen sie knapp 100 Prozent der Wirtschaftsleistung, bei Italien sind es 136 Prozent. Wenn jedoch fast niemand spanische oder italienische Staatsanleihen kauft, beginnt das Gesetz von Angebot und Nachfrage zu wirken: Die Zinsen schießen in die Höhe. Die Kredite werden so teuer, dass Spanien und Italien keine neuen Schulden aufnehmen können, um die ökonomischen Folgen der Coronapandemie zu bekämpfen. Die Finanzanleger provozieren jene Staatspleite, die sie selbst so fürchten.

7. Viele Ökonomen favorisieren Coronabonds. Wieso?

Coronabonds würden von der gesamten Eurozone gemeinsam ausgegeben. Für Finanzanleger wäre es also nicht möglich, gegen einzelne Eurostaaten zu spekulieren. Dieser Vorteil bewegt die Ökonomen zu ganz neuen Allianzen: Neoliberale und Keynesianer haben gemeinsam Papiere verfasst, um Coronabonds in Höhe von 1 Billion Euro zu fordern. Dies würde 8 Prozent der Wirtschaftsleistung in der Eurozone entsprechen. Coronabonds wären gar nicht neu: Michael Hüther vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft verweist darauf, dass die Eu­ro­päi­sche Ge­mein­schaft bereits 1974 eine Anleihe emittiert hat, um die Kon­se­quen­zen der Öl­kri­se zu bekämpfen.

8. Wie geht es weiter?

Die Finanzminister wissen, dass ihre Beschlüsse nicht ausreichen, um den Coronafolgen zu begegnen. Sie planen daher einen „Wiederaufbaufonds“, um die Konjunktur in den besonders hart getroffenen Ländern anzukurbeln. Allerdings ist unklar, wie der Fonds finanziert werden soll: Deutschland, die Niederlande, Österreich und Finnland lehnen Coronabonds ab. Die Finanzminister haben es daher ihren Regierungschefs überlassen, den Wiederaufbaufonds voranzutreiben.

9. Und was macht die EZB?

Die Europäische Zentralbank hat bereits am 18. März beschlossen, weitere 750 Milliarden Euro einzusetzen, um Staatsanleihen aufzukaufen und die Zinsen nach unten zu drücken. Momentan erwirbt sie vor allem italienische und auch spanische Papiere. Ohne die EZB-Interventionen hätte sich die Eurokrise längst wiederholt – nur noch schlimmer.

10. Besteht die Gefahr, dass die Eurozone auseinanderbricht?

Das ist unwahrscheinlich. Der Schaden wäre für alle zu groß. Aber die Wirtschaft in ganz Europa leidet, wenn große Länder in die Dauerkrise abstürzen. Italien und Spanien gehören zu den wichtigsten Handelspartnern Deutschlands.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • Leider ist Deutschland vielfach unsolidarisch - kleingeistig – feige.



    Die immer noch weit verbreitete Meinung, die anderen Staaten machen Party und Deutschland soll den Deckel bezahlen, wird immer wieder gerne kommuniziert.



    Wann wird der Zahlmeister-Mythos endlich über Bord geworfen.



    Zu Coronabonds / Eurobonds gibt es in der Krise keine Alternative. Doch statt den Menschen das ehrlich zu sagen, wird suggeriert, dass daran etwas faul wäre. Wir Deutschen haben nach dem Zweiten Weltkrieg in besonderem Maß davon profitiert, dass u.a. die USA und unsere Nachbarstaaten uns beim finanziellen und institutionellen Aufbau intensiv unterstützt haben - trotz der Vergangenheit. Auch wird vergessen, dass Deutschland an der Griechenland-Rettung fast drei Milliarden an Zinsgewinne verdiente. Damit ist Deutschland einer der großen Profiteure der Milliardenhilfen zur Rettung Griechenlands.



    Und auch heute profitiert Deutschland maßgeblich von der EU, fast 60% der deutschen Exporte gehen in die EU.



    Zahlen für Deutschland :



    - Gesamtausgaben der EU in Deutschland – 12,054 Mrd. EUR



    (entspricht 0,35 % der Wirtschaftsleistung des Landes)



    - Gesamtbeitrag zum EU-Haushalt – 25,267 Mrd. EUR



    (entspricht 0,73 % der Wirtschaftsleistung des Landes)

    • @D-h. Beckmann:

      In allen Ländern gibt es persönlich leistungslose Erbschafts-MillionärInnen und Milliardäre. Hier müssten die Regierungen auch ansetzen.

      Was häufig unterschlagen wird, die durchschnittliche Produktivität ist in Deutschland am höchsten, aber das persönliche Eigentum der hoch produktiven Erwerbsbevölkerung ist in der BRD am geringsten.

      Es ist nicht die Aufgabe der meist eigentumslosen deutschen Erwerbsbevölkerung die Schulden der europäischen Bourgeoisie zu bezahlen! Auch darum müssten sich die anderen europäischen Bevölkerungen schon selbst bemühen!

      PS: Der deutsche Michel darf nicht der Zahlmeister der europäischen Schuldner sein. Wer Produkte aus Deutschland kauft, der musss sie auch selber bezahlen!

    • @D-h. Beckmann:

      Zitat: ."Wann wird der Zahlmeister-Mythos endlich über Bord geworfen."



      __

      Was ist daran ein "Mythos"? Die Menschen in Deutschland, in den Niederlanden, Österreich, Finnland und den baltischen Staaten sollen opferbereit sein, also im Vergleich mehr, in der Lebensarbeitszeit länger und bei den Lohnkosten für vergleichsweise weniger zu arbeiten, die Früchte dieser Opfer dann aber mit anderen teilen, die NICHT bereit sind, dieselben Opfer zu bringen? Ist das gerecht? Soll das die vielzitierte "Solidarität" sein? Warum sind die südlichen Staaten, die immer nach "Solidarität" rufen und damit meinen: "Wir wollen noch mehr und noch mehr Kohle von euch!", nicht einfach so wie die nördlichen in ihrer Finanzpolitik?

      • @Rojas:

        *** -): So ist es! Wer die besseren Produkte aus der BRD kauft, der soll sie auch selbst bezahlen!

  • die eu verwirkt gerade ihre zukunft.aber wenn deutschland weiter dominiert hat sie auch keine verdient.

    • @satgurupseudologos:

      Sie meinen, Deutschland soll einfach bedingungslos zahlen und ansonsten die Klappe halten?

  • Woher nimmt denn die EU dieses Geld? Druckt das die EZB und wenn ja, was passiert wenn die EZB soviele neue Euros druckt? Und was passiert wenn die BRD endlich auch solidarisch auf dem fiskalischen Niveau von E und I angekommen ist, ist man dann zufrieden, weil es endlich keinen mehr gibt, der besser ist als man selbst? Was wenn auch dieser letzte verbliebene Schuss ins Blaue geht, wen kann man dann noch für eigene Fehler in Haftung nehmen?

  • Nichts Neues, die Armen bezahlen weltweit alle Kosten der Krise, so wie immer!

    Für die Finanzierung aller Maßnahmen gibt es nur zwei Lösungen:

    1. Maßnahme: Kürzung aller sozialen Leistungen, einschließlich der Renten und niederen Pensionen, bei den Ärmsten und der großen Mehrheit der jeweiligen Bevölkerung.

    2. Möglichkeit, die es so in der westeuropäischen und westdeutschen Geschichte noch nicht gegeben hatte: einen spürbaren Eingriff in das Privateigentum an gesellschaftlichen Produktionsmitteln, einschließlich in die persönlich leistungslosen Großvermögen, Erbschafts-Multimillionären und Dividenden-Milliarden. Dazu gehört auch die Überführung des Finanzwesens, der Großbanken und Versicherungskonzerne, der gesellschaftsrelevanten Unternehmen und DAX-Konzerne in demokratisches Gemeineigentum.

    ►Fazit: Die Wohlhabenden und Vermögenden, die Millionäre und MilliardärInnen haben nichts zu befürchten, ihr planvoller Lobbyismus und ihre gezielte Auswahl der gesellschaftspolitischen Administration tragen auch weiterhin in allen Krisen ihre Früchte.

    • @Reinhold Schramm:

      Verstaatlichung der Industrie hat immer nur dazu geführt sie vor die Wand zu fahren. Wer sich nicht mehr vor Konkurrenz fürchten muss stellt sämtliche Innovation ein. Das hat sogar das kommunistische China begriffen und lässt unternehmen privat geführt laufen. Mit enormen erfolgen im Vergleich zu SÄMTLICHEN Ländern die kommunistische Wirtschaftsformen eingeführt haben und daran Bankrott gegangen sind.

      • @Lain Lainsen:

        Heute benötigen die hoch qualifizierten Erwerbstätigen keine persönlich leistungslosen Erbschafts-MillionärInnen und Dividenden-MilliardärInnen mehr! Es bedarf für die Unternehmensführung keine Familien Siemens, Bayer, Springer, Mohn und Quandt - als leistungslose Eigentümer - mehr! Die qualifizierte Erwerbsbevölkerung in Deutschland, in der Schweiz und Österreich kann bereits ihre Großunternehmen und DAX-Konzerne selbsttätig organisieren und führen! Die Organisation der Betriebsabläufe, der Planung und Organisation liegt hier bereits in den Händen von qualifizierten Technikern, Abteilungsleitern, FacharbeiterInnen und MeisterInnen, MitarbeiterInnen von Einkauf und Vertrieb. Die Angestellten der DAX-Unternehmen ermöglichen mit ihrer qualifizierten Erwerbsarbeit den Verkauf der produzierten Waren und Güter aller Art, den Umsatz und Gewinn ihrer Unternehmen!

        PS: Sie sollten sich mit der Wirklichkeit der heutigen Unternehmen und ihrer MitarbeiterInnen ernsthaft beschäftigen! Wir befinden uns bereits im 21. Jahrhundert!

  • Auch 2,3 oder 4 Billionen würden nicht reichen, trotzdem sind die Coronabonds, die Frau Herrmann propagiert, kein sinnvoller Lösungsvorschlag.

    www.zeit.de/2020/1...itaet-verschuldung

  • Es gelingt mir einfach nicht, Antwort auf zwei eigentlich naheliegende Fragen zu bekommen:



    1) Warum lernen nicht die betreffenden Staaten von uns, wie man aus eigener Kraft zurechtkommt, ohne immer auf Hilfestellung von außen angewiesen zu sein? Auch wenn Corona beendet ist, wird es bald wieder Gelegenheiten geben, Solidarität von D, NL, … einzufordern.



    2) Wenn D., wie häufig gefordert, den Geldhahn kräftig aufgedreht und sich immer weiter verschuldet hätte, wer könnte jetzt und künftig den betreffenden Staaten Unterstützung geben?



    Auf diese Fragen bekomme ich meistens ganz viele Antworten auf andere Fragen, die ich gar nicht gestellt habe!

    • @Pfanni:

      @Pfanni - Genau so sehe ich das auch. Wenn Deutschland es finanzpolitisch so machen würde wie Italien oder die Niederlande so wie Griechenland, wenn also ALLE in der EU finanzpolitisch so drauf wären wie die südlichen EU-Staaten, wer würde dann die EU tragen? Dann würde die EU doch offensichtlich gar nicht funktionieren und vermutlich hätte bei einem Deutschland, das finanzpolitisch genau so wäre wie Italien, niemand mehr irgendein Interesse an der EU.

    • @Pfanni:

      Die braven eigentumslosen Michels in Deutschland.

      Bemerkenswert ist es schon, die durchschnittliche materielle Produktivität und Wertschöpfung der Erwerbsbevölkerung ist in Deutschland beträchtlich höher/größer als in Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien, trotzdem sind offenbar die (geringen) durchschnittlichen Eigentums- und Vermögensverhältnisse für die unteren 50 % der dortigen Bevölkerungen höher bzw. größer als in der BRD.

      Die Mehrheit der Erwerbsbevölkerung in Deutschland hat geringere (kleine) Vermögen als die Erwerbsbevölkerung in diesen Ländern (weniger Eigentum an Grund und Boden und weniger Hauseigentum in der BRD). Selbst im hoch verschuldeten Griechenland liegt für die Mehrheit der Bevölkerung der private Eigentumsanteil an Haus und Boden höher als in Deutschland.

      PS: Trotzdem finanziert die Mehrheit der (unteren) 50 % der deutschen Erwerbsbevölkerung widerstandslos deren Schulden freiwillig mit. --

      Warum ist das so?

  • Kurz, knapp, informativ. Das schätze ich an Artikeln von Frau Herrmann.

    • @Galgenstein:

      Kann mich dem nur anschließen - vielen Dank Frau Herrmann für Ihren unermüdlichen argumentativen Widerstand!

      Bleibt die Frage: Was treibt diese vier Finanzminister, wohl mit Unterstützung ihrer Regierunschefs, Eurobonds so zu verteufeln? Nationaler Egoismus, von dem sie wissen müssen, dass er die EU zerstören wird? Unrealistischer Glaube an ein längst überholtes neoliberales "der Markt wird schon alles richten"? Allmachtsfantasien der "starken Länder" à la Schäuble, der damals gleichzeitnig Cum-Ex-Geschäfte vor dem Bundestag als legal erklärte, obwohl das voll gelogen war?

      Wohin soll dieser sog. Neoliberalismus (=Raubtierkapitalismus) uns als Gesellschaft noch führen?

      Frau Herrmann, ich glaube, Sie werden die nächste Zeit viel zu schreiben haben. Und ich hoffe, dass Sie wissen, wie viele taz-LeserInnen Ihnen das danken werden.

      LG Jörg Kahl

      • @Jörg Kahl:

        Was hat die Weigerung für Schulden anderer haften zu wollen mit Allmachtsfantasien oder Raubtierkapitalismus zu tun?

  • Es wird am Ende kein Weg daran vorbeiführen, dass die EZB zum einen die soziale Infrastruktur, vormals Daseinsvorsorge finanziert, als auch dass als Stimulus die große und notwendige grüne Transformation durch die EZB mittels der EIB auf den Weg gebracht werden wird.

    Wir werden mit Beträgen von etwa 20 Billionen und mehr Euro in den nächsten 10 Jahren rechnen müssen.