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20 Jahre „Gilmore Girls“Feminismus der 2000er

Als „Gilmore Girls“ vor zwanzig Jahren anlief, galt die Serie als progressiv. Zum Jubiläum fragen wir: Wie gut ist sie gealtert?

Kaffee-Junkies, Journalismus-Enthusiastinnen, Schlagfertigkeit: die guten Seiten der Gilmore Girls Foto: Saeed Adyani

Toxische Mutter-Tochter-Beziehung

Mütter haben heute viele Rollen zur Auswahl: Rabenmutter, Helikoptermutter, Latte-macchiato-Mutter, Insta-Mom. Was diese Typen eint, ist: Sie sind schlecht. Zu viel oder zu wenig präsent, zu sehr um sich selbst oder zu sehr um die Kinder kreisend.

„Gilmore Girls“ hat versucht, diesen Schubladen der Schande mit der Beziehung von Rory und Lorelai eine entgegenzusetzen: die Mutter als chaotische, beste Freundin. Rory und Lorelai verbringen viel Zeit miteinander, sie sitzen, sehr viel Kaffee trinkend, im Café, oder, sehr viel Junkfood essend, vorm Fernseher. Sie reden über alles und jeden und übernehmen öfters die Rolle, die die andere eigentlich spielen sollte: Rory, die vernünftige, leistet ihrer verplanten Mutter Lebenshilfe. Und Lorelai vergöttert Rory. Sie will, dass ihre Tochter das Leben lebt, das sie selbst wegen der frühen Schwangerschaft nicht haben konnte.

In ihrer Rede zum Collegabschluss sagt Rory vor ihren Mitschülerinnen: „Meine ultimative Inspiration ist meine beste Freundin – die außergewöhnliche, göttliche Frau, die mir meinen Namen und mein Leben geschenkt hat.“ Schluchz – aber auch: Ihh! Jede Frau, die ein Kind auf die Welt gepresst hat, es schreiend, zahnend, fiebernd nachts durch die Wohnung getragen und mit blutigen Brustwarzen gestillt hat, hofft wahrscheinlich insgeheim ­irgendwann auf so einen Satz. Als Dank.

Aber er wäre grundfalsch. Die Mutter als beste Freundin, als symbiotische Erweiterung des eigenen Selbst, als betreuungsintensives Kleinkind, das kann nur schiefgehen. Dass Rory unter diesem Druck nicht zusammenbricht oder wenigstens dagegen aufbegehrt, ist, nun ja, eben eine kitschige Drehbuchvorlage Anfang der 2000er gewesen. Anne Fromm

Das „Vorreiter“-Problem

„Gilmore Girls“ handelt von Unabhängigkeit und Freundschaft. Es ist eine Geschichte, in der Frauen die Hauptrollen ihres Lebens spielen, während Männer kommen und gehen. Die Serie galt als progressiv: unter Kritiker*innen, die Dialoge und Kamera lobten – und sowieso unter den Fans: die Teenager*innen der 2000er, die mit der Show so stark identifiziert sind, dass jede Kritik an ihr sich anfühlt, als spuckte einem jemand ins erste Poesiealbum.

Aber harsche Kritiker*innen der Serie gibt es mittlerweile sicher ebenso viele wie Fans, die sie mehrmals durchgesehen haben. Oft genug sind es dieselben. „Gilmore Girls“ ist schlecht gealtert. Für den fast ausschließlich weißen Cast – die wenigen Figuren of Color sind Stereotype – gäbe es heute zu recht keine lobende Erwähnung mehr. Ebenso wenig für die Heteronormativität (der Sender hatte eine lesbische Figur abgelehnt). Und selbst bei der feministischen Storyline fällt mit Abstand auf, dass sie in neoliberale Ideale verpackt ist: sozialer Aufstieg via Entrepreneurship und Elite-Uni.

Man kann daraus schließen, dass „Gilmore Girls“ ein reiches, weißes Fantasyland als Fortschritt verpackt und damit lange durchgekommen ist. Oder man kann schließen, dass wir an sogenannte Vorreiter-Serienretrospektive zu hohe Ansprüche stellen. Werte wie „richtig“, „gut“ und „progressiv“ sind nicht zeitlos. Diese Erwartung kann kein „Gilmore Girls“ erfüllen, kein „Sex and the City“ – und wahrscheinlich auch kein „Transparent“ oder „Pose“. Peter Weissenburger

Am besten #TeamSingle

Drei feste Freunde hat Rory während ihrer Schul- und Collegezeit, und wie es sich für Fans einer Kultserie (und ja, als das kann man Gilmore Girls durchaus bezeichnen) gehört, muss man sich für einen entscheiden: #TeamDean, #TeamJess oder #TeamLogan.

Rorys erste großer Liebe Dean ­(Jared Padalecki) ist ein All-American-Boy: Der unschuldige Junge aus der Kleinstadt, sportlich, handwerklich begabt, verteidigt seine Liebsten. Kurz darauf verliebt sie sich in genau den gegenteiligen Jungen: Jess (Milo Ventimiglia) ist ein klassischer Bad Boy, Schulschwänzer, gutaussehend, schweigsam. In Yale lernt Rory dann Logan (Matt Czuchry) kennen, der vor allem eines ist: reich. Man könnte noch hinzufügen, dass er zugegebenermaßen ziemlich charmant ist.

Zur Serie

Wo lief ’s?

Am 5. Oktober 2000 lief die erste Episode von „Gilmore Girls“ auf dem US-amerikanischen Fernsehsender The WB. Es folgten 153 Episoden in insgesamt sieben Staffeln. Im November 2016 veröffentlichte Netflix dann die Miniserie „Gilmore Girls: A Year in the Life“ bei Netflix, die aus vier 90-minütigen Episoden besteht.

Worum geht ’s?

Die Dramedyserie von Amy Sherman-Palladino und ihrem Mann Daniel Palladino folgt dem Leben der alleinerziehenden Mutter Lorelai Gilmore (Lauren Graham) und ihrer Tocher Rory (Alexis Bledel) in der fiktiven Kleinstadt Stars Hollow. Das innige Mutter-Tochter-Verhältnis steht im Vordergrund, aber auch Erwachsenwerden, Karriere, Freundschafts- und Liebesbeziehungen werden regelmäßig verhandelt. Und dann ist da auch noch die Stadt, die so einige Kuriositäten und skurrile Persönlichkeiten zu bieten hat.

Was macht es besonders?

Eine alleinerziehende Mutter als Protagonistin und ein weiblich dominierter Cast waren vor 20 Jahren noch eine Neuheit auf dem Serienmarkt. Doch gefeiert wurde „Gilmore Girls“ vor allem für seine witzigen Dialoge mit den unzähligen popkulturellen Anspielungen.

War die Wahl schon vor mehr als einem Jahrzehnt ziemlich schwer, ist sie heute schier unmöglich. Denn was alle drei eint, ist ihre toxische Männlichkeit. Dean ist zwanghaft eifersüchtig und versucht von Beginn an, Rory zu kontrollieren. Jess (für die meisten der Favorit, was eine aktuelle nicht repräsentative Umfrage bei Twitter bestätigt) ist zwar ziemlich cool, aber leider auch ziemlich übergriffig. Beispielsweise auf einer Party von Rorys bester Freundin Lane, in der er versucht, mit Rory zu schlafen und ihre vielfachen Neins einfach ignoriert. Bliebe da noch Logan, der Rory dominiert, in dem er immer weiß, was am besten für sie ist, und sie schlussendlich zwingen will, ihre Karriere für ihn aufzugeben.

Am Ende der ansonsten unsäglichen Netflix-Fortsetzungsstaffel bleibt wenigstens ein Gutes: Anstatt sich nach 16 Jahren für einen der drei Männer zu entscheiden, bleibt Rory Single. Carolina Schwarz

Sie bleibt das Mädchen aus der Villa

Lorelai Gilmore balanciert in der Serie über ein wackliges Seil, unter ihr die Schlucht. Metaphorisch gesprochen. Sie wird deshalb für ihren Mut bewundert. Bei näherem Hinsehen fällt da aber der Sicherheitsgurt auf, der um Lorelais Hüfte geschnallt ist. Selbst wenn sie einen falschen Schritt macht, wenn sie ins Wanken gerät, der Gurt wird sie auffangen.

In „Gilmore Girls“ wagt sich Lorelai aus ihrem privilegierten, reichen Elternhaus, mehr noch: Sie flüchtet. Lorelai ist 16, sie hat gerade ihre Tochter Rory auf die Welt gebracht, und nichts wünscht sie sich mehr, als ein selbstbestimmtes, aufregendes Leben in Freiheit zu leben. In der Serie wird Lorelai als Emanzipationsqueen gefeiert, wird uns Zuschauer:innen als Frau der arbeitenden US-amerikanischen Klasse gezeigt. Eine, die weiß, was viel Geld aus Menschen macht (manipulative, aufgeblasene Schnösel) und nun beschlossen hat, auch ohne viel Geld auszukommen zu können.

Na ja, fast. Denn für ihre Tochter Rory wünscht sich Lorelai genau so ein Leben voller Privilegien. Sei es die Ausbildung an einer Privatschule oder einer Elite-Uni wie Havard oder Yale, das erste eigene Auto oder eine Fünf-Sterne-Europareise. Bei allen emanzipatorischen Ambitionen, die Lorelai hat: Am Ende bleibt sie eine Frau mit gewaltigen Privilegien, mit einem Sicherheitsgurt, der sie im Zweifel davor bewahrt, in die tiefe Schlucht unter ihr zu stürzen. Das alles wäre halb so schlimm, würde Lorelai genau das anerkennen und wertschätzen. Du kriegst das Mädchen aus der Villa, aber die Villa nicht aus dem Mädchen. So oder so ähnlich. Erica Zingher

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5 Kommentare

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  • Gehören Ami-Serien jetzt neuerdings zum TAZ-Themenkreis?! Saure Gurkenzeit oder wie?

  • Ich hätte zwar nie gedacht in der taz einen Kommentar über Gilmore Girls zu schreiben, aber naja. Als erstes verwundert mich, dass bei den anderen Kommentatoren Luke, als negativ behaftet oder von den Autoren vergessen, empfunden wurde. Ich sah Luke als gut gezeichnete Figur, die trotz zunächst gezeigten oberflächliche männliche sterotypen (grummelnd, keine Gefühle zeigen, kann natürlich alles reparieren) sich als vielschichtig erweist und tatsächlich eine Charakterentwicklung durchmacht. Aber naja. Zu der taz Kritik würde ich entgegen: ja stimmt, dass Lorelei trotzdem reich ist und Sicherheitsgurte hat ist bekannt und wurde schon an andere Stelle kritisiert (kurz googeln) ist also nur ein warmer Aufguss. Aber was interessanter gewesen wäre, mehr darauf einzugehen, inwiefern die Serie zu der Zeit anders war? Und wenn es nur kleine progressive Neuerungen waren, bereitete es nicht den Weg, zu den heutigen Serien? Rückblickend mangelnde Diversität zu bescheinigen und im nächsten Absatz selber quasi festzustellen, dass sich Normen und Zeiten ändern macht den ganzen Kommentar irgendwie obsolet. Das ist ja auch keine weltbewegende Feststellung. Aber abschließend gesagt, es ist nur eine Serie, unterschiedliche Sichtweisen sind vorprogrammiert, aber das schöne hier ist: Man kann darüber friedfertig diskutieren, ohne dass es ausartet;)

  • Für mich war es einfach eine ganz amüsante Serie mit sehr fiktiven Charakteren, die von atemberaubender Schlagfertigkeit waren und in einem stereotypen Neuengland lebten, das es so - ja, auch so selbstverständlich wohlhabend, heteronormativ und (fast) rein weiß - allerdings durchaus gibt. Ich könnte gleich mehrere Orte aufzählen, die nicht nur als Vorbild sondern als Blaupause für Stars Hollow dienen könnten. Schon mal darüber nachgedacht, dass eine Serie wie diese wenig Appeal hätte, wenn sie die Welt, durch die sich die Hauptfiguren kämpfen müssen, als politisch bereinigte Utopie darstellte?

    Der Einzige, der mir nie so richtig ins dörflich verwurzelte Bild passte, war Luke Danes. Der wirkte immer eher wie aus Boston oder gar NYC geflüchtet. Warum er von diesem Autorenquartett konsequent irgnoriert wird, mag - neben der Generationenidentifikation mit Rory - auch daran liegen, dass er nicht in ein gewisses Bild von Lorelai passt. Das verkappte "Rich Girl", das immer eine elitäre Tochter eltitärer Profiteure eines neoliberalen Ständestaates bleibt, dürfte ihren Seelenverwandten und "Fels in der Brandung" eigentlich nicht in diesem Typen finden.

    Tut sie aber. Vielleicht war es von den Machern der Serie ja auch geplant, nicht bloß altes Schubladendenken zu brechen, sondern auch davon abzusehen, es durch ein neues, sich als "progressiv" verstehendes Schubladendenken zu ersetzen. Das passt auch zu dem ungleichen Trio von Freunden, die sich Rory aussucht (an dieser Stelle an Frau Schwarz: Den perfekten Mann gibt es nicht, und wer Eifersucht, Kontrollbedürfnis oder Bevormundung für speziell männliche Phänomene, hält, sollte vielleicht mal ein paar Frauen näher kennenlernen...).

  • Dem Kommentar von Erica Zingher kann ich mich nur vollkommen anschließen.



    Am Ende ist Loreley auch nur ein aufgeblasenes Oberschichten-Mädchen, dass selbst mit Ende 30 ihre Neurosen noch nicht im Griff hat und - das hat sie mir ihrer Tochter gemein - nicht bemerkt, dass sich die Welt nicht ausschließlich um sie dreht.

    Was die PoC betrifft bin ich mit dem Kommentar weiter oben nur zum Teil d'Accord: Ja, die Mutter von Lane war sehr zugespitzt, hat aber durchaus auch etwas Realistisches, siehe "Tiger Moms" (vgl. die wesentlich aktuellere Sitcom "Fresh off the boat"). Zudem wurde ihre Tochter Lane als kreatives, intelligentes Mädchen dargestellt, das nicht verbissen ist - eine sehr positive Beschreibung einer Entwicklung eines Kindes der 2. Einwanderergeneration, wie ich finde.

    Michel wurde in seiner Art, unterschwellig einen Homosexuellen zu spielen, der noch dazu (haha...) Franzose ist, auch aus meiner Sicht zu sehr überzeichnet. Dennoch ist positiv, dass überhaupt ein Hauch Homosexualität den Eingang in diese Serie fand - zusätzlich ein Schwarzer, was in der Black Community ja noch weniger selbstverständlich ist als bei Weißen.

    Die männlichen Figuren wie Luke und Rorys Exfreunde sind wirklich sehr negativ behaftet. Ich denke aber durchaus mit Absicht, so konnte Rorys intellektuelle Überlegenheit besser hervorgestrichen werden. Dasselbe Schema auch bei Luke und Loreley sowie Sookie und ihrem Gemüsebauern. Ich nehme an, die Drehbuchautorin versteht das als Variante ihres Verständnisses von Feminismus.



    Rory als letztlicher Single soll zeigen, dass sie mittlerweile nicht nur für Dean und Jess "zu gut", sondern auch über den Milliardärssohn Logan erhaben ist. Legitim, aber hat schon eine gewisse Schlagseite.



    Schon zuvor manifestiert sich der Antimaskulinismus dieser Serie durch komplett verblödete männliche Figuren wie Kirk oder Taylor, während die Frauen zwar teilweise eigen, jedenfalls aber intelligent und zielstrebig (vgl. Babette, Mrs. Kim) dargestellt werden.

    • @Gerold Heinemaaks:

      Das klingt jetzt aber arg defensiv. Fanden Sie denn, dass die Gilmore Girls selbst NICHT überzeichnet waren?

      Am Ende war es primär eine Sitcom (und zwar sicher keine mit irgendwelchen Ambitionen, gegen die NFL um deren Stammpublikum zu konkurrieren...). Die soll lustig sein und ihre Zuschauer da abholen, wo sie sich sehen wollen. Und dass weibliche Figuren in solchen Serien unabhängig von der jeweiligen Zielgruppe immer schon ein bißchen weniger trottelig waren als die männlichen, weil sonst jemand beleidigt sein könnte - über wen sagt das mehr aus??