EU-Gipfel und Corona: Der Streit ist vertagt

Das Tauziehen um ein Rettungsprogramm für die europäische Wirtschaft dauert an. Jetzt soll es Kommissionschefin von der Leyen richten.

Ursula von der Leyen vor blauem Hintergrund

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen während einer europäischen Videokonferenz Foto: European Commission/dpa

BRÜSSEL taz | Es geht um tausende Betriebe, Millionen Arbeitsplätze und Billionen Euro. Doch mitten in der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg konnten sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union am Donnerstag nicht auf ein Rettungsprogramm für die europäische Wirtschaft einigen. Der Streit wurde vertagt – nun soll sich die EU-Kommission in Brüssel um eine Lösung bemühen.

Kommissionschefin Ursula von der Leyen kündigte an, am 6. Mai einen Vorschlag für einen neues EU-Budget und einen „Recovery Fund“ – also ein Wiederaufbau- oder Konjunkturprogramm – vorzulegen. Das Budget müsse angesichts der Krise wesentlich höher ausfallen als bisher, sagte die CDU-Politikerin. Statt 1,2 Prozent der Wirtschaftsleistung würden vorübergehend wohl 2,0 Prozent fällig.

Auf dem Budget soll auch der „Recovery Fund“ aufbauen. Doch wie hoch dieser Hilfsfonds ausfällt ist ebenso umstritten wie seine Finanzierung. Die EU-Chefs waren sich nicht einmal darüber einig, wer von der Konjunkturspritze profitieren soll – und ob sie in Form von Zuschüssen oder nicht rückzahlbaren Krediten ausgezahlt wird. Letzteres lehnen die reichen EU-Länder strikt ab.

Man brauche mehr Zeit, sagte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron. In einigen Staaten gebe es politische Zwänge, die zu “sehr harten Positionen“ führten. Vor allem die Niederlande, Österreich und Finnland stehen auf der Bremse. Aber auch Deutschland leistet Widerstand. Kanzlerin Angela Merkel hat sich zwar für ein höheres EU-Budget ausgesprochen. Sonst machte sie aber keine Zugeständnisse.

Nein zu Schuldenaufnahme

So bekräftigte Merkel ihr Nein zu einer gemeinsamen Schuldenaufnahme. Eurobonds oder Coronabonds seien mit ihr nicht zu machen, hatte sie schon vor Beginn des Videogipfels im Bundestag erklärt. Auch an der Höhe des Hilfsprogramms äußerte sie Zweifel. Es sei viel von „einer Billion Euro“ die Rede, sagte Merkel nach dem Gipfel. Zunächst müsse man aber klären, wofür das Geld gebraucht werde.

EU-Industriekommissar Thierry Breton hatte einen Finanzbedarf von 1,6 Billionen Euro genannt, Spanien sprach von 1,5 Billionen. Auch Macron sprach nach der Schalte davon, dass das Wiederaufbauprogramm „mindestens fünf bis zehn Prozent“ der europäischen Wirtschaftsleistung umfassen müsse. EZB-Präsidentin Christine Lagarde warnte vor einem Absturz der europäischen Wirtschaft.

Viele EU-Politiker haben aber noch eine andere Sorge: Dass Deutschland die Coronakrise nutzen könnte, die anderen EU-Staaten und ihre Unternehmen „platt“ zu machen. Denn während die Bundesregierung die Wirtschaft wieder hochfährt und immer neue Stützungsprogramme verkündet, herrscht in Frankreich, Italien und Spanien immer noch der Ausnahmezustand. Zudem muss sich Südeuropa auf den Wegfall der Urlaubssaison einstellen.

Schon jetzt beliefen sich die staatlichen Beihilfen in der EU auf 1,8 Billionen Euro, sagte von der Leyen nach dem Videogipfel. Dabei gebe es aber „enorme Unterschiede“ zwischen den Ländern. Dies werde „massive Auswirkungen“ auf den Wiederaufbau und das „level playing field“ – also die Chancengleichheit zwischen den Staaten – haben. Die EU müsse daher mit einem Konjunkturprogramm gegensteuern.

Kein Überblick

Allerdings gibt es begründete Zweifel daran, dass die EU-Kommission für Fairness sorgen kann. So hat die für den Wettbewerb zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager bisher nicht einmal einen vollständigen Überblick über die nationalen Beihilfen.

Zudem hat die Brüsseler Behörde bei einem ersten Hilfsprogramm ausgerechnet das autoritär regierte Ungarn bevorzugt – obwohl es dort kaum Coronaopfer gibt. Das am schlimmsten von der Krise getroffene Italien bekam dagegen viel weniger Hilfe aus Brüssel.

Auch die Vorentscheidung zugunsten des EU-Budgets ist problematisch. Denn bisher konnten sich die Staats- und Regierungschef nicht einmal auf ein Sparbudget von rund 1,0 Prozent der Wirtschaftsleistung einigen. Bei einem ersten Budgetgipfel Ende Februar feilschten die „geizigen Vier“ – angeführt von den Niederlanden – um Prozentpunkte hinter dem Komma. Wieso dies nun bei einem wesentlich größeren Budget besser werden soll, ist völlig unklar.

Immerhin konnten sich die EU-Chefs am Donnerstag auf ein erstes Hilfspaket von bis zu 540 Milliarden Euro einigen. Es war unter größten Mühen von der Eurogruppe erarbeitet worden und sieht Hilfen für Arbeitnehmer, kleine Betriebe und klamme Staaten vor. Italien hat allerdings bereits erklärt, dass es dieses Programm nicht in Anspruch nehmen will. Der Streit geht weiter – er dürfte sogar noch heftiger werden.

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